Geweckt wurde sie vom flackernden Licht der Öllampen. Wieder hatte sie jemand entzündet, ohne dass sie aufgewacht war. Müde setzte Faith sich auf. Wer wohl für die Lampen zuständig war? Elora war bereits wach und bereit für's Training während Zoé noch tief und fest schlief. Donna saß schweigend auf ihrem Bett und starrte die gegenüberliegende Wand an. Wie sie sich wohl fühlte, in dieser fremden Umgebung? Und wieso sie wohl hier war? Faith streckte sich und stieg aus dem Bett. Als Zoé dann auch endlich wach und umgezogen war und Donna sagte, sie hätte noch keinen Hunger, begaben sich die drei Novizinnen zum Frühstück in den Speisesaal. Dort herrschte bereits das Geräusch von vielen, durcheinanderredenden Novizen. Elora, Faith und Zoé erhaschten noch einen Platz zwischen einigen anderen Novizen in ihrem Alter. Nach dem Frühstück mussten sich die drei aufteilen, da jeder zu seinem eigenen Mentor musste. Zoé eilte davon, da sie sich sicher war, dass ihre Mentorin wieder ihre Pünktlichkeit testen würde. Elora blieb länger bei Faith, musste dann aber noch einmal runter zu den Novizenräumen um ihren Bogen zu holen. Seufzend lief sie nun quer durch das Zentrum, auf der Suche nach Cade. Hatte er - gestern, als er Aeds Kette weggeworfen hat - nichts dazu gesagt? Faith versuchte sich zu erinnern, doch er hatte nichts gesagt. Und nun? Plötzlich ertönten schnelle, leise Schritte aus dem Korridor, in dem Heath ihr Behandlungszimmer hatte. Und schon bog Aed um die Ecke. Er trug seine Montur und wirkte dafür, dass er eine Verletzung hatte, doch relativ flink. Ein hinterlistiges Lächeln umspielte seine Lippen während er mehr oder weniger gehetzt vor einer wütenden Heath davonrannte. "Aed! Noch einen Schritt und ich bringe dich um, bei Gott!", drohte Heath mit klirrend kalter Stimme. Sie wirkte ebenfalls sehr geübt im Rennen. Wahrscheinlich hatte sie ebenfalls eine Ausbildung zum Assassinen bekommen. Aed blieb wirklich stehen, kaum drei Meter entfernt von Faith, die das Spektakel argwöhnisch beobachtete. Heath kam zum Stehen. Sie hob mahnend den Zeigefinger. "Du kommst jetzt sofort zurück. Deine Wunde braucht Ruhe, um zu verheilen!" Aed grinste breit, schüttelte den Kopf und setzte seine Kapuze auf. "Kämpfend bin ich dem Meister nützlicher als herumliegend. Heath, ich verstehe ja Eure Sorge, aber ich bin fit genug für etwas Bewegung." Während jedem einzelnen Wort wurde sein Grinsen etwas breiter. Die Ärztin schnaubte wütend. "Junger Assassine, ich habe hier das Sagen, wenn es um Verletzte und Kranke geht. Du kommst mit!" Gerade machte sie weitere Schritte auf Aed zu, als der zu Faith lief und so tat als würde er sich hinter ihr verstecken. Faith war überrascht und sprang von Aed weg. "Komm her!", befahl Heath ihrem Patienten. Doch noch im nächsten Moment erschien Eadgyth neben der Ärztin und beruhigte sie. Nach kurzer Zeit warf Heath einen letzten, verachtenden Blick auf Aed, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand wieder in den Korridor. Gyth sah ihr besorgt nach und lief dann zu Aed und Faith. Den Assassinen musterte sie kurz scharf, dann drückte sie auf die Stelle, an der sich die Wunde befand. Aed unterdrückte einen Schmerzenslaut. "Und du bist dir sicher, dass du so kämpfen willst?" Gyth sah Aed zweifelnd an. Faith fühlte sich merkwürdig unsichtbar. Der Assassine schwieg, dann nickte er fest. "Fein...", murmelte Kadirs kleine Schwester, dann sah sie endlich Faith an, die sich vorkam wie ein Geist. "Wie geht es dir? Musst du nicht zum Training?" Faith sah kurz zu Aed, der die Arme verschränkte und Gyth beobachtete. "Ähm... Ganz gut, denke ich... Ich finde Cade nicht. Ich suche ihn gerade", antwortete Faith mit leiser Stimme. Eigentlich suchte sie ihn nicht wirklich. Es gab wohl kaum jemanden, der seine Gegenwart suchte. Aber sie wollte nicht rüberkommen als würde sie schwänzen. Eadgyth nickte, musterte sie kurz mütterlich und verschwand dann in eine andere Richtung. Faith atmete auf einen Schlag die unwissentlich angehaltene Luft aus. Dann sah sie zu Aed. Sie musste ihm von Cades letzter Aktion erzählen... "Heath ist echt empfindlich", meinte der Assassine grinsend. Faith nickte, lächelte halbherzig und suchte nach der richtigen Erklärung. "Aed, gestern habe ich gesehen, dass Cade irgendeine Art Kette in den Wald geworfen hat. Er sagte, er hätte sie aus deinem Zimmer..." Unsicher beobachtete Faith die Gesichtszüge ihres Gegenübers, doch unter der Kapuze konnte sie kaum etwas erkennen. Es schien ihn zumindest nicht zu freuen. "Interessant. Also hat er mein Zimmer durchsucht?", hakte Aed mit finsterem Ton nach. Faith nickte. Aed schien zu überlegen. Doch schnell schien sich sein Gemütszustand wieder zu bessern. "Wie war das, du suchst Cade? Darf ich mitkommen?" Er setzte die Kapuze ab und lächelte. Auf Faiths misstrauischen Blick hin ergänzte er: "Ich werde ihn schon nicht zusammenschlagen." Faith lachte freudlos. "Ich glaube wenn, dann würde er dich zusammenschlagen, nicht umgekehrt." Aed zuckte nur mit den Schultern, und als Faith auf's Geratewohl hoch zum Plateau lief, folgte Aed ihr. Irgendein Gefühl rief er in ihr hervor, aber sie konnte nicht sagen ob es positiv oder negativ war. Sobald sie am Eingang des Höhlenganges waren griff sie nach einer Fackel. Dieses Mal wollte sie nicht durch Pfützen laufen und womöglich dabei ausrutschen. Aed staunte wortlos und folgte ihr weiter auf Schritt und Tritt. Draußen war es bewölkt und ein kalter, starker Wind trieb die grauen Ungetüme ruhelos über den Himmel. Cade war nirgendwo zu sehen. Faith seufzte und zog ihre Kapuze auf. Der Assassine tat es ihr gleich. Der leichte Stoff schützte erstaunlich gut vor dem eisigen Wind. "Er scheint nicht da zu sein", bemerkte Aed mit Ironie in der Stimme und sah sich um. Ihre Monturen flatterten im Wind. Die Kälte kroch langsam aber spürbar durch die Stoffe. Faith drehte sich zu Aed. "Wenn er nicht hier ist kann ich nicht sagen, wo er sonst sein soll", erwiderte die Novizin mit enttäuschter Stimme und blickte in das Feuer der Fackel. Sie drohte, auszugehen. Der heftige Wind riss das Feuer förmlich vom Stock und das Windrauschen übertönte das laute Geräusch des gegen den Wind ankämpfenden Feuers. Eine Weile sagte niemand etwas, dann fragte Aed: "In welche Richtung hat er die Kette geworfen?" Faith deutete etwas nach rechts. "Ich würde sagen da. Aber das ist sehr ungenau..." Aed grinste, wobei er spürte, wie seine Gesichtsmuskeln langsam steif vor Kälte wurden. "Ich gehe sie suchen. Willst du mit? Du hast ja anscheinend gerade nichts zu tun." Faith nickte, da sie das Gefühl hatte, Cades Fehler wieder gutmachen zu müssen. Woher sie dieses Gefühl nahm, wusste sie nicht. Sollte Cade die Kette doch suchen. Aber als Aed sich plötzlich daran machte, vom Rand des Plateaus aus am Berg hinabzuklettern, lief sie hinterher und sah entgeistert nach unten. Sicher, vor einem Monat war sie hier auch hinuntergeklettert. Aber damals waren die Umstände günstiger gewesen. Keine Kälte, die die Finger taub machte, und kein Wind, der eine Person von der Felswand fortreißen konnte. Zusätzlich hatte Aed ja noch die Wunde... "Sicher, dass du da runter willst?", wollte Faith wissen und Zweifel schwangen in ihrer Stimme mit. Aed sah zu ihr hoch, so gut es ging. "Ja. Ich schaff das schon." Nun war es nicht mehr das Gefühl, Fehler zu begleichen, sondern jenes, das nicht wollte, dass jemand von ihren Freunden starb. So kletterte sie neben Aed nach unten. Kaum bei der Hälfte spürte sie, wie ihre Finger immer kälter wurden und immer weniger auf die Befehle ihres Gehirns reagierten. Der Wind zerrte erbarmungslos an ihren Kleidern und die Wand war nicht gerade für Abstiege geeignet.

Red SnowWhere stories live. Discover now