32. Kapitel

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Für einen Brunch sah es ziemlich edel aus, so war zumindest meine Meinung. Ich war geschockt von dem ganzen Luxus, doch da schien ich eine von wenigen zu sein. Adrian jedenfalls sah nicht so aus, als würde es ihn sonderlich überraschen. Mir bereiteten die Goldblätter auf den kleinen Häppchen jedoch Unbehagen. Das erste Mal realisierte ich wirklich, in welchen Kreisen Adrian verkehrte und ich merkte, dass ich mich in dieser Welt nicht wirklich wohl fühlte.

Nachdem ich meinen Mantel an der Garderobe abgegeben hatte, führte mich Adrian ein wenig herum und stellte mich einigen Leuten vor. Es waren alle freundlich, doch ich spürte, dass es nur Fassade war. Wenn mich ein Geschäftsmann schleimig angrinste, verspürte ich das dringende Bedürfnis, mich zu übergeben. Ich passte sowasvon nicht in diese Welt.

„Keine Sorge, wir müssen nicht mehr lange bleiben", flüsterte Adrian mir ins Ohr, als er mein Unbehagen wahrnahm. „Nur noch etwa zwanzig Minuten, dann können wir gehen."

Erleichtert atmete ich auf und sagte mir innerlich, dass ich die letzten paar Minuten auch noch überstehen würde.

„Wie schön, dich wiederzusehen, mein Schmetterling."

Mir gefror das Blut in den Adern. Diese Stimme würde ich überall wiedererkennen.

Adrian sah mich verwirrt an und sagte etwas zu mir, doch in meinen Ohren rauschte es nur. Meine Kehle schnürte sich zu. Ich musste sofort hier raus. Ohne mich zu dem Mann hinter mir umzudrehen oder ein Wort zu Adrian zu sagen, befreite ich mich aus seinem Griff und flüchtete in Richtung Toiletten. Als ich mich in der Kabine verbarrikadiert hatte, suchte ich mit vor Panik zitternden Händen mein Telefon in meiner Clutch. Nebenbei hörte ich, wie eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde.

„Gianna, bist du hier?", hörte ich Adrians Stimme. Ich antwortete nicht. Er durfte mich auf keinen Fall so zu Gesicht bekommen, immerhin war er trotz allem noch mein Chef und das hier war eine berufliche Veranstaltung. Ich hörte Schritte, die lauter wurden. „Kleines, ich weiß, dass du da drin bist. Mach die Tür auf." Adrian stand direkt vor der Kabine.

Ich gab keinen Ton von mir. Adrian sollte nicht Zeuge einer meiner Panikattacken werden.

„Gia", sagte er sanft. „Bitte mach die Tür auf und rede mit mir. Zwing mich nicht, sie aufzubrechen."

Ich starrte auf die weiße Kabinentür und atmete tief und gleichmäßig ein und aus. Als ich das Gefühl hatte, meine Panik unter Kontrolle zu haben, verstaute ich mein Telefon in meiner Tasche und stand zittrig auf. Dann öffnete ich die Tür.

Adrian sah mich besorgt an und zog mich sofort in seine Arme. Beschützend hielt er meinen Kopf und wiegte mich leicht. „Was ist passiert?"

Ich löste mich aus seiner Umarmung und merkte, wie meine Sicht allmählich verschwamm. „Können wir gehen?", fragte ich leise, ohne ihm in die Augen zu sehen.

„Natürlich. Erklärst du mir, was da vorhin passiert ist? Wer ist der Mann?", fragte Adrian und nahm meine Hand, wodurch ich ein wenig ruhiger wurde.

„Nicht jetzt, bitte", sagte ich mit flehender Stimme. Wenn ich jetzt darüber sprechen würde, würde ich zusammenbrechen.

„Okay. Komm, wir holen unsere Jacken und dann fahren wir nach Hause", sagte Adrian und küsste mich auf die Stirn.

Gemeinsam traten wir vor die Tür und ich erstarrte.

„Ich habe lange darauf gewartet, Gianna. Ich wusste, du kannst dich nicht ewig vor mir verstecken." Mir kamen die Tränen, als ich den Mann vor mir ansah. Er war die Definition meiner persönlichen Hölle.

„Verschwinden Sie", sagte Adrian mit dominanter Stimme und baute sich schützend vor mir auf.

„Sie sind also ihr neues Schoßhündchen?", lachte André. „Nun, ich war der erste Mann in Giannas Leben und ich lasse mir meinen Platz von niemandem streitig machen."

Ich legte Adrian eine Hand auf den Rücken und spürte, wie er vor Zorn bebte. „Ich sage es nur noch ein einziges Mal", knurrte er leise. „Verschwinden Sie auf der Stelle und wagen Sie es ja nicht, noch einmal Kontakt zu Gianna aufzunehmen, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist."

André sah mich über Adrians Schulter an. Ich schrumpfte bei seinem Blick in mir zusammen. „Wir sehen uns, Schmetterling. Ich brenne darauf, in dir zu Ende zu bringen, was ich begonnen habe."

Seine Worte waren zu viel. Mir wurde schwarz vor Augen und ich spürte nur noch, wie mich jemand auffing, bevor ich auf dem Boden aufschlug. Danach war da nur noch Dunkelheit.




„Gia, mach die Augen auf, komm schon Kleines", hörte ich Adrians Stimme. Es klang, als wäre er unendlich weit von mir entfernt.

Mühsam kämpfte ich, um meine Lider zu heben und schloss sie sofort wieder, als ich es schaffte. Das helle Licht blendete mich.

„Gott sei Dank! Du hast mir so einen Schrecken eingejagt." Eine Hand strich mir über die Haare.

Ich blinzelte, um mich langsam an das helle Licht zu gewöhnen. Als ich mich umsah, stellte ich fest, dass ich mich in einem Krankenhauszimmer befand. Adrian saß auf einem Stuhl neben meinem Bett und sah mich voller Sorge an.

„Hey", murmelte ich. Ich fühlte mich wie benebelt.

Adrian ließ seinen Kopf mit einem erleichterten Seufzen auf die Matratze sinken, bevor er aufstand und mich küsste, als wäre ich seine Droge.

„Was ist passiert?", fragte ich. Meine Erinnerung wies einige Lücken auf.

„Du hattest eine Panikattacke und bist bewusstlos geworden. Die Ärzte haben dir etwas zur Beruhigung gegeben", sagte Adrian. Allmählich kamen meine Erinnerungen zurück. Ich schloss die Augen und spürte erneut die Angst in mir hochkriechen. Der Monitor neben meinem Bett begann zu piepsen.

„Es ist alles gut, Gianna. Dir passiert nichts, das würde ich niemals zulassen, hörst du?" Adrian drückte meine Hand und ich versuchte mich zu entspannen. Im Moment war ich ihm wirklich dankbar, dass er nicht weiter versuchte, irgendwelche Details aus mir rauszukitzeln. Er saß einfach bei mir und hielt meine Hand. Als ich ihn ansah, fragte ich mich, womit im Leben ich ihn verdient hatte.

Ungefähr eine halbe Stunde später betrat ein Arzt den Raum, der mir das gleiche berichtete, was Adrian mir erklärt hatte. Ich hatte eine heftige Panikattacke. Zum Glück teilte der Arzt mir mit, dass es nicht nötig war, mich stationär aufzunehmen, wenn ich das nicht wollte. Ich musste ihm allerdings hoch und heilig versprechen, mich zuhause auszuruhen und auf keinste Weise anzustrengen. Adrian versicherte dem Arzt ebenfalls, dass er dafür sorgen würde, dass ich heute nicht mehr vom Sofa aufstehen würde. Der Arzt gab mir einige Medikamente mit, die ich zur Beruhigung nehmen konnte. Adrian ließ sich haargenau erklären, wie und wann ich die Medikamente einzunehmen hatte, bevor er sich zufrieden gab und den Arzt gehen ließ.

Adrian half mir in meine Kleidung und setzte mich in einen Rollstuhl, den eine Pflegerin gebracht hatte. Ich protestierte vehement, doch Adrian ließ nicht mit sich diskutieren.

„Wenn es nach mir gehen würde, würdest du dir heute nicht mal alleine den Hintern abwischen", brummte er, während er mich durch den Flur schob. Ich blickte entsetzt drein.

„Du wischst mir auf gar keinen Fall den Hintern ab, das kannst du dir sofort wieder aus dem Kopf schlagen", rief ich aus. Adrian lachte.

„Meinetwegen. Aber ansonsten krümmst du heute nicht einen Finger."

Seine Worte schien er durchaus ernst zu meinen. Adrian ließ mich nicht einen einzigen Schritt gehen, sondern bestand darauf, mich vom Auto zum Sofa zu tragen. Er packte mich in warme Decken ein und machte mir einen heißen Tee, bevor er sich zu mir setzte und meinen Kopf auf seinen Schoß zog.

„Ich hoffe, ich habe dir keine Geschäfte versaut", murmelte ich leise, während ich an meinem Tee nippte.

„Hast du nicht. Selbst wenn, wäre mir das total egal, Gia. Ich bin einfach nur froh, dass es dir gut geht", sagte er und strich über meine Stirn, bevor er einen ernsten Gesichtsausdruck an den Tag legte. „Erzählst du mir, was das alles zu bedeuten hatte? Wer war der Mann?"

Ich atmete tief durch und überlegte fieberhaft. Mir fiel beim besten Willen kein Weg ein, wie darum herumkam, Adrian einige schmutzige Details aus meiner Vergangenheit zu erzählen.

„Vertrau mir, Gia. Du kannst mir alles sagen", ermutigte mich Adrian, als ich ihn unentschlossen ansah.

Mit einem leisen Seufzen setzte ich mich auf und zog die Beine an. Nun war die Zeit gekommen, ein unschönes Gespräch mit Adrian zu führen.

Kiss MeWhere stories live. Discover now