Prolog

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Lachend sprang ich über die unendliche Blumenwiese, welche die Zwischenwelt meiner Mutter darstellte. Der Geruch von Hyazinthen und Lavendel kitzelte mich dabei die ganze Zeit in der Nase. Sirius kam mir in Hundegestalt hinterhergesprungen, versuchte, mich zu fangen. Ich kam ein paar Meter weit, bevor er mich einholte, hochsprang und mich somit zu Fall brachte. Lachend fing ich meinen Sturz ab, drehte mich zu meinem Vater, nur um von ihm einen schlapprigen Hundekuss zu bekommen. Die Aktion brachte mich noch mehr zum Lachen.
Ein wenig Rang ich noch mit dem riesigen Tier, doch irgendwann ließ ich meine Arme einfach auf die Erde sinken und blieb liegen. Sirius stupste mich noch einmal an, doch ich ließ mich nicht erneut aufs Toben ein. Stattdessen kuschelte ich mich lieber an meinen Vater. Ich merkte, wie sich der Hund zurückverwandelte. Aus dem flauschigen Fell wurde wieder Haut, aus dem Hundekörper ein menschlicher.
„Kuschelzeit?", wurde ich leise lachend gefragt, weshalb ich nickte. Ja, jetzt wo ich hier schon im Gras lag, war eindeutig Zeit zum Kuscheln.
Sirius kommentierte meine Entscheidung nicht weiter. Er ließ sich neben mich ins Gras fallen und zog mich dann wieder richtig an sich. Ich gab ein zufriedenes Brummen von mir. Am liebsten würde ich einfach hierbleiben. So wie eigentlich jede Nacht. Ich hatte es nie getan und war immer schweren Herzens gegangen, sobald ich spürte, dass ich langsam aufwachen würde, doch es änderte nichts an meinen Wunsch. Mein einziger Trost momentan war, dass wenigstens Draco jede Nacht bei mir schlief, weshalb ich eigentlich nie alleine einschlief oder aufwachte.
„Wie ich sehe, ist mal wieder die Kuschelzeit eingebrochen", hörte ich in diesem Moment Regulus rufen. Ich sah auf, weshalb ich den Mann, welcher meinem Vater so ähnlich sah, mit seiner Ehefrau Lydia erblickte. Die beiden hatten ihren gemeinsamen Sohn jeweils an einer Hand. Der Kleine hatte ungefähr vor zwei Monaten angefangen, zu laufen, weshalb er noch ziemlich unsicher zwischen den beiden Erwachsenen stand.
Die drei waren allerdings nicht unser einziger Besuch. Es war Sonntag Nacht und aus irgendeinem Grund meinte dann immer, die gesamte Familie meines Vaters und meiner Mutter hier auflaufen zu müssen, um zu Abend zu essen. Eine absolut überdimensionierte Gruppe, weshalb ich beim ersten Mal am liebsten weggelaufen wäre und mir seitdem jeden Sonntag überlegte, ob ich hier überhaupt noch auftauchen wollte. Bisher war meine Sehnsucht nach meinem Vater allerdings immer groß genug gewesen, um mich doch hierherzulocken.
Und ganz langsam gewöhnte ich mich auch an Sonntagsessen mit gefühlt zweitausend Menschen. Durch die ganzen Partner und im Totenreich geborenen Kinder bekamen wir allerdings wirklich siebzig bis achtzig Leute. Keine Ahnung, warum man daran Spaß hatte, jede Woche eine solche Massenveranstaltung abzuhalten. Aber irgendwie wirkten alle glücklich damit. Also abgesehen von mir, die sich immer wünschte die Leute würden wenigstens nacheinander und mit zeitlichen Abstand für eine Verschnaufpause kommen.
Mein Vater fing allerdings mal wieder an zu strahlen. Er ließ mich alleine zurück auf dem Boden – er hatte schon längst aufgegeben, mich mit zu dieser Gruppe nehmen zu wollen. Das war eindeutig zu wuselig für mich. Daher beobachtete ich von meinem sicheren Abstand, wie Sirius seinem jüngeren biologischen Bruder kurz auf die Schulter klopfte – laut Carolin war das schon ein riesiger Fortschritt in ihrer Beziehung – bevor er James mit einer brüderlichen Umarmung begrüßte.
Mir tat Regulus bei so etwas immer leid. Man merkte, wie sehr er bemüht war, die Beziehung zwischen Sirius und sich wieder in Ordnung zu bringen. Obwohl er das schon seit vor meiner Geburt versuchte, merkte man noch immer, dass zwischen den beiden biologischen Brüdern ein Abstand war, der nicht wirklich überwunden werden konnte. Manchmal fragte ich mich, ob es wohl bei Kira und mir auch so ausgesehen hatte. Dass sie sich so verdammt viel Mühe gab, unsere Differenzen zu überwinden, während ich sie immer wieder abblitzen ließ. Ganz ausschließen wollte ich es nicht.
Der biologische Bruder meines Vaters schien mit der Situation allerdings ganz gut klarzukommen. Jedenfalls schlich sich ein kleines Lächeln auf sein Gesicht, als er die beiden anderen Männer bei ihrer Begrüßung kurz zusah. Schließlich wandte er sich allerdings lieber meiner Mutter zu, welche ihn auch wesentlich herzlicher begrüßte. Als Nächstes kam ich wohl an die Reihe, jedenfalls nahm er seinen Sohn auf den Arm und kam zu mir herüber. Kommentarlos setzte er sich neben mich ins Gras. Das Kleinkind wurde wieder heruntergelassen, weshalb es damit begann, einem Schmetterling nachzulaufen. Oder nachzustolpern. Wie man es auch immer nennen wollte.
„Hi", brachte ich heraus, nachdem wir fast eine Minute lang die anderen stumm beobachtet hatte. Das machten wir oft. Regulus setzte sich zu mir und dann sahen wir den anderen zu, wie sie ihre Massenveranstaltung abhielten. Ich mochte es eigentlich ganz gerne.
„Ist auf der Erde bei dir alles in Ordnung?", wurde ich freundlich gefragt.
„Denke schon. Wir sind bisher nicht aufgeflogen", gab ich zu. Ich hatte keine Ahnung, ob Regulus vielleicht eine längere Antwort erwartete. Ich wusste allerdings auch nicht, wie ich das Ganze in die Länge ziehen sollte. In Ordnung war so ein dehnbarer Begriff. Für mich war die Welt in Ordnung, solange ich nicht aufgeflogen war. Also genügte die Antwort.
„Und was ist mit Draco? Führt ihr immer noch eure Beziehung?", wurde weiter nachgehakt.
„Wir haben noch immer Sex." Ich würde unsere Vereinbarung zwar nicht als Beziehung bezeichnen, aber wenn mein Gesprächspartner wollte, durfte er unsere Abrede gerne so bezeichnen. Ich hoffte nur, dass es in der Beziehung mit Lydia um mehr ging, aber soweit ich es beurteilen konnte, wirkte es so. Sie schienen sich wirklich gerne zu haben, jedenfalls erinnerte mich ihr Verhalten viel mehr an Sirius und Carolin oder Marlon und Yasmine als an Draco und mich.
„Das freut mich, zu hören", kam es dieses Mal etwas verunsichert von Regulus. Bisher hatte er immer so auf diesen Kommentar reagiert. Vermutlich wusste er nicht, wie er mit der Information umgehen sollte, so wie ich mich oft fragte, was ich nun mit einer Antwort tun sollte.
Wir verfielen wieder ins Schweigen. Die anderen um uns herum waren noch immer in ihre Gespräche vertieft. Die Kinder liefen wild durcheinander, scheinbar schon in ein paar Spiele vertieft. Ich brauchte ein paar Sekunden, um meinen Vater und Carolin in der Menschenmasse zu finden. Sirius stand bei seiner Adoptivfamilie und half eher schlecht als recht das gemeinsame Riesenpicknick mit vorzubereiten. Zwar hatten James und eher einige Sachen für dieses in der Hand, doch anstelle die Speisen, Teller und das Geschirr auf die aus dem Nichts erschienenen Tische zu verteilen, plapperte er lieber mit den Leute. Das änderte sich erst, als die wesentlich fleißigere Carolin ihm breit grinsend den Nudelsalat aus der Hand nehmen wollte, den er die ganze Zeit festhielt.
Schließlich legte sich das Gewusel wieder etwas. Das Buffet war fertig aufgebaut, die Tische gedeckt, weshalb sich jetzt doch alle daran erinnerten, warum sie eigentlich hier waren. Sie wollten essen. Langsam aber sicher fingen die Leute an, das Buffet zu plündern, und sich danach auf den langen Bierzeltgarnituren hinzusetzen.
Regulus und ich bewegten uns noch immer nicht. Wir sahen dabei zu, wie die Menschenmasse sich an dem Buffet vorbeischob. Erst als es dort etwas Ruhiger wurde, rappelte sich der biologische Bruder meines Vaters wieder auf. Er rief nach seinem Sohn, welcher auch sofort angedackelt kam. Dann hielt er mir auffordernd eine Hand hin.
Ich seufzte leise. Das war es mit meiner ruhigen Pause. Wenn selbst Regulus meinte, es war Zeit um sich dazu zu setzen, hatte ich wohl keine Wahl als zu verschwinden oder zu folgen. Da ich kein Interesse an meiner Traumwelt hatte – im schlimmsten Fall warteten dort Albträume auf mich – rappelte ich mich auf. Etwas langsamer als notwendig lief ich zu dem Büffet, suchte mir dort etwas zu essen nur um dann nach einem Platz Ausschau zu halten. Das war der Nachteil, wenn man sich als letzte hinsetzte, man hatte nicht mehr so wirklich die Wahl.
Zum Glück hatte Sirius so weit mitgedacht, dass zwischen ihm und Carolin noch ein Platz frei war. Offensichtlich hatten sie ihn für mich freigehalten. Ich seufzte leise. Dann ging wohl meine Sozialisierung weiter. Beim Essen würde ich definitiv nicht um ein Gespräch mit James und Lily Potter herumkommen, wo sie doch genau gegenüber von meinen Eltern saßen.
Etwas widerwillig schlich ich dorthin. Wahrscheinlich genauso widerwillig wie sich Natasha auf die Kriegsnymphenfamilie einließ. Meinem Vater war es wichtig, dass ich in seiner Familie ankam. Wahrscheinlich würde es mir auch die Eingewöhnung in der Totenwelt leichter machen, wenn ich gut genug mit ihnen auskam, um mich an sie zu wenden. Auch wenn Sirius es gerade nicht wusste, unterm Strich machte er mit mir gerade das Gleiche wie ich mit Natasha. Er half mir dabei, meinen späteren Weg zu ebnen, auch wenn ich es gerade noch nicht so ganz gut fand.


Hexagramm - PhönixrufWo Geschichten leben. Entdecke jetzt