Weg mit dem Mathebuch!

7 1 0
                                    

Gandalf pfiff, wahrscheinlich nach seinem Pferd, das ich ja vorhin verscheucht hatte. Ich hatte so meine Zweifel daran, dass sein Gepfeife irgendwas bringen würde. Das Pferd war mittlerweile mit Sicherheit über alle Berge. Gandalf konnte froh sein, wenn er es überhaupt irgendwann wiedersah.

Nachdem er gut fünf Minuten pfeifend in der Gegend herumgestanden hatte, passierte etwas zumindest für mich sehr überraschendes. Das Pferd kam tatsächlich über den Hügel, über den es vorhin abgehauen war, zurückgaloppiert. Das Tier blieb neben seinem Herren stehen. Überrascht starrte ich es an. Gandalf gab ein Lachen von sich. "Mach doch bitte den Mund zu.", sagte er belustigt. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass mein Mund offen gewesen war. "Wie haben Sie das gemacht? Das Pferd muss doch sau weit weg gewesen sein! Wie hat es Sie gehört?", fragte ich verwundert.

Gandalf lächelte nur und griff nach den Zügeln des Pferdes. Dann lief er los. Er machte keine Anstalten, auf das Pferd zu steigen. Gandalf und sein Pferd hatten sich schon ein paar Meter von mir entfernt, als ich endlich kapierte, dass ich vielleicht mitlaufen sollte. Ich machte ein paar schnelle Schritte um aufzuholen und fiel dann in Gandalfs gemütliches Tempo ein.

Wir liefen eine ganze Weile schweigend nebeneinander her. Da Gandalf nicht mit mir sprach und ich keine Ahnung hatte, über was man mit Zauberern sprechen konnte, hatte ich Zeit, mir die Landschaft etwas genauer anzusehen. Es war wirklich schön hier. Weit und breit sanfte grüne Hügel und vereinzelte Bäume. Am Himmel war nicht eine einzige Wolke zu sehen, und obwohl die Sonne schien, war es nicht zu warm. Ein leichter Wind blies mir die Haare durcheinander.

Irgendwann holte Gandalf eine Pfeife und einen kleinen Beutel unter seinem Umhang hervor. Er schüttlte irgendein Pulver aus dem Beutel in die Pfeife, steckte den ihn wieder weg und zündete die Pfeife an. Zum Anzünden hatte er offenbar Magie benutzt, da ich weder ein Feuerzeug noch Streichhölzer entdecken konnte. Gandalf nahm ein paar Züge und hielt dann mir die Pfeife unter die Nase. Ich zuckte mit den Schultern und nahm sie. Wieso auch nicht? Vielleicht würde das Zeug, das Gandalf da rauchte, meine Laune ja etwas verbessern.

Ich nahm einen tiefen Zug, vergaß, wieder auszuatmen, und musste husten. Gandalf lachte. "Ich hab noch nie geraucht.", keuchte ich zwischen ein paar Hustern. "Man gewöhnt sich daran.", gab Gandalf zurück. Ich versuchte einen zweiten Zug, musste aber wieder husten. Danach befand ich, dass es eine bessere Idee war, das Rauchen fürs erste Gandalf zu überlassen. Mein Hals brannte ein wenig und auch der Husten hörte nur langsam auf. Ich gab ihm seine Pfeife zurück.

"Was hast du eigentlich in diesem Rucksack?", fragte Gandalf, nachdem er noch ein paar mal an seiner Pfeife gezogen hatte. "Einen ganzen Haufen unnötigen Blödsinn.", antwortete ich, "Stifte, Blöcke, Hefter, Bücher und anderen Kram." "Was für Bücher sind das, die die Bezeichnung unnötig verdienen?", fragte Gandalf verwundert. Die Tatsache, dass er diese Frage überhaupt stellen musste, deutete darauf hin, dass er noch nie ein Mathebuch zu Gesicht bekommen hatte. Der Glückliche... "Schulbücher... in den meisten steht nur Müll drin.", antwortete ich. Gandalf zog eine Augenbrauche hoch. "Wieso sollte man Bücher über Müll schreiben?", fragte er. "Naja, irgendwer hat sich irgendwann mal gedacht, dass Mathe total wichtig ist und deshalb gibt's da eben Bücher drüber... ich versteh' absolut nicht, was daran wichtig sein soll.", erklärte ich.

"Mathe? Davon habe ich noch nie gehört. Ist das eine Art von Magie?", fragte Gandalf weiter. Ich konnte einfach nicht anders als laut loszulachen. Gandalfs verwirrter Gesichtsausdruck verschlimmerte meinen Lachanfall nur noch. "Entschuldigung... Entschuldigung!", keuchte ich, als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte. "Also wenn Sie mich fragen, ist es auf jeden Fall irgendein fauler Zauber... meine Lehrer behaupten da aber was anderes."

Gandalf musterte mich mit einem interessierten Blick. "Zeig mir dieses Buch doch mal. Vielleicht kann ich dir ja etwas mehr dazu sagen.", schlug er vor. Ich wäre fast wieder in schallendes Gelächter ausgebrochen. Ich wagte zu bezweifeln, dass Gandalf mir überhaupt irgendetwas über Mathe sagen konnte, wenn er noch nie zuvor davon gehört hatte. Ich lernte den Mist seit mittlerweile zehn Jahren in der Schule und konnte trotzdem nicht unbedingt brauchbare Aussagen dazu treffen.

Ich verkniff mir aber einen weiteren Lachanfall. Stattdessen blieb ich stehen, schwang meinen Rucksack vom Rücken, knallte das Teil auf den Boden und begann, mein Mathebuch zu suchen. Ich fand es ziemlich schnell. Erkennbar war es an einem extrem hässlichen blauen Umschlag, den ich um das Teil geklatscht hatte, weil sich für Mathe eben die Farbe blau gehörte. Jeder, der etwas anderes behauptete, war entweder farbenblind oder ein Bekloppter. Ich überreichte Gandalf das Scheusaal von einem Buch.

Nachdem der Zauberer zuerst den Einband, dann den Inhalt des Buches einige Minuten lang gemustert hatte und sein Gesichtsausdruck dabei immer mehr in Richtung Verwirrung abgedriftet war, klappte er die Ausgeburt der Hölle wieder zu und gab sie mir zurück. "Was in Mordors Namen ist das?", fragte er. "Das weiß glaub ich keiner...", gab ich zurück.

Ich betrachtete das Buch in meiner Hand einige Sekunden lang und kam dann zu dem Schluss, dass es nichts gab, dass auch nur im geringsten dafür Sprach, es zu behalten. Mir fiel kein unnötigerer Balast ein. Das Leben des Baumes, der dafür gefällt worden war, hätte definitiv für eine bessere Sache eingesetzt werden sollen. Ich warf noch einen Blick auf das Cover. Das blöde Grinsen des Jungen, der da abgebildet war, brachte mich endgültig dazu, das Buch mit voller Kraft über den nächstbesten Hügel zu schwarten. Damit war das Problem dann auch gelöst. Viel mehr als wegwerfen konnte man mit dem Teil eh nicht machen.

"Weder ich noch Sie können mit dem Mist was anfangen... wieso sollte ich es dann weiter durch die Gegend schleppen?", sagte ich, als ich Gandalfs geschockten Blick bemerkte. Er schüttelte mit einem leisen Lachen den Kopf. "Hast du noch anderen Balast, den du loswerden willst, oder können wir weiter?", fragte er schließlich. Ich dachte kurz nach.

Ein paar Minuten später hatten sich mein Deutschhefter, mein Musikhefter, mein Zirkel samt Geo-Dreieck, mein Taschenrechner und meine Geographiesachen dem Mathebuch angeschlossen. Ich hätte mich gern irgendwo bei dem Zeug versteckt und gewartet, bis irgendwer es fand, aber ich hielt es für schlauer, bei Gandalf zu bleiben. Ohne ihn wäre ich hier vollkommen am Arsch. Es hätte sicherlich keine fünf Minuten gedauert, bis ich in irgendwelche Schwierigkeiten geraten wäre.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 11, 2022 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Wie ich in einen Gulli fiel und in Mittelerde landeteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt