könig

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Welch seltsame Denkweise vermag es, meinen König derart zu bedrängen.

Das fleckige Brett vor meinen Augen legte mir mein Schicksal zutiefst skrupellos auf den Tisch, sodass ich mich selbst fragte, wozu ich die letzten Jahre so fleißig jene Figuren beäugt hatte. Es glich nun wahrhaftig der indischen Legende, in welcher der König als wichtigste Figur ohne Hilfe anderer Figuren und Bauern nichts ausrichten konnte. Schon immer war ich fasziniert von solch Möglichkeiten des spielerischen Denkvermögens.

„Schach!", sagte der Junge mir gegenüber und fuhr sich lässig mit seiner von Ringen geschmückten Hand durch die blonden Strähnen. Er grinste mich leicht an, seine Nase legte sich in Falten und hinter den dunklen Gläsern seiner Sonnenbrille war ein schelmisches Blitzen in den Augen zu erahnen.

Ich freute mich für ihn, doch frusten tat es mich allemal. Drum streckte ich ihm meine Hand entgegen und schlug grinsend ein.

„Ein Bier an Sissa!", rief ich belustigt über meine Schulter, und just in diesem Moment erschien ein Braunschopf in der Abendsonne des Balkons.

„Tom, willst du als Nächstes?", fragte der Junge mir gegenüber frech.

Dankend schüttelte er den Kopf, überreichte dem Gewinner sein wohlverdient gekühltes Bier und hob beschwichtigend die Hände.

„Gegen dich habe ich sowieso keine Chance. Gewinne ja nicht einmal gegen Liah, die du gerade so mies abgezockt hast." Er lachte auf, als er meinen genervten Blick von der Seite sah.

„Also mies abgezockt würde ich das nicht nennen. Aber hat schon einen guten Grund, wieso er hier der Sissa ist."

Sissa ibn Dahir: Gilt Legenden zufolge als Erfinder des Schachspiels. Wir spielten oft Partien in der Freundesgruppe, doch nur selten wurden Simons Künste geschlagen. Somit trägt er witzelnd den Namen der Legende. Simon der Sissa, wie wir ihn gerne necken, und er genießt es zurecht.

Tom setzte sich nun auch zu uns an den Tisch, und stellte einen Aschenbecher an meine Seite. Seine eine Augenbraue zuckte herausfordernd nach oben, als er nach den Filtern griff und seine Hand darauf ruhen ließ. Ich blickte ihm tief in die grünbraune Iris und riss die Augenlider absichtlich provozierend auf. - Regenbogenhaut, so ein schönes Wort. Meine Stirn berührte kurz die seine, dann legten sich die stoppeligen Wangen in Grübchen und der Wettbewerb des Drehens hatte begonnen. Kippen drehen. Gewiss eine abartige Idee, das Rollen des Tabaks als eine zeitliche Challenge aufzuführen, jedoch hatte sich dieses seltsame Szenario zweier hektisch protzender Menschen etabliert.

„Schneller", rief ich, und hielt die gekrümmte Fluppe in die Höhe, um meinen Triumph kundzutun. Das rot strahlende Licht erleuchtete den bräunlichen Tabak darin, und den leichten Sonnenbrand auf meinen tätowierten Oberarmen. Wir hatten den Tag zu dritt am örtlichen See verbracht, und nun ließen wir den Samstagabend gemütlich in Toms Wohnung ausklingen. Er war zwei Jahre älter als ich und inzwischen bei seinen Eltern ausgezogen. Wir verbrachten die meiste Zeit hier in dieser kleinen, aber offenen Wohnung. Es fühlte sich seit Beginn unserer Freundschaftskonstellation wie eine Art WG an, und obwohl wir oft neue Leute trafen, so zerteilte uns bisher keinerlei Beziehung oder Eifersucht.

„Na für das Vieh hätte ich auch nur so kurz gebraucht.", neckte mich Tom und streckte mir einige Sekunden später seine perfekt Gedrehte vor die Nase.

„Pfhh, solang man's rauchen kann.", erwiderte ich und holte meinen Clipper, um ihm zufrieden seine Kippe anzuzünden. Simon trank genüsslich sein Bier und war vertieft in den Bildschirm seines Handys. Er schien soeben mit jemandem zu Schreiben.

Nach ein paar nebligen Zügen und kurzer angenehmer Ruhe blickte Simon auf und begann zu sprechen.

„Ich hab gestern ein paar Leute aufm Straßenfest kennengelernt, und schreibe grad mit einem davon. Die scheinen echt korrekt zu sein und hab sie mal gefragt, ob sie vorbeikommen wollen."

„Nice! Haben ja eh nichts geplant heute.", erwiderte Tom voller Euphorie.
„Aber muss davor noch schnell n Kasten kaltstellen und maybe die Lichterkette aufhängen."

„Klaro, geile Idee.", erwiderte ich nickend.

„Ah warte, Tooho-oomm..", rief ich noch, bevor er durch die Balkontür schlupfte. Sein wuscheliger Kopf lugte aus dem Inneren zurück in unsere Richtung.

„Darf ich mir n Pulli von dir ausleihen?", fragte ich, und blickte dabei demonstrativ an mir hinunter. Mein inzwischen getrockneter Bikini wurde leicht überdeckt von einem dünnen bauchfreien Top, welches zwar gute Sicht auf meine simplen Ketten und die Tattoos freigab, jedoch würde dies in ein paar Stunden nichtmehr den nächtlichen Temperaturen entsprechen. Außerdem wollte ich mich nicht allzu freizügig geben, wenn neue Leute hierher kommen würden.

„Naklar, du doch immer. Du weißt ja wo dus findest.", zwinkerte er und verschwand nun gänzlich in der Wohnung.

„Also aus meiner Sicht kannste auch das anlassen. Sieht gut aus.", sagte Simon nun schelmisch grinsend. Ich wusste, dass ich gut aussah, doch ein bisschen spaßhafte Bestätigung von meinen Freunden kam mir doch immer gelegen.

Ich hatte von Natur aus sommerlich südländische Haut und dunkle wellige Haare, welche mir oft zerzaust den Rücken hinunter fielen. Meine Eltern hatten sich in Las Vegas kennengelernt; mein deutscher Vater auf geschäftlicher Durchreise und meine Mom eine weltbegierige Spanierin auf Amerikareise in ihren späten Zwanzigern. Und genau diese zwei Welten verkörperte ich nun, als Einzelkind in einem ländlich deutschen Vorort, nicht weit bis in die lebendige City zu den qualmenden Motoren und den lebhaften Pubs. Und auch in diesen Zeiten waren meine Eltern noch immer oft in fremden Ländern unterwegs, scheinbar glücklich verliebt wie am ersten Tag. Als ich noch kleiner war bereisten wir viele Teile Europas mit dem Van, und ich möchte diese Erfahrung niemals missen. Nur manchmal kommt mir die Wohnung meiner Eltern allein ein bisschen zu groß vor, ein bisschen zu still, und ein bisschen zu sauber. Deshalb verbringe ich lieber die schulfreie Zeit mit Freunden in deren Welt.

„Oh mein Charmeur, ich danke!!", gab ich Simon theatralisch auf seine Schmeichelei als Antwort und strich ihm im Aufstehen einmal frech durch die weichen Haare. Er grinste, die Sommersprossen tanzten, Blick auf sein Display.

„Bin mal kurz drinnen", sagte ich und nahm ein paar leere Bierflaschen vom Tisch.

„Yo, ich telefoniere kurz und dann komme ich auch gleich."

Das Handy begann in diesem Moment zu vibrieren. Eine Marie rief an. Simon nickte mir zu, drückte auf den Hörer und stellte sich lässig ans Geländer des Balkons. „Simon hier, Heyy na!" Ich verschwand mitsamt meines Schattens im Inneren der Balkontüre, welche den Weg eröffnete in eine geräumig weiße Neubauwohnung, mit jugendlichem Charme und gewisser farblicher Inkompatibilität der Möbelstücke. Blaue Couch, gelbe Kissen, und die Küche mit roten Fließen an den Wänden, dazu bewusst unstimmige Bilder und Porträts von Fremden, Bekannten, und von Simon und mir. Bloß keines von Tom, denn er sagte immer, er wolle nicht fotografiert werden - stattdessen ist er derjenige, welcher die Momente im Blitzlicht festhält. Viel zu gut, doch leider nur hobbymäßig. Außerdem ein viel zu schöner Mann für eine einfache 2D Aufnahme. Wäre ich nicht lesbisch, dann würd ich Tom direkt einen Ring anstecken. Aber so darf sich gewiss bald jemand anderes freuen, mit ihm, und an seiner Seite.

★ verdient? Danke!

BESSER ich sag's dir NICHTWhere stories live. Discover now