1- »Oops«

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Seien wir doch mal ehrlich: niemand mochte kalten Kaffee. Da gehörte ich natürlich dazu. Was ich aber auch nicht mochte war zu heißer Kaffee, den man jeden Morgen beim Bäcker bekam.
Natürlich war ich nämlich jeden Morgen wieder so verschlafen, dass ich mir fünfmal in der Woche meine Zunge an dem kochendheissen Getränk verbrannte und mich dann den ganzen Tag über darüber ärgerte, es am nächsten Morgen dann aber wieder machte.

Es war also schon lange kein Wunder mehr, wenn ich total mies gelaunt in der Uni ankam und die Hälfte meines Kaffees davor weggeschüttet hatte. Eigentlich kaufte ich mir genau aus diesem Grund gar keinen Kaffee mehr, aber an diesem Montag brauchte ich einfach irgendwas zum wach werden.

Ich hatte komplett verschlafen und wurde um kurz nach acht Uhr von Max, meinem besten Freund und Mitbewohner, aus meinem Bett gejagt, wobei es wortwörtlich eine kalte Flucht unter die warme Dusche war.

Max hatte die unangenehme Angewohnheit morgens mit einem Eimer kaltem Wasser an meinem Bett zu stehen und mich mit eine frühen Dusche zu überraschen, und glaubt mir, das wolltet ihr nicht erleben. Da wurde ich sogar noch lieber von einer schiefen Stimme aus meinem Radio geweckt, obwohl dies oft auch durch Alana, meine beste Freundin und Mitbewohnerin,  ersetzt wurde, wenn sie vor mir in der Dusche war und eine ihrer legendären Auftritte mit den beliebtesten Hits aus den 90ern hinlegte.

Meine Freunde waren keine unglaublichen Gesangstalente, auch wenn das jetzt hart klang, das wussten sie selber. Ich war leider nicht besser was meine Stimme anging,  deshalb zog ich es nach jahrelanger Erfahrung vor, Melodien lieber nachzusummen statt zusingen. Nicht nur zu meinem Besten.

Als ich an diesem Montagmorgen durch den noch leeren Park lief, den heißen Kaffeebecher in meiner Hand und den Blick auf meine Vans gerichtet, summte ich gerade das neue Lied von Ed Sheeran, dass ich mir am Tag davor heruntergeladen hatte.

Es war noch relativ kalt so früh am Morgen, und das typisch graue Londonwetter hing in einer dunklen Wolke über der Stadt. Ich hatte heute nur ein dünnes T-shirt angezogen, da der Wetterbericht gut ausgefallen war, bereute es jedoch jetzt schon.

Darüber hatte ich bloß meine Jeansjacke geworfen, nicht einmal einen dünnen Schal hatte ich mit übergezogen, oder eine Mütze, obwohl meine Ohren dank meines Zopfes nicht verdeckt wurden.

Leicht fröstelnd stapfte ich über den Kiesweg. Als mein Kopf unsanft gegen etwas hartes stieß, der Kaffee sich brennend auf meiner Haut unter dem Tshirt ergoss, und ich mit meinem Hinterteil auf dem kalten Kies landete, wachte ich wieder aus meiner Gedankenwelt auf. Einen Bruchteil einer Sekunde später wurde mir meine Situation bewusst und ich fluchte aufgebracht. Da hatte ich mir diesesmal zwar einmal nicht den Mund verbrüht, aber mir eine erstklassige Verbrennungswunde am Bauch zugelegt. 

Außerdem hatte ich auch noch mein weißes Tshirt zerstört, denn Kaffeeflecken wuschen sich nur sehr selten raus. Wütend warf ich den Kaffeebecher neben mich und versuchte die Schmerzen an der Hand, am Bauch und an der Stirn kurz zu ignorieren. Stöhnend rappelte ich mich auf, nachdem ich das kleine Desaster kurz betrachtet hatte und mich versichert hatte, dass mir nichts ernsthaftes zugestoßen war (abgesehen von dem grossen Verlust meines Lieblingstshirts und meines einzigen Lebensretters heute).

Als ich schliesslich aufblickte sah ich in ein paar Augen. Klar, das tat man immer wenn man jemanden anschaute, doch in diesem Moment hatte ich nicht damit gerechnet. Ich nahm an gegen eine Laterne, einen Baum oder sonst etwas gelaufen zu sein, was ich mir sogar noch zugetraut hätte, doch diese strahlenden grau-blauen Augen überzeugten mich vom Gegenteil.

„Oops." murmelte ich verlegen und vernahm ein heiseres Kichern. Schnell wandte ich den Blick ab und beugte mich herunter um den Inhalt meiner Tasche die sich auf dem Boden verstreut hatte, wieder einzusammeln. Ich bemerkte ein paar Hände die mir zur Hilfe gingen und hielt überrascht inne.

Der Besitzer der wunderschönen Augen kniete auf dem Kiesweg und betrachtete gerade mit einem verschmitzten Grinsen meinen Lippenstift, dessen Farbe den Namen "The Queen of the Night" trug, bevor er ihn mir in die Tasche warf.

„Oops."

Sprachlos starrte ich ihn an. Dann griff ich nach dem letzten fehlenden Teil, meiner Kaugummipackung, und richtete mich auf. Wieder starrte ich in diese Augen und versuchte Worte zufinden.

„Tut mir leid, ich habe nicht aufgepasst wo ich hingelaufen bin. War wohl etwas in Gedanken, oder besser gesagt noch im Halbschlaf.."

„Hey, das wollte ich sagen!" Protestierte ich, und wollte die Arme verschränken, was ich durch einen stechenden Schmerz aber doch lieber sein ließ.

„Sorry! Kann ich das irgendwie wieder gut machen?" Er deutete einmal auf mein Tshirt und sah mich fragend und gleichzeitig auffordernd an.

Schnell schüttelte ich den Kopf.

„Nein, nein! Schon gut. Mir ist ja nichts passiert, außerdem war es genauso meine Schuld!" versuchte ich ihn schnell abzuwimmeln, nicht nur weil schon viel zu spät für die erste Lesung war.

„Vergiss es! Gib mir wenigstens deine Nummer, damit ich mich nach deinen Verletzungen erkundigen kann, sonst habe ich ewige Gewissensbisse." Er grinste leicht und um seine Augen legten sich leichte Lachfältchen, die ihn noch perfekter erscheinen ließen. Er trug einen Drei-Tage-Bart und etwas alte Klamotten, trotzdem sah er unheimlich jung und vorallem unheimlich gut aus.

Seufzend zückte ich mein Handy um ihm meine Nummer zu diktieren, und er fing zufrieden an zu strahlen.

Oops! || ElounorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt