Kapitel 19

22 4 20
                                    

JAN

Ich starre immer noch auf die Fußspuren im Sand. Dort wo sie eben noch stand. Mit mir geredet hat, wo wir uns gegenseitig von unseren tiefsten Gefühlen erzählt haben. Und jetzt bin ich allein. Alles ist auf einmal um ein paar Grad kälter. Der Wind pfeift und Wolken schieben sich vor die Sterne.

Ich hasse das Gefühl allein zu sein. Und doch bin ich es immer öfter. Weil ich mich nicht aufraffen kann etwas mit den Jungs zu machen. Ich bin allein, weil ich es nicht schaffe sie zu besuchen. Erst gestern habe ich es mir vorgenommen und bin dann doch nach Hause gegangen. Auch wenn ich sie so unendlich vermisse, sie schafft es immer mich aufzubauen, mit ganz ähnlichen Worten wie Maila vorhin. Doch seitdem meine Mutter nicht mehr da ist, ist es so erschreckend bei ihr zu sein. So beängstigend und erdrückend, auch wenn ich weiß, dass sie mir helfen könnte. Und ich weiß auch, dass ich ihr wehtue. Furchtbar wehtue, weil ich nicht vorbeikomme.

Meine Augen füllen sich mit Tränen und mein Herz schmerzt so sehr, dass es mich völlig zerreißt. Ich sehe zu den Sternen und denke an meine Mutter. Sie würde mich jetzt in den Arm nehmen und fest drücken, doch die Tatsache, dass da niemand mehr ist, macht es noch so viel schlimmer. Aber ich weiß auch, dass es niemand ändern kann. Sie könnte es besser machen, doch...zu ihr traue ich mich nicht. Zu groß die Angst, was sie sagen könnte. Doch es bringt nichts, dass Gespräch immer weiter weg zu schieben und irgendwann ist es zu spät.

„Mama? Hörst du mich?" Ein weiterer Schluchzer zerreißt die Stille. Mein Schluchzer. Meine Tränen und mein Schrei, in der Hoffnung das der Druck auf meiner Brust etwas leichter wird. Doch das wird er nicht.

„Ich vermisse dich so. Alle sagen es wird leichter, doch das Gefühl habe ich nicht. Ich ersticke, wenn ich nicht hier draußen bin. Das Meer ist alles, was von dir bleibt. Doch eben ist Maila gegangen und ich habe das Gefühl, dass mir auch das Meer dieses Mal nicht helfen kann. Ich möchte zu dir. Ich möchte, dass du mich in den Arm nimmst, mir sagst, dass ich das Schaffen werde, dass ich nicht aufgeben darf. Doch du bist nicht da. Und das ist das Schwerste und doch muss ich irgendwie lernen es zu akzeptieren. Und ich bin selbst schuld, dass all die anderen Probleme existieren, da ich derjenige bin der sie verursacht." Ich schlinge meine Arme um meinen Oberkörper und presse meine Lippen zusammen. Die Tränen aufzuhalten habe ich schon längst aufgegeben.

„Und es tut mir leid, dass ich versuche dich zu vergessen, dass ich nicht zu deinem Grab gehe, weil es so weh tut. Ich würde so gerne. Ich möchte dir das geben, was du verdienst. Doch dort hinzugehen ist wie dich noch einmal sterben zu sehen. Meine Beine versagen, ich kriege keine Luft mehr und ertrinke in einem Abwärtsstrudel meiner eigenen Gedanken."

Wenn sie mich hören würde, wüsste ich genau, was sie sagen würde. Das es ihr leidtut, dass sie uns nie wehtuen wollte und wenn sie könnte, dafür sorgen würde, dass all der Schmerz verschwindet. Wir, ihre Familie, waren stets das Wichtigste für sie. Und ich vernachlässigte genau diese. Meinen Vater sehe ich lediglich beim Frühstücken und Abendessen, mit meiner Schwester spiele ich nur noch selten und bei ihr habe ich mich auch nicht blicken lassen. Zuletzt habe ich sie bei der Beerdigung gesehen. Ich sollte mich wirklich schämen.

„Bitte tu doch was" schluchze ich und verfluche mich gleichermaßen, dass mir mein Herz einredet es wird leichter, wenn ich all meine Sorgen in die Dunkelheit schreie, auch wenn mein Verstand genau weiß, dass ich mich nur lächerlich mache.

Ich streiche schließlich alle übriggebliebenen Tränen weg und möchte gehen. Keine Verabschiedung Jan? Mein Herz wird schwer. Ich höre ihre Stimme immer noch in meinem Geist. Wie sie so oft, vor der Schule noch einen Abschiedskuss und ein „Ich habe dich lieb" erwartete, was mir einfach nur peinlich war. Wie gerne ich diesen Moment noch einmal hätte. Stattdessen starre ich in den Himmel und schlucke. „Hab dich lieb Mama, grüß die Sterne von mir, sag ihnen sie sollen für Maila noch ein bisschen heller strahlen.", flüstere ich und verlasse schließlich den Strandabschnitt.

Wenn Die Sterne Für Uns FallenWhere stories live. Discover now