14 - Marius

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Vindonissa,  befestigtes Lager der Legio XIII Gemina, Via principalis, in der Amtszeit von consul suffectus Lucius Naevius Surdinus [Herbst 30 AD]

Ein herrenloser Hund schlummerte in einem Fleck warmer Nachmittagssonne zwischen zwei Gebäuden an der Hauptstraße. Das Tier hob den struppigen Kopf, schnüffelte die Luft, und stand hastig auf, während das Klappern von Hufschlägen nahte. Bereits vermischte sich das Geräusch mit dem Quietschen und Knarren des Zaumzeuges aus der Richtung der Porta Principalis. Eine Staubwolke trübte das Sonnenlicht, aufgewirbelt von zahllosen Füßen und Hufen. Der schwarz-braun gescheckte Hund zog den Schwanz zwischen die Hinterbeine und verschwand mit einem kläglichen Winseln in der engen Öffnung eines Abflusskanals.

Marius verändertere den Griff an dem großen Bündel Feuerholz und trat beiseite, um den Konvoi passieren zu lassen, der ihm entgegenkam. Am liebsten wäre er dem Hund in sein Versteck gefolgt. Er hätte diesen Teil des Lagers meiden sollen. Oder zumindest die Via Principalis. Aber seine Last war schwer und die Hauptstraße war der kürzere Weg zurück vom Lagerhaus zu seinem contubernium. Sie brauchten das Holz, um das Nachtessen zu kochen und die Unterkunft warm zu halten, jetzt, wo die Nächte wieder länger wurden und der erste Frost den nahenden Winter ankündigte.

In seiner Eile hatte er beschlossen, die Abkürzung zu nehmen und zu hoffen, dass kein Offizier ihn zur Rechenschaft zog, weil er die repräsentative Straßenachse des Lager für einen gewöhnlichen Arbeitsgang benutzte. Und natürlich war es sein Pech, das ausgerechnet jetzt eine wichtig aussehende Delegation im Hauptquartier der Legio XIII Gemina eintraf. Diese Reiter würden bestimmt keine Rücksicht auf einen einfachen miles nehmen, der gerade Feuerholz schleppte.

Marius presste seinen Rücken gegen die Wand der thermae, um die Straße für die Ankömmlinge frei zu machen. Vielleicht erlaubten die länger werdenden abendlichen Schatten ihm, ungesehen davonzuhuschen. Oder er konnte vorgeben, dass er Holz zum Badehaus brachte. Aber nein, diese Aufgabe war Sklaven zugewiesen. In seiner militärischen Standarduniform fiel er zu sehr auf, um mit einer Ausrede durchzukommen. Marius wich noch tiefer in den Schatten zurück und beobachtete, wie die farbenfrohe Delegation seinen Standort passierte. Bisher hatte ihn noch niemand eines Blickes gewürdigt.

Die dumpfen Hufschläge der Pferde und das Rattern der eisenbereiften Räder einer Kutsche hallten zwischen den Holzgebäuden, welche die Gasse säumten, in einer ohrenbetäubenden Kakophonie wieder. Bewaffnete Wachen, manche zu Pferd und andere zu Fuß, umringten den einzelnen Wagen. Das war nicht das Fahrzeug eines Bauern mit all den gedrechselten und leuchtend rot und schwarz bemalten Holzteilen und den Beschlägen aus polierter Bronze.

Der reich gewandete Passagier der Kutsche blickte von Marius weg, in eine Unterhaltung mit einem der Reiter vertieft. Obwohl er das Gesicht des Mannes nicht sehen konnte, war Marius aufgrund des kurz geschnittenen Haars und der feinen Qualität des roten Mantels sicher, dass es sich um eine bedeutende Persönlichkeit handeln musste. Vielleicht beehrte sogar der Magistrat einer Provinz mit seinem Geleit die Vertreter des römischen Reichs hier im befestigen Lager von Vindonissa mit seinem Besuch.

Den Rücken gegen die Hauswand gelehnt blieb der miles ruhig stehen und studierte die Ausrüstung und das Verhalten der Fremden, während der Konvoi vorbeizog. Schlamm klebte an den Hufen der Pferde und den Beinen der Fusssoldaten und erzählte von einer anstrengenden Reise. Das herbstliche Wetter mit den heftigen Regenfällen der letzten Woche musste sogar die gewaltige römische Heerstrasse stellenweise in einen Sumpf verwandelt haben. Nach den getrockneten Lehmspritzern auf Kleidern und Haut zu urteilen waren die Reisenden vielleicht sogar gezwungen gewesen, einen hochgehenden Fluss zu queren.

Marius beneidete die Wachen des hochrangigen Besuchers nicht. Nein, er war bestimmt besser versorgt hier, als Legionär in einem befestigten Lager. Immerhin hatte er nachts ein festes Dach über dem Kopf und erhielt einen kleinen, aber regelmäßigen Sold. Und wenn er heute in vernünftiger Zeit mit dem Holz zur Unterkunft zurückkehrte, konnten er und seine Kameraden sogar eine würzige Erbsensuppe genießen, bevor sie ihren Dienst als Nachtwache antraten.

Der Konvoi näherte sich nun der principia und wurde langsamer. Vermutlich sprach nun ein Gesandter des Besuchers beim Praefectus Castrorum vor, dem offiziellen Leiter des Lagers. Wenn die Delegation wichtig genug war, würde es vielleicht sogar ein adventus geben, ein Ritual des Ankommens. Falls das der Fall war, konnte er noch eine ganze Weile hier festsitzen und würde zu spät zum Essen oder sogar zum Dienst erscheinen.

Der Fluch des Raben | Wattys 2023 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt