27 - Exorzismus

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Zehn endlos erscheinende Minuten später bog Matts Bus in den Parkplatz ein — zu meiner großen Erleichterung. Kurz darauf begleiteten er und Vic einen ziemlich mitgenommenen Paul auf unseren improvisierten Ritualplatz unter der Brücke. Dunkle Ringe unter den Augen des Konservators sprachen von einer schlaflosen Nacht, sein bleiches Gesicht, strähniges Haar und die zerrissene Kleidung ließen mich an einen Zombie denken. Da war nichts mehr, was mich an die überhebliche Person erinnerte, die ich vor wenigen Tagen kennenlernte. 

Unter den gleichgültigen Blicken der Büffel stapfte der Besessene um den Kreis der Kerzen wie ein Löwe, der ruhelos in seinem Käfig auf und ab schreitet. Beide Objekte seiner Begierde befanden sich innerhalb des Kreises, den er nicht betreten konnte. Cinna schwebte neben der Feuerschale, die als Altar diente, und schwankte leicht im Wind, während ihre unergründlichen Augen jede seiner Bewegungen verfolgten.

„Gut, lasst uns beginnen." Ich schob all meine Zweifel beiseite und presste die Scherbe wieder an die passende Stelle in der Lampe. Ein plötzlicher kühler Luftzug ließ mich frösteln, und ich konnte gerade noch verhindern, dass ich das kostbare Artefakt fallenliess. Matt und Vic traten nun auch wieder in den Kreis. Damit war Paul der einzige, der außerhalb der magischen Begrenzung stand. Sein Blick wirkte fokussierter und hing an der Lampe in meiner Hand. Ich hob sie hoch, um mit dem Ritual zu beginnen.

„Paul, Marius, ich lade Euch ein, diesen gesegneten Kreis zu betreten — intra." Mit einem zögernden Schritt ließ der Besessene die Kerzenlinie hinter sich. Seine Augen wanderten ruhelos von Cinna zu der Lampe und zurück, aber er zeigte diesmal keine Zeichen von Aggressivität. Ein rascher Blick sagte mir, dass Lou und Matt bereitstanden, ihn niederzuringen, sollte er es sich noch anders überlegen.

Erleichtert hielt ich die Lampe hoch und streute eine Handvoll kandierter Früchte ins Feuer. Dabei wusste ich nicht, ob die römischen Götter — oder wer auch immer für dieses Debakel verantwortlich war — an diesem ungewöhnlichen Opfer Geschmack finden würden.

Bald stieg der Geruch nach Caramel von der Feuerschale auf und vermischte sich mit dem Moschusduft der Büffel. Ein schwarzer Vogel tauchte laut krächzend unter die Brücke. Die Flügel des Raben berührten beinahe die Flammen, als er einen engen Kreis zog und schließlich auf dem hohen Zaun der Büffelweide landete. Dort faltete er seine Flügel und legte den Kopf schief, um uns aus seinen Knopfaugen zu mustern.

Ich krampfte meine Finger um die Lampe und die Tüte mit den kandierten Früchten, um das Zittern meiner Hände zu unterbinden. Zumindest schienen meinen vagen Erinnerungen an einfache Voodoopraktiken vermischt mit römischen Ritualpraktikem, basierend auf meiner Internetrecherche und angereichert mit Vics Ideen und Vorschlägen, etwas zu bewirken. Und wenn die seltsame Kombination auch nur das Interesse des Raben weckte.

Unter den gespannten Blicken meiner tierischen, menschlichen und jenseitigen Zuschauern setzte ich die Lampe und die Tüte neben der Feuerschale ab und öffnete die Flasche von hochprozentigem Rum, die ich mitgebracht hatte. Dann griff ich nach der behelfsmäßigen Segenstafel und hielt sie an dem verschnörkelten Henkel über die Flammen. Gleichzeitig schüttete ich einen großzügigen Schluck Rum ins Feuer. Eine zischende blaue Flamme leckte an der Silbertafel und kräuselte die Haare an meinem Unterarm.

Ich verspürte keinen Schmerz, also ignorierte ich es. „Wer immer Ihr seid, Mächte die uns beiwohnen, nehmt dieses Opfer entgegen und hört meinen wohlgesinnten Segen."

Eine unnatürliche Stille lag über der Ebene. Sogar die Büffel hatten aufgehört, zu stampfen zu und schnauben. Ich räusperte mich und las die Inschrift der Tafel laut vor, zuerst Lateinisch, dann hängte ich die Übersetzung an. „Marius et Cinna, ut maledictio frangatur, libertas aeterna. Marius und Cinna, möge der Fluch brechen, und möget ihr ewige Freiheit genießen."

Der Fluch des Raben | Wattys 2023 ShortlistWhere stories live. Discover now