Die Wahrheit

4.9K 190 7
                                    

Der Morgen graute schon, als wir wieder an unserem Stützpunkt ankamen. Ich lief am Anfang des Trupps, Kaspian kurz hinter mir und Edmund irgendwo am Ende. Susan saß hinter Belle auf dem Pferd.
Lucy kam aus dem Hügel gerannt und lief auf uns zu. Fassungslos betrachtete sie die Überlebenden. »Was ist passiert?«
»Frag doch ihn!«, antwortete ich wütend und deutete auf Kaspian.
»Ich? Jetzt gibst du also mir die Schuld?«
»Hättest du dich an den Plan gehalten, wäre das alles nicht passiert!«, rief ich.
Der Prinz tat einen Schritt auf mich zu. »Hätten wir es so gemacht, wie ich es gesagt hatte, würden alle noch leben«, konterte er.
Wutschnaubend schüttelte ich den Kopf und hob den Finger. »Du bist aber nicht der König von Narnia. Es ist nicht dein Volk!«
»Mein erster Fehler war es, dich zu rufen«, meinte der Prinz nur.
»Nein«, entgegnete ich. »Dein erster Fehler war es, zu glauben, dass du das Volk alleine führen könntest.«
»Ach ja? Wer hat denn Narnia im Stich gelassen?«
Das war zu viel. Ich zog mein Schwert und wollte zuschlagen, da hatte aber auch schon Kaspian seines gezogen. Gegenseitig hielten wir dem anderen unsere Schwerter an die Kehle.
»Aufhören! Alle beide!«, brüllte Susan und rutschte aus dem Sattel.
Ein Zentaur trat hervor und legte den schwerverletzten Trumpkin vor sich auf den Boden. Lucy rannte an mir vorbei und Kaspian und ich ließen unsere Waffen sinken. Meine kleine Schwester holte ihr Heilelexir aus dem Beutel an der Hüfte und tropfte dem Zwerg einen Tropfen davon in den Mund. Dieser holte einmal tief Luft und verfiel dann wieder in den normalen Atemrhythmus.
»Was steht ihr hier denn so alle rum? Habt ihr nichts besseres zu tun?«, sagte er. Lucy lächelte. Die Soldaten und Kaspian gingen weg und betraten den Hügel. Der Zwerg lächelte Lucy ebenfalls zu und bedankte sich, dann gingen auch die beiden.
Nun standen nur noch Belle und ich auf der Wiese. Sie saß ein paar Meter von mir entfernt auf dem Pferd. Sie starrte mich an, sagte aber nichts. Ich konnte erkennen, dass ihre Augen gerötet waren. Anscheinend hatte sie viel auf den Weg hierher geweint.
Ich wollte gerade etwas sagen, als sie den Kopf schüttelte und mit dem Pferd in Richtung des Waldes trabte. Ich hielt sie nicht auf, denn ich wusste, dass sie eh nicht auf mich hören würde.

Kaspian pov.

Ich habe es so satt immer nach SEINER Pfeife zu tanzen. Er ist viel jünger als ich und denkt, er habe alles im Griff. Gar nichts kann er! Gar nichts.
Ich ärgerte mich über mich selbst. Das ich Peter gerufen habe, war der erste Fehler, aber der schlimmste war, auf ihn zu hören.
Ich lief durch die unterirdischen Hallen. In diesem Teil befanden sich keine Soldaten. Ich betrachtete die Wandzeichnungen, die am Anfang des Ganges zum Steinernen Tisch waren. Irgendwie hatte ich mir die Könige und Königinnen der Alten Zeit anders vorgestellt. Und vor allem dachte ich, dass die Königin von Narnia jemand Besonderes sei. Mein Professor hatte mir Geschichten über sie erzählt, dass sie zaubern könne und Peter vor dem Tod gerettet haben solle, um dann selber von der Weißen Hexe ermordet und dann 'wiederbelebt' worden zu sein. Alles Lügen!
»Der Zauber der Alten Könige und Königinnen hat wohl nicht gewirkt«, sagte plötzlich eine Stimme hinter mir.
Ich drehte mich um. Beinahe hätte ich Nikabrik, einen Zwerg mit einem schwarzen langen Bart und schwarzen zerzausten Haaren, übersehen. Misstrauisch beobachtete ich ihn. Sonst war er mir gegenüber immer unfreundlich gewesen.
»Sie haben versagt. Wir vergeuden nur unsere Zeit, wenn du mich fragst.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte ich vorsichtig.
»Es gibt eine stärkere Macht. Eine Macht, gegen die sogar Aslan nichts ausrichten konnte und das hundert Jahre nicht.« Er nahm eine Fackel aus der Halterung und lief die schmalen Stufen zum Steinernen Tisch hinunter. Ohne zu überlegen folgte ich ihm. Unten angekommen liefen wir zu Aslans Abbild. Ich stellte mich genau davor.
Plötzlich lachte jemand. Erschrocken drehte ich mich um und erblickte ein Wesen, welches aus dem Schatten auftauchte. Sie war eine Art Geier auf zwei Beinen - genau wusste ich es nicht. Sie trug einen Mantel, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
Ein Knurren erklang. Aus der anderen Ecke kam ein Werwolf angelaufen. Langsam. Sein Fell war pechschwarz.
»Los, zeichne den Kreis!«, forderte er die Geierfrau auf.
Sie kam auf mich zugelaufen und murmelte einige unverständliche Worte, als sie einen Kreis um mich herum malte. Dann zog Nikabrik seinen Dolch, griff nach meiner Hand und ritzte sie mir auf, so dass mein Blut warm über die Handinnenfläche floss. Der Werwolf holte einen Stab hervor und stieß ihn genau vor Aslans Abbild in den Boden.
Auf einmal wurde mir eiskalt. Ein Schauer lief mir den Rücken runter. Dort, wo der Stab im Boden steckte, gefror alles und eine Wand aus Eis bildete sich. Dann - ich konnte es kaum fassen - erschien eine Frau. Sie schien in dem Eis gefangen zu sein.
»Komm, Adamssohn«, sagte sie mit einer ruhigen Stimme. »Nur ein Tropfen von deinem Blut und ich bin frei. Dann gehöre ich auf ewig dir.«
Ich riss die Augen auf und schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Das ... das wollt ich nicht.« Ich wusste, wer diese Frau war und wollte den Kreis verlassen, doch der Wolf hielt mich fest. Nikabrik nahm meinen Arm und streckte ihn. Die Weiße Hexe lächelte mir zu und schob ihre Finger durch das Eis.
Auf einmal hörte ich ein Brüllen. Ich wurde von der Hexe zur Seite geschubst und fiel zu Boden. Es war Peter, der nun selber mit erhobenem Schwert im Kreis stand.
»Hallo, Peter. Schön dich wiederzusehen«, begrüßte Jadis ihn. »Nur ein Tropfen und du wärst der mächtigste König in ganz Narnia.«
Ich konnte sehen, wie Peter der Versuchung widerstehen und sich selber die Hand aufschneiden wollte. Gerade in diesem Augenblick ragte eine Schwertspitze aus dem Bauch der Weißen Hexe. Sie riss ihren Kopf nach hinten, breitete die Arme aus und mit einem fürchterlichen Schrei zersprang das Eis. Nun sah ich Edmund, der immer noch mit erhobenen Schwert da stand. Er ließ es sinken und schaute seinen Bruder an.
»Ja ja, schon verstanden. Du hast alles unter Kontrolle.« Er lief die Stufen hinunter an mir vorbei und dann verließ er den Raum. Ich drehte mich um. Am Eingang stand Susan, die erst mich, dann Peter anschaute. Verständnislos schüttelte sie den Kopf und folgte Edmund. Nun sah ich, dass die Geierfrau, der Werwolf und Nikabrik tot am Boden lagen.
Ich erhob mich und schaute zu Peter, der Belle, die ebenfalls im Raum gestanden hatte, hinterherblickte, als sie hinaus ging. Hastig - und ohne mich eines Blickes zu würdigen - rannte er ihr hinterher. Jetzt war ich alleine und ich fühlte mich elender als vorher.

Peter pov.

»Was hab ich dir eigentlich getan?« Ich lief auf sie zu. Belle saß auf einem der Felsen, die in dem Kreis standen.
»Das weißt du ganz genau!«, keifte sie mich an. Sie trug dasselbe wie Susan - einen langen Rock; ein Oberkörperkettenhemd, welches an den Armen nur bis zum Ellenbogen ging; und darüber ein Ledermieder.
»Nein, tue ich nicht!«
Sie musterte mich verwirrt. »Du weißt es wirklich nicht?«
»Sonst würde ich es ja wohl kaum sagen, oder?« Wütend trat ich gegen einen Stein.
Belle holte tief Luft und zog die Beine an. »Es hat mit deinem Verschwinden angefangen..«, begann sie. »Du warst einfach weg und Susan, Lucy und Edmund auch. Keiner konnte mir erklären, wo ihr ward, als ich zurückgekommen bin. Keiner! Ihr ward wie vom Erdboden verschluckt.« Sie hob ihren Kopf. »Wieso hast du keine Nachricht hinterlassen?«
Ich wandte mich zu ihr. »Glaubst du, ich habe das mit Absicht gemacht?«
»Wie soll es denn sonst gewesen sein? Wer ist denn verschwunden?«
»Dasselbe könnte ich dich auch fragen. Du bist doch diejenige gewesen, die einfach von dem einen Tag auf den anderen Narnia »erkunden« wollte! Du bist gegangen!«
»Peter, ich glaube, du verstehst das alles falsch. Es war meine Aufgabe …«
»Es war auch deine Aufgabe, Narnia zu beschützen!«, unterbrach ich sie sauer. »Was hast du getan, als Cair Paravel fiel? He?«
Belle stand auf und stellte sich vor mich. »Ich habe dir hinterhergetrauert, Peter! Jede Sekunde. Du kennst dieses Gefühl nicht, wenn man sich einfach nur leer und hilflos fühlt, oder?« Bei jedem Wort tippte sie mir mit ihrem Finger auf die Brust. »Als alle tot waren, die ich liebte, wollte ich ebenso tot sein. Ich stand am Rand der Klippe, wo einst mein Zuhause war, und wollte springen. Doch da war eine Stimme. Sie sagte: Nein, bitte. Tu es nicht. Und weißt du von wem diese Stimme war? Weißt du es?«, brüllte sie.
Ich schüttelte den Kopf, blieb aber regungslos stehen.
»Es war deine! Ich spürte deine Hand auf meiner Schulter, konnte mich aber nicht umdrehen. Und dann schloss ich die Augen, aber ich konnte nicht springen. Und da wusste ich: Jetzt ist noch nicht die Zeit, um zu sterben. Jetzt ist noch nicht die Zeit, um zu bereuen.« Sie sah mich finster an und sagte dann etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: »Ich hatte dich geliebt, Peter Pevensie. Doch diese Liebe hat das Ende Narnias gebracht.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief zu Aslans Haug.

Die Chroniken von Narnia - Die Rache || Band 2Onde as histórias ganham vida. Descobre agora