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Langsam öffne ich meine Augen, um einen Blick auf die Uhr zu werfen. Ich seufze. Viel zu früh, an einem Samstagmorgen überhaupt daran zu denken, aufzustehen. Deswegen versuche ich noch einmal einzuschlafen. Vergeblich. Die Sonne draußen ist schon längst aufgegangen, Anfang Juni ganz normal. In der Ferne lässt die Sonne durch ihre Strahlen das Meer glitzern. Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir jetzt am Meer leben. Jeden Morgen wache ich aufs neue auf und erfreue mich über den Blick auf das schöne Blau zu meinen Füßen. Ich empfand das Meer schon immer faszinierend. Wie sehr mich allein der Anblick beeinflussen und entspannen kann. Daher kam es mir vor wie im Traum, als meine Eltern mir vor drei Jahren verkündeten, wir würden den Schritt wagen und aus Deutschland nach Italien an die Küste auswandern. Es war auch ihr Traum. Zwar nicht so wie ich, nur am Meer zu wohnen, sondern vielmehr, ihre eigenen Weinberge zu haben und Wein anzubauen. Meine Eltern sind Winzer und haben schon in Deutschland Wein angebaut. Doch sie hat es in die Ferne gezogen, in die Sonne, und, wie mein Vater zu sagen pflegte, ihr eigener Chef zu sein. Was ihnen auch ziemlich gut gelingt, denke ich, als ich noch etwas träge meine Bettdecke zurückschlage und aufstehe, um mich an die Glasfront meines Zimmers zu stellen. Vor mir fällt der Hügel, auf dem unser Haus steht, langsam ab und schließt letztlich mit dem Meer ab. Kleine weiße Dreiecke sehe ich, aber auch größere Schiffe, die im Hafen anlegen. Ich verliere mich in den vielen Kleinigkeiten, die ich auf dem kühlen Blau ausmachen kann, erkenne schon mein nächstes Werk darin und überlege, wie ich es auf meine Art auf die Leinwand bringen kann. Am Rand der Glasfront meines Zimmers steht meine Staffelei mit einem bereits begonnenen Werk von mir- unverkennbar und typische Blautöne gehen bereits ineinander über. Inspirierend. Das ist das Meer für mich. Jedes Jahr seit ich klein bin, sind wir im Sommer ans Meer gefahren, um die Sommerferien zu verbringen. Meistens nach Italien, die Heimat meines Großvaters. Kein Wunder, dass ich mich so zu den südländischen Temperaturen und dem Leben hier hingezogen fühle.

Ich reiße meinen Blick los und beschließe, die Ruhe im Haus noch zu genießen, bevor meine Familie aufwacht und mache mich, noch in meiner kurzen Schlafshorts und Top, auf in die Küche. Langsam trete ich aus meinem Zimmer und tappe die große, rustikale Treppe nach unten. An jeder freien Stelle an der Wand befinden sich Auszeichnungen, Diploma und Bilder. Meine Eltern besitzen ein Weingut mit ihrem eigenen Wein. Ihr Traum. Wenn ich mir die Bilder zum tausendsten Mal so anschaue, kommt mir ein Gedanke, unterschwellig, so, als sei es etwas wichtiges, aber ich bin noch zu dösig, als dass es mir direkt einfällt. Nachdem ich mir einen Kaffee gemacht und mich auf unsere hölzerne, weitläufige Terasse gesetzt habe, nehme ich einen Schluck, um etwas wacher zu werden, damit ich den Gedanken, der sich noch unter der Oberfläche befindet, heraufzuzerren. Heute ist Samstag, denke ich. Ein Tag wie jeder andere, weil ich gerade Smesterferien habe und das nächste Semester erst im September anfängt. Mit einem Schlag bin ich hellwach. Auch mit nur einem Schluck meines extrastarken Espresso. Fort ist die Ruhe in mir. Heute ist die Vorstellung der neuen Weinsorte meiner Eltern! Bevor ich meine Gedanken weiter sortieren kann, was ich noch alles zu tun habe, höre ich innen auch schon Schritte. Auch ohne mich umzudrehen, weiß ich, wer es ist. Tschüss Ruhe...

"Guten Morgen", grüße ich meine Schwester und kippe den Rest meines Espresso runter. Clarissa, meine kleine Schwester ist auch noch im Schlafanzug und setzt sich, ohne auch nur ein Wort zu sagen, neben mich. "Kaffee?", frage ich und bekomme nur ein Nicken als Antwort. Ich muss grinsen, sie war immer die Langschläferin in unserer Familie gewesen. "Warum bist du denn so früh wach?"  "Mama hat mich aufgeweckt.", kommt es von ihr, als sie jetzt doch aufsteht und zu mir in die Küche schlurft, während ich dabei bin, ihren Kaffee zuzubereiten. Bevor ich etwas darauf erwidern kann, höre ich auch schon unsere Eltern die Treppe herunterkommen. Mit der Ruhe ist es jetzt endgültig vorbei.

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"Wie schaut euer Plan aus?", frage ich meine Eltern, als wir alle am Frühstückstisch sitzen und uns für den Tag stärken, der uns bevorsteht. "Es gibt noch einiges vorzubereiten", antwortet mir mein Vater. "Aber es ist alles unter Kontrolle, ich muss noch ein paar Sachen mit Pedro absprechen." Pedro und seine Frau sind die Kooperationspartner und mittlerweile Freunde meiner Eltern. Mit ihnen zusammen bringen sie ihre neue Weinsorte heraus. Sie sind auch Winzer und wollten sich für dieses Projekt fusionieren. Da haben nicht nur die Trauben gematcht, sondern auch die Freundschaft. Mein Vater und Pedro sind unzertrennlich und planen schon weitere Projekte gemeinsam. "Ich kann euch gerne bei der Vorbereitung helfen", biete ich großzügig an. "Nicht nötig", antwortet meine Mutter lächelnd. "Das Einzige, was euer Vater und ich von euch erwarten ist Pünktlichkeit. Wir wissen ja alle, wie kurzfristig du dich immer fertig machst", mahnt sie halb im Spaß halb im Ernst und zeigt mit ihrem Glas Orangensaft auf mich. Oh man, Mama. Ich habe den ganzen Tag frei. Es ist Anfang Sommer. Ich habe noch keine Verpflichtungen. Bevor sie mir doch noch eine Aufgabe aufschwatzen kann, lasse ich ihren Beitrag unkommentiert und schiebe mir noch einen Löffel Müsli in den Mund. Da ich den sonnigen Morgen auskosten will, nehme ich mir vor, ihn am Pool zu verbringen. Jetzt schon ist es zu heiß, etwas anderes zu machen. Zum Glück findet die Feier erst heute Abend statt.

Riiingggg-Riiingggg

"Das ist Pedro", sagt mein Vater, geht ran und verabschiedet sich, indem er uns mit seinem halb aufgegessenen Croissant noch zuwinkt, bevor er sich abmacht. "So Mädels, wir fahren jetzt zum Weingut, um uns mit Pedro und Isabella zu treffen, macht euch einen schönen Tag und etwas Ordnung im Haus, ja?" Schon ist auch unsere Mutter aus der Haustür raus und kurz darauf hören wir, wie unsere Eltern mit einem lauten Brummen davonfahren. Die Weinberge sind noch ein ganzes Stück den Hügel hinauf, wo auch in der Nähe die Feier stattfinden wird.

"Auf einen entspannten Tag, zumindest für uns", prostet mir Clarissa mit ihrer Tasse zu. Entspannter als für unsere Eltern auf jeden Fall denke ich mir, als wir einander zuprosten.

Tainted LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt