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Eigentlich war mir immer egal, was mit meinen Zeichnungen passierte. Sie waren meine Art, mich auszudrücken und dennoch wäre ich weder traurig noch wütend gewesen, wenn jemand die in den Müll geschmissen oder verbrannt hätte. Hab ich häufig genug auch selber gemacht, wenn ich das Gefühl, was ich in die Zeichnung fließen ließ, nicht mehr ertragen habe. Gebracht hat es zwar nichts, aber ich hab es trotzdem immer wieder gemacht.
Am nächsten Morgen brachten mich meine Eltern zur Schule. Im ersten Moment dachte ich mir nichts dabei, doch es sollte alles ändern. Statt in den Unterricht zu gehen, musste ich nämlich mit meinen Eltern ins Büro des Direktors. Dieser legte meinen Eltern alle Zeichnungen der letzten drei Jahre vor und ich sah Überraschung in ihren Gesichtern. Allesamt, wie schon erzählt, in schwarz-weiß. Und es war alles dabei. Tiere, Stillleben, Blumen, Skylines, Porträts, ein kurzer Comic, Landschaften und die Werke der letzten zwei Wochen. Eine Zeichnung erweckte sogar mein Interesse, denn ich konnte mich nicht daran erinnern, sie im Unterricht auf Papier gebracht zu haben. Zu sehen war meine gesamte Klasse auf der Treppe im Schlossgarten in Schwerin. Das Seltsame war, dass ich das genau so nur auf dem danach herum geschickten Klassenfoto sehen konnte. Und es gab noch ein Detail, auf das der Schulleiter die Aufmerksamkeit meiner Eltern lenkte. Alle standen eng zusammen, wie so oft auf Fotos üblich, aber eine Person stand abseits. Auf dem Originalfoto war das nicht so und in Kombination mit all meinen anderen Werken meinte der Schulleiter, dass das Kollegium sich Sorgen um mich macht. Nicht, weil ich so wunderbar zeichnen konnte, auch ohne Vorlage, sondern weil sie der Meinung sind, dass sich hinter all meinen Werken eine Botschaft verbirgt. Innerlich musste ich kurz schmunzeln. Meine Lehrer übten sich also in Detektivarbeit, ist ja interessant. Und offensichtlich haben sie sich gar nicht so doof angestellt, sonst hätte ich nicht mit meinen Eltern dort gesessen. Das Gespräch blieb auch nicht ohne Folgen.
Ich wurde zu einer Psychologin geschleppt und von diesem Zeitpunkt an wurden meine eigentlichen Sportstunden durch Therapiestunden ersetzt. Ich fand das überhaupt nicht so schlimm, weil ich den Unterricht sowieso gehasst habe. Nicht, weil ich ein Problem mit Sport hatte, sondern aus dem einfachen Grund, dass ich in der Klasse nicht dazu gehörte. Und leider galt das auch für jegliche Gruppenaktivitäten, wo Sport nun einmal auch dazu zählt. Wie dem auch sei, ich latschte also zweimal in der Woche zu meiner Psychologin und durfte dafür die ohnehin schlimmsten Stunden ausfallen lassen. In den ersten Wochen hatte ich so gar keinen Bock auf die ganze Therapie-Sache und ließ das meine Therapeutin auch spüren. Meine Eltern fragten die ersten zwei Wochen noch nach, wie es so lief, aber da ich mir ihnen eh nie über Sachen, meine Gefühle betreffend, redete erfuhren sie auch nichts. Abgesehen davon, dass es die ersten Wochen auch wirklich nichts zu erzählen gab. Also außer dass ich da saß und mich von meiner Therapeutin zutexten ließ, ohne überhaupt annähernd zuzuhören. Es gab jedoch eine Sache, über die ich die ganze Zeit über sehr froh war, nämlich die Schweigepflicht meiner Psychologin. Wer weiß, ob ich sonst nicht wieder zum Sportunterricht gemusst hätte wegen unkooperativem Verhalten.
Vier Wochen später war ich nicht ein Stück motivierter, aber meine Therapeutin war hartnäckig. Als ich zur Therapiestunde kam, legte sie mir mehrere Bleistifte, Anspitzer, Radiergummi und ein Zeichenbuch hin. Dann lehnte sie sich zurück und beobachtete mich.
„Was soll ich jetzt damit?", fragte ich sie.
„Mach was du willst", lautete die einzige Anweisung.
Damit konnte ich nicht umgehen. Ich wusste überhaupt nicht, was ich tun sollte.
Sie schien meine Unsicherheit zu bemerken. „Okay, wir fangen einfach an. Erste Aufgabe: Wer bist du und wie bist du?"
Ich dachte nach. Die Fragen konnte ich nicht beantworten.
„Du hast so viel Zeit, wie du brauchst", sagte sie und dann saß sie einfach stumm mir gegenüber und beobachtete mich.
Ich dachte nochmal nach, aber mir fiel einfach nichts ein. Also begann ich einfach irgendwas zu zeichnen. Ohne groß darüber nachzudenken führte ich den Stift übers Blatt und nach und nach entstand eine Höhle, in der im Lichtkegel eines Sonnenstrahls ein Mädchen zu sehen war. Klein und direkt an die Wand gekauert, das Gesicht auf den Armen abgelegt und mit angezogenen Beinen saß es da. Ich betrachtete mein Werk und dachte nach, denn irgendwas passte mir noch nicht so. Nach kurzer Zeit fiel es mir ein und ich zeichnete noch schnell eine dunkle Wolke, die den Großteil der Sonne verdeckte. Ich schloss die Augen und atmete zweimal tief durch. Dann öffnete ich meine Augen wieder und sah mir noch einmal meine Zeichnung an.
Ich reichte das Blatt an meine Therapeutin, die es sich eine ganze Weile stumm anschaute. Obwohl ich mir sehr große Mühe gab, konnte ich nicht im Ansatz erahnen, was sie dachte.

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⏰ Last updated: Feb 03, 2023 ⏰

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Vom Schatten ins (Rampen-)LichtWhere stories live. Discover now