Kapitel 10

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Curia kam nur langsam wieder zu sich und blickte sich orientierungslos in der Dunkelheit um.
Links von ihr, wo zuvor die Treppe hinauf zu Sauron führte, befanden sich nur noch Trümmer. Auf ihrer rechten Seite türmte sich ein Geröllhaufen.
Es glich einem Wunder, dass der massive Torbogen über ihr scheinbar nicht den kleinsten Riss bekommen hatte, als das laute Grollen, an welches sie sich erinnerte, so sehr anschwoll, dass der Boden bebte und die Festung zerstörte.
Doch Freude darüber, noch am Leben zu sein, empfand sie keine. Sie empfand gar nichts und nur ein einziger Gedanke herrschte in ihrem Kopf vor. Flucht!
Ein Sonnenstrahl traf auf den, von Steinen übersäten, Boden. Ihm mit den Augen folgend, entdeckte sie eine kleine Öffnung, am oberen Ende eines hohen Geröllhaufens.
Wie in Trance stand sie auf und bewegte sich auf diesen Haufen zu.
Auf allen Vieren kletterte sie hinauf, den Blick fest auf die kleine Öffnung gerichtet, wurde immer hektischer, wenn das Geröll unter ihr nachgab und sie wieder ein Stück hinabrutschte, bis sie schließlich außer Atem die Öffnung erreichte und ihre Hand hinausstreckte.
Sofort wärmten die Sonnenstrahlen ihre tauben Finger und spornten sie noch mehr an.
Stein für Stein brach sie aus der noch vorhandenen, aber brüchigen Decke, bis die Öffnung groß genug war, um sich hindurchzuzwängen.
Um sie herum sah sie nicht mehr als Schutt, Trümmer und tote Orks.
So schnell ihre Beine sie noch tragen konnten, stieg sie den Berg aus Geröll und Trümmern hinab, betrat die freie Ebene und lief los.
Wohin wusste sie nicht, dachte nicht darüber nach, bewegte sich wie durch eine fremde Macht gelenkt und wollte einfach nur weg.

Irgendwann erreichte sie einen kleinen Bach und sank kraftlos auf ihre Knie. Mit beiden Händen schöpfte sie etwas Wasser, um ihren Durst zu stillen und sich zu erfrischen.
Nachdem sich die Wasseroberfläche wieder beruhigt hatte, sah sie darin ihr Spiegelbild.
Blut und Dreck verkrusteten ihre Haut und ihre kurzen Haare, eine blutige Wunde hatte sie über ihrem linken Auge, die Unterlippe an einer Stelle aufgeplatzt.
Hatte es bisher nur den Gedanken an Flucht gegeben, kamen nun die Erinnerungen an ihre Qualen in Saurons Festung und die entsetzten Gesichter ihrer ehemaligen Gefährten, als sie aus dem schwarzen Tor getreten war.
Doch nicht ihre Seele reagierte darauf, wollte die Bilder nicht akzeptieren, konnte sie nicht verarbeiten, sondern ihr Körper. Würgend beugte sie sich nach vorne und übergab sich, bevor sie mit dem bitteren Geschmack von Galle im Mund zur Seite kippte und die Augen schloss.

Etwas warmes und weiches berührte ihr Gesicht und Curia erkannte den Duft sofort.
Tränen bahnten sich einen Weg über ihre kalten Wangen und sie schlang ihre Arme um Bentos Hals.
Er hatte sie gefunden und wie sie nun erkannte, sich sogar neben sie gelegt, was sie die Nacht über warm gehalten hatte.
Noch immer erschöpft, schob sie ihren Körper auf den Rücken ihres Pferdes, bevor Bento sich aufrichtete und loslief.
Es gab nur ein Ziel, welches Curia nun vor Augen hatte, mit Bento konnte sie es erreichen.
„Zu den grauen Anfurten", flüsterte sie wissend, dass er den Weg kannte.

Die Tage flogen an Curia vorbei, während sie versuchte sich auf Bentos Rücken zu halten. Städte und Dörfer mieden sie, sie wollte niemanden sehen oder gesehen werden.
Curia war in Mordor gestorben, sollten das nur alle glauben, denn sie war nicht mehr als eine leere Hülle. Selbst der Gedanke daran, Bento zurückzulassen regte nichts in ihr.
Doch kurz vor ihrem Ziel verließen sie ihre Kräfte endgültig und sie rutschte seitlich von Bentos Rücken, hinein in die Dunkelheit.


Curia lag in einem weichen Bett, es roch nach Blumen. Ihr rechter Arm war verbunden und ihre Haut im Gesicht fühlte sich sauber an. Die Sonne schien durch ein Fenster.
Als habe er ihr Erwachen bemerkt, klopfte ein Mann an und trat gleich darauf in das Zimmer ein. Er hatte einen großen Hut auf dem Kopf, an dem eine blaue Feder befestigt war und trug gelbe Stiefel.
„Darf ich vorstellen, zumeist werde ich Tom Bombadil genannt, doch kennen mich die Elben als Iarwain Ben-adar", sagte er.
Curia reagierte nicht, sah den Mann nur stumm an, weshalb er nach einigen Augenblicken weitersprach.
„Ich fand dich und dein Pferd und brachte euch hierher. Meine Frau Goldbeere hat sich um dich gekümmert. Dein Pferd wollte nicht gerne in unseren Stall, doch ist es hier, im Alten Wald, sicher. Schwer und schmerzhaft scheint die Zeit zu sein, die hinter dir liegt und ich will dich nicht weiter mit meiner Anwesenheit behelligen. Solltest du etwas benötigen, rufe einfach nach Goldbeere, sie wird alles richten. Ruhe dich aus und erhole dich."
Nach einem besorgten Blick auf die Elbin machte Tom kehrt und verließ ihr Zimmer.
Von dem, was er gesagt hatte, waren nur Wortfetzen in Curias Bewusstsein vorgedrungen.
Noch immer weigerte sich ihr Verstand das Erlebte zu akzeptieren und ihre Gedanken schienen im Nebel zu liegen. Sie starrte an die Zimmerdecke und schon bald übermannte sie der Schlaf erneut.

Tochter der Sterne (Der Herr der Ringe FF)Where stories live. Discover now