Tief in meinem Herzen

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"Wie hieß Ihr bester Freund, wenn ich fragen darf?", wollte ich wissen und er begann erneut zu lächeln.

"Takeru", er räusperte sich, "Danma Takeru. Er wurde häufig auch Hatter genannt, weil er den Hutmacherladen seines Vaters übernommen hatte." Ein Stich fuhr durch meine Brust und für einen ganz kurzen Moment kriegte ich keine Luft.

Schon wieder ein Name, der mir seltsam bekannt vorkam und in mir ein Gefühlschaos auslöste.

"Und Ihre Schwester?", wollte er wissen und ich blickte zu unserem Familiengrab.

"Hayashi Ayumi", antwortete ich ihm. Er zeigte keine Reaktion, bis auf ein Starren ins Leere.

"Entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit, aber kenne ich Sie irgendwoher?", wollte er plötzlich wissen und mein Unbehagen nahm zu.

Er hatte es also auch verspürt.

"Ich weiß es nicht, vielleicht? Sie kommen mir auch bekannt vor, nur, dass ich Sie nicht zuordnen kann", erwiderte ich. Er schien zu überlegen.

"Mein Name ist Aguni Morizono", stellte er sich vor und ich spürte das unangenehme Kribbeln in meiner Magengegend.

Bekannt, aber auch irgendwie unbekannt.

"Hayashi Ayuna", erwiderte ich aus Höflichkeit, bevor ich mich noch einmal verbeugte.

Auf einmal hatte ich das Verlangen, diesen Ort so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Ich fand diese unbestimmten, komischen Reaktionen meinerseits gruselig und außerdem konnte ich mit meinem kaputten Fuß noch immer nicht allzu lange stehen.

"Es war nett, Sie getroffen zu haben, Aguni-san", verabschiedete ich mich deshalb und er schenkte mir noch ein aufmunterndes Lächeln, bevor ich mich zum Gehen wandte.

Ich mochte nicht, was sich hier entwickelte. Hatte ich ein Trauma? War es einfach nur Einbildung?

Einbildung ist schließlich auch eine Bildung.

Vielleicht versuchte mein Körper, mir irgendetwas mitzuteilen, was hinter meinem Horizont lag. Etwas, wonach ich niemals greifen könnte.

Mein Blick glitt auf ein besonders gepflegtes Grab, es schien ebenfalls noch recht neu zu sein.

Sakusa Yuki.

Mein Körper legte eine Vollbremsung ein. In mir tat sich etwas, was ich nie verstehen würde.

Ein unvorstellbar großer Schmerz überrollte mich, mein Herz zog sich zusammen. Die Traurigkeit kam mit voller Wucht.

Erschrocken fasste ich mir an die Augen. Sie waren feucht...

Ich weinte?

Warum?

Es war eine fremde Person, verdammt nochmal!

Mein Entschluss stand fest. Etwas stimmte nicht mit mir, mein Verstand schien verrückt geworden zu sein.

Krampfhaft wandte ich mich vom Grab ab und verließ den Friedhof, so schnell es mir auch möglich war.

Ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass ich ihn nicht mehr so schnell besuchen würde.

Noch immer aufgewühlt machte ich mich auf den Rückweg in die Hölle.

Verdammt, ich schlitterte von einem Problem ins nächste, ohne, dass mir auch nur ein kleines bisschen Ruhe gegönnt wurde.

Genervt zog ich meinen Haustürschlüssel aus der Tasche und wurde die letzten Meter ein wenig langsamer, um mich zu sammeln, bevor ich die Tür zu unserem Haus aufschloss.

Zu meinem Pech waren sie beide zu Hause. Mutter kam mir gleich entgegen, als ich meine Schuhe im Flur auszog.

"Willkommen zurück, Ayu!", ihre Stimme klang unnormal fröhlich. Ich sah sie wütend an. "Noch einmal der Spitzname und du wirst es bitter bereuen", fauchte ich sie an und ihr freudiges Gesicht änderte sich in ein Ernstes. Sie hatte anscheinend nicht mit dieser Antwort gerechnet.

"Pass bloß auf, wie du mit mir redest, Fräulein", ich hasste es, wenn sie so mit mir sprach. Es fühlte sich an, als dachte sie noch immer, dass ich nur ein kleines Kind war.

Sie sah auf mich hinab.

"Ich glaube, dass du da eine falsche Erwartung hast, Mutter", das letzte Wort zischte ich nur noch, "Ich bin nur hier, weil ich keine andere Wahl habe. Also macht es wie vorher und ignoriert mich einfach!"

Konnten sie nicht sehen, dass ich andere Probleme hatte?

Nein, wahrscheinlich nicht.

Mutter sah mich an, ich konnte nicht herauslesen, was sie dachte.

"Gib mir drei Wochen, dann bin ich aus dieser Hölle raus", drohte ich ihr, "Und wenn ihr auch nur versuchen solltet, mein Leben zu kontrollieren, dann werdet ihr Probleme kriegen, die euch die Sprache verschlagen werden!", mit diesen Worten stürmte ich an ihr vorbei und schloss mich in mein altes Zimmer ein.

Verdammt, ich fühlte mich wieder wie ein Kind.

Auch eine Richtung, die ich nicht hatte einschlagen wollen.

The Winners Take It All | ChishiyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt