Der Tod ist keine Lösung

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Die Worte trafen mich irgendwie. 

Sah ich wirklich so aus? 

Schien ich so glücklich zu sein, dass meine schreckliche Vorgeschichte nicht mehr auffiel? 

Hatte ich mich wirklich aus diesen eisernen Ketten befreit?

"Du weißt nicht, wie es sich anfühlt... Du weißt es einfach nicht, weißt es nicht...", sie verfiel in ein monotones Gemurmel, ich sah, wie sich ihre Finger vom Geländer lockerten.

"Doch! Ich weiß es!", rief ich aus, mit einer Kraft, die ich noch nie nicht verspürt hatte, "Ich kenne es, ich weiß es alles! Ich war selbst in diesem scheiß Loch! Ich habe es selbst nicht mehr herausgeschafft!"

Sie hielt inne.

"Verdammt! Ich habe mir selber die Handgelenke aufgeschnitten, um der Qual zu entkommen! Ich habe gesehen, wie das lebenswichtige Element meinen Körper verließ! Und da habe ich gedacht, dass ich endlich frei war! Aber nein! Das war ich nicht! Glaube mir!", ich machte einen weiteren Schritt, "Wie du siehst, überlebte ich! Ich stehe hier, ich rede mit dir! Ich habe die Lücke vergrößert und meinen Horizont erweitert! Ich bin frei, ich lebe mein Leben! Ohne, dass sich irgendwer einmischen könnte! Ich verspreche dir, der Tod ist keine Lösung!"

Sie stand still und regte sich kein einziges Mal.

"Es ist Verzweiflung, die dich in diese Situation zwängt!", ich redete weiter auf sie ein, während ich mich ihr näherte.

"Verzweiflung ist, wenn man weiß, dass man so richtig tief in seinen Problemen steckt. Man hat keine Hoffnung mehr, ist nicht in der Lage, alleine etwas zu lösen. Dauerhafte Verzweiflung endet in Selbstmitleid, es kann bis zum Tod führen. Man ist gelähmt durch so viele unterschiedliche Gefühle, dass man einfach nicht weiß, wo einem der Kopf steht. Es ist eine Emotion, die nur Unglück bringen kann."

Ich war nun bei ihr angekommen. Vorsichtig legte ich meine Hand auf ihre Schulter, sie zuckte leicht zusammen, doch ließ es zu.

"Ich weiß, du hast keine guten Erfahrungen gemacht. Ich glaube dir, wenn du sagst, dass ich nicht ansatzweise verstehen kann, was bei dir zuhause abgelaufen ist. Aber ich will dir eins versprechen: Ich möchte dir helfen, ich will dir zeigen, wie schön die Welt doch eigentlich sein kann. Ich möchte, dass du begreifst, zu was zu selbst im Stande bist. Bitte... Lass es mich probieren... Und wenn du dann immer noch keine Hoffnung hast, dann werde ich dich in Ruhe lassen", sie schluckte, als ich ihr diese Worte zuflüsterte.

"O-Okay...", mein Herz machte einen Satz, als diese Worte die Stille durchbrachen. 

Dann wollte sie sich umdrehen, doch...

... ihr Fuß trat ins Leere. Sie fiel nach hinten, ihre Hände waren nicht mehr am Geländer. Ich sah die Panik in ihren Augen.

"Ich will nicht sterben!"

Reflexartig griff ich nach ihrem Arm und schaffte es tatsächlich, sie in letzter Sekunde zu greifen. Mein Körper wurde ruckartig ans Geländer gepresst und ein stechender Schmerz breitete sich in meiner Magengegend aus. 

Doch ich konnte jetzt nicht loslassen, wenn ich es tat...

"Halte dich fest!", rief ich ihr zu, während sie sich panisch an mein Handgelenk klammerte. Ich stöhnte auf, als ich versuchte, sie nach oben zu ziehen. 

Meine Kraft ließ nach... Ich konnte nicht mehr...

Sie schrie leise auf, als sie ein Stückchen nach unten rutschte. "Hilfe! Bitte...", sie keuchte, als ich erneut meine letzte Kraft zusammennahm und es schaffte, sie zum Geländer zu ziehen. 

Sie klammerte sich an das Metall, als wäre es ihr Hafen in der Dunkelheit, bevor sie sich zittrig auf die andere Seite begab.

Dann weinte sie. Es waren Tränen, die voller Trauer, Schmerz und Reue waren. Ich nahm sie erschöpft in den Arm und wir glitten zu Boden, wo sie in meinen Nacken schluchzte.

Sie klammerte sich an mich, sie suchte die Wärme und Nähe, die auch ich damals vermisst hatte.

"Ich bin froh, dass du nicht gestorben bist", murmelte ich ihr zu.

Es war ein Satz, den ich auch hatte hören wollen, als ich aus dem Koma erwacht war.

Sie weinte in meinem Arm weiter, während ich in den Himmel blickte.

Ja... Freiheit.

Der Himmel war so blau... er war das Ebenbild für einen schönen Tag.

Es war ein Tag, der immer in unseren Erinnerungen verbleiben sollte.


The Winners Take It All | ChishiyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt