- Prolog -

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4 Jahre nach dem Niederfall

Die Schüsse hallten durch die Kleinstadt und bohrten sich in Asavis Trommelfelle. Ihr Vater hatte sie in die Scheune geschleppt und trotz ihrer wütenden Schreie nicht nachgegeben.

Jetzt war er dort draußen und sie hier drinnen. In der stickigen, heißen Dunkelheit, während vor dem Tor das aggressive Geschrei bewaffneter Männer durch die ausgestorbenen Straßen hallte. Asavi umklammerte den Revolver ihres verstorbenen Großvaters fest und unnachgiebig mit der einen Hand und mit der anderen wühlte sie in ihrer Hello-Kitty Tasche nach den Patronen.

Ihr Atem zitterte genauso wie ihre Finger, als sie im schummrigen Licht eine Patrone nach der anderen in den Revolver steckte. Sie ließ den Kopf gegen die Scheunenwand sinken und stieß den Atem aus. Ihr war heiß, furchtbar heiß, keine Brise strich durch die morschen Bretter an ihrem Rücken und kein Tier raschelte im staubigen Heu.

Asavi lauschte auf die Schüsse, zählte mit und deutete mit geschlossenen Augen in die Richtungen, aus denen sie das Knattern der Maschinengewehre hörte. Mindestens vier Männer schossen auf sie, dabei hatten sie nichts mehr. Selbst das zweite Pferd hatten sie töten müssen, um nicht zu verhungern.

Dann erklang ein wilder Aufschrei und Asavi riss die Augen auf. Auf den Warnschrei folgte ein dumpfes, schrilles Fauchen, wie man es aus Tierdokus über Wale kannte und Asavi erstarrte zu Stein.
Die Schüsse wurden erratisch, unkontrolliert und ihr blitzte nur ein einziger, schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Papa. Sie stieß sich von der Scheunenwand ab und zog das schwere Tor unter dem Geräusch rasselnder Ketten auf, drückte sich durch den schmalen Spalt und blinzelte in die gleißende Sonne.

»Papa!«, schrie sie, denn ganz gleich, wer sie hier versuchte wegen der Kleidung an ihren Körpern auszurauben, hatte mit dem Auftauchen eines Engels gröbere Probleme.
Der Hof war von einer massiven Backsteinmauer umrandet und die umliegenden, leeren Geschäfte und Wohnhäuser lagen in der brennenden Mittagshitze ebenso schweigsam da, wie die verkümmerte Vegetation. Auf einem der zerbrochenen Dächer kauerte eine riesige Gestalt.

»Asavi!«

Sie fuhr herum, als ihr Vater durch das verwitterte Tor in der Mauer kam. »Los, lauf! Lauf schon!«

Doch Asavi konnte sich nicht rühren, als sie ihren Papa anblickte und feststellte, dass seine Kleidung blutgetränkt war. Die Einschusslöcher befanden sich an seiner Schulter und am Brustbein. Asavi starrte ihn stumm an, als er keuchend auf die Knie sank.

»Asavi«, röchelte er und verzog das Gesicht. »Bitte.«

Er wühlte mit zitternden Händen in den Taschen seiner schmutzigen Anglerweste und zog einen Plastikbeutel hervor. Darin befanden sich ein Brief und ein Ausweis.

Asavis Lippe fing an zu zittern. »Nein, du kommst mit«, sagte sie trotzig, obwohl sie nach vier Jahren in dieser fürchterlichen Realität längst zu alt war, um trotzig zu sein.

»Mein kleiner Teufel, ich bitte dich«, hauchte ihr Papa und streckte den Arm mit dem Plastikbeutel aus. »Immer nach Westen, hörst du? Immer nach Westen.«

Er sank auf den Boden und Asavi wollte schreien, als die Schüsse erneut erklangen, vermischt mit dem qualvollen Schrei eines Sterbenden und dem hohlen Kreischen des Engels. Aber sie schrie nicht. Sie griff nach dem Plastikbeutel, Worte des Abschieds legten sich auf ihre Lippen, doch die Schüsse ratterten nun direkt in den ausgetrockneten Boden dicht neben der Scheune und Asavi sprang zurück.

Und dann rannte sie, rannte wie noch nie zuvor, weil sie wusste, ganz egal, wie sehr sie ihren Papa liebte, dass der Engel niemals satt sein würde.


[Sci-Fi/Fantasy] Starfall - Wenn der Himmel fälltWhere stories live. Discover now