Farben

28 4 2
                                    

•Für den Wettbewerb „TG's Schreibwettbewerb"
•Thema: Schreibe eine kurze Romanze, welche sich in der Zeit der Hexenverbrennung abspielt
•Wörter:1119

Ein Haus, zwei Frauen, drei Worte.
„Ich liebe dich." die geflüsterten Worte waren nur für ihre Ohren gedacht.
Meine Stirn an ihrer Stirn, meine Hände in ihren Händen. Abgeschottet von der Außenwelt.
Eine glänzende Träne rollte aus ihrem Auge. Sie war ein Zeichen des Abschieds. Eines Abschieds der niemals hätte passieren sollen. Doch die Welt war unfair.
Sie musste stark sein.
Für mich.
Für uns.
„Ich werde immer da sein. Immer neben dir laufen, deine Hand halten, dich stützen wenn du mich brauchst. Versprochen." Die Worte sprudelten aus mir heraus, Zeit die mich dazu drängte.
Ich wollte meinen Blick nicht von ihren Augen nehmen, wollte ihr nicht sagen, dass sie es ohne mich schaffen müsste. Aber der Schmerz in ihren Augen brachte mich um. Ich konnte sie so nicht sehen.
Sie musste lachen, ihren Mund zu diesem wundervollen Lächeln verziehen, das ich so sehr an ihr liebte. Ich musste die Lachfalten unter ihren Augen sehen, die leichte Einkerbung ihrer Grübchen.
Doch sie lachte nicht. Warum auch? Unsere Welt stand vor dem Untergang und niemand konnte uns davor bewahren.
„Versprich mir, dass du lachen wirst. Versprich mir, dass du leben wirst." Ich musste es hören. Nur weil ich ging durfte sie nicht aufgeben. Sie musste es versuchen. Sie konnte auch ohne mich.
„Hélène, ich..." ihre schmerzerfüllte Stimme brach ab.
„Ich weiß, ich weiß es wird schwer. Aber du schaffst das." schwer seufzte ich.
„Die Welt lebt für dich, atmet für dich. Du wirst deine Farben finden, mit oder ohne mich."
Schweigend badeten wir in den letzten Moment der Trauer, der Ungerechtigkeit.
Dann kam das Geschrei des Endes. Laut polternd kamen sie die Straße runtergerannt, traten Türen ein, riefen nach mir.
Ich wusste, jetzt war es vorbei.
Ein letztes Mal betrachtete ich Eloise' wallend schwarze Haare, zählte jede ihrer Sommersprossen, fühlte ihre Hände in meinen, sah in ihre wunderschönen Augen. Und ein letztes Mal küsste ich ihre Lippen. Ein letztes Mal für sie, ein letztes Mal für mich.
Ein Kuss des endgültigen Abschieds. Ein letztes Mal fühlte ich all meine Farben in mir explodieren.
„Geh." flüsterte ich.
Und sie ging. Bevor sie die Tränen über meine Wangen hatte rollen sehen, war sie schon verschwunden.
Keine Sekunde später hörte ich mehrere Fäuste wütend gegen die Tür trommeln. Im Rhythmus meines klopfenden Herzens rammten sie immer wieder gegen das massive Holz, bis auch dieses nachgab. In einem Regen aus Holzsplittern packten sie meine Arme, rissen, zerrten, schoben mich.
Alles blieb stehen. Noch immer steckte ich in der Blase aus unseren Farben, aus ihrem lieblichen Geruch, ihrem endlosen Kuss. Sie verschwanden alle, ließen mich los, ließen mich zu ihr zurück.
Doch alles zerplatzte, als ein goldener Sonnenstrahl durch das schmutzige Fenster brach und auf Eloise' Gesicht fiel und ich sie sehen musste. Es war mehr als schrecklich.
Krampfhaft presste sie ihre Hand auf ihren Mund, um keinen Laut entweichen zu lassen.
Aus den Schatten des Hauses sah sie zu, wie ich zurück in die Realität brach, wie meine Kleidung zerrissen wurde, nach mir gegriffen wurde und ich aus der Tür gezerrt und für immer von ihr getrennt wurde.
Ihr Anblick brannte sich in mein Gedächtnis und ich schwor mir, ihn nie wieder zu vergessen.
Ich weinte, weinte meinen Schmerz fort, doch der kühle Wind trocknete meine Tränen.
Sie zogen mich durch die Straßen in denen ich aufgewachsen war, in denen ich gelebt hatte, in denen ich sie geliebt hatte. Die Häuser zogen mit ihren Erinnerungen vorbei, verabschiedeten sich von mir.
Schon als wir uns dem Marktplatz näherten, konnte ich die aufgeregte Menge hören. Sie alle warteten auf ein feuriges Spektakel. Mein Tränen verblassten, wurden vertrieben durch die Erinnerung an die Frau, die ich liebte.
Ich achtete nicht darauf, wer mich zog, wohin sie mich zogen. Ich achtete nur auf meine letzten Atemzüge, die letzten Windstöße in meinen Haaren, das letzte Lächeln.
Die Menge auf dem Marktplatz war noch viel größer, als ich es mir jemals hätte vorstellen können. Und in der Mitte thronte ein gewaltiger Scheiterhaufen, mehrere Hunderte Holzstücke die einen Pfahl aufrecht hielten.
Die Menge teilte sich als man uns bemerkte.
Alle Augen lagen auf mir.
Grob wurde ich auf den Scheiterhaufen gedrängt, meine Handgelenke mit Seilen festgeschnürt.
Ich blickte auf die Menschen herab, die sich meinen Tod zur Belustigung ansahen, doch es störte mich nicht. Es war sowieso ein verlorener Kampf.
Die Menge verstummte als ein alter Mann mit noch älter aussehender Uniform hervortrat. Sein kalter Blick schnitt direkt durch mich.
Mit zittrigen Händen zog er eine knittrige Schriftrolle aus der staubigen Innentasche seines Anzugs.
Die Stille war erdrückend. Alle waren gespannt darauf, für was ich angeklagt wurde. Doch ich wusste es schon: Liebe. Nichts mehr als das.
Der Wind war kühl, während wir warteten, die Sonne versteckte sich hinter den Wolken, während die Sekunden verstrichen.
Dann endlich, sprach er:
„Hélène Dessoire Corbeau" sein Französisch war brüchig, aber verständlich.
„Sie werden der Hexerei und des Satanismus' beschuldigt. Streiten sie dies ab?"
Kein Wort verließ meinen Mund.
Trotzdem fuhr der Alte fort:
„Beweise wurden von mehreren Zeugen vorgelegt. Sie wurden mit einer weiblichen Person in einem intimen Moment gesehen.
Das Urteil für solch eine Sünde ist die Todesstrafe."
Mein Atem war regelmäßig, mein Herz schlug glatt. Ich wusste, was mit bevorstand und ich hatte keine Angst.
Der Alte hob eine Augenbraue und warf einen genervten Blick in meine Richtung, doch alles was ich tat war lächeln.
Mein Leben mit Eloise war das Schönste, was mir jemals passiert war. Es war es Wert, zu lächeln.
Und jetzt blickte ich dem Tod entgegen, furchtlos, wartend. Es nütze mir nichts, Angst zu haben, zu weinen. Denn irgendwann würde ich sie wiedersehen.
Die Seile schnitten in mein Fleisch, das Holz stach in meine nackten Füße, der Geruch von Ruß und Rauch stieg mir in die Nase, doch ich war glücklich.
Der Mann beendete seine Rede und ein weiterer trat vor. In seiner Hand, das Werkzeug um mich zu töten: Eine Fackel.
Die tanzenden Flammen glühten bedrohlich aber die Angst, die ich hätte verspüren sollen, war nicht zu vernehmen.
Was für einen Sinn hatte es, sich zu fürchten, wenn man sowieso sterben würde.
Der Feuermann trat zum Scheiterhaufen vor. Hunderte Blicke verfolgten ihn.
Er hob die Fackel, die heißen Flammen nur einige Zentimeter vom Brandstapel entfernt.
„Hélène Dessoire Corbeau, Artikel 4 unserer Verfassung besagt, dass sie vor dem Tod der Hinrichtung ein Recht auf letzte Worte vor der Öffentlichkeit haben." sprach der Alte.
Einen Moment hielt ich inne. Doch ich wusste genau, was ich sagen wollte.
„Je t'aime plus que la vie!" rief ich dann so laut wie ich konnte, mit all meinen letzten Farben und ich war mir sicher, sie hatte mich gehört.
Im nächsten Moment wurde ich unter tosendem Applaus verbrannt.
Doch meine Farben lebten weiter.


(Für alle, die keine Lust haben, Google Übersetzer zu benutzen: „Je t'aime plus que la vie" bedeutet „Ich liebe dich mehr als das Leben")

🫧Im Wind gewehte Wörter✨Where stories live. Discover now