Schlaflied

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Es gab nur wenige Menschen auf dieser Welt, denen das Glück zuteilwurde, ihren Seelenverwandten zu finden. Manchmal passierte es in den gewöhnlichsten Situationen: ein zufälliger Zusammenstoß im Supermarkt, ein Treffen im Restaurant oder auch ein Kennenlernen im Internet. Doch es gab auch Ausnahmen, da geschah es auf wundersame, fast unerklärliche Weise, die manch einer als Magie bezeichnen würde. Und auch wenn es keine Magie war, dann zumindest Schicksal.

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Seine Augenlider wurden immer schwerer, schlossen sich schließlich flatternd, bis ihn die Schwärze komplett umhüllte. Der Schlaf erlöste ihn aus der unglücklichen Realität seines trögen Alltags und katapultierte ihn hinein in eine Welt, die so viel Fantasievolleres, Magischeres und Traumhafteres für ihn bereithielt. Eine Welt, in der er glücklicher nicht sein konnte.

Der Gedanke abends zu Bett zu gehen und sich in diese Traumwelt entführen zu lassen, war sein täglicher Lichtblick, um die anstrengenden Schichten im Supermarkt über sich ergehen zu lassen. Mit dem Regale einräumen und Kunden abkassieren hielt er seine private Existenz mühsam über Wasser, der magere Lohn reichte ihm gerade so. Doch zu etwas anderem war er mit seinem schlechten Realschulabschluss sowieso nicht zu gebrauchen, zumindest bläute ihm das sein Stiefvater immer wieder ein.

Der bunte Strudel wirbelte ihn durch die Lüfte, mittlerweile liebte Louis dieses Gefühl der Schwerelosigkeit, auch wenn es ihm anfangs etwas Angst eingeflößt hatte. Lachend streckte er die Arme weit von sich, während er sich um die eigene Achse drehte und landete schließlich mit einer gekonnten Leichtigkeit, die ihm einen stattlichen Hofknicks wert war, auf beiden Füßen.

„Angeber." „Du bist doch bloß neidisch, weil du durch diesen dunklen Tunnel kriechen musst, um in die Traumwelt zu gelangen." „Überhaupt nicht wahr!" „Und ob das wahr ist!" Die beiden Jungs gingen aufeinander zu und dann ließen sie die scherzhaften Neckereien, scherzhafte Neckereien sein und fielen sich wie zwei Ertrinkende in die Arme.

„Ich hab dich vermisst, der Tag war viel zu lang." „Mein Stiefvater hat mir nach dem Abendessen wieder einen seiner Vorträge gehalten, wie wichtig es doch wäre, mit beiden Beinen im Leben zu stehen, ich konnte leider nicht früher kommen." Entschuldigend löste sich Louis aus ihrer Umarmung und strich eine der wilden schokobraunen Locken seines Gegenübers aus dessen Gesicht, ehe er ihm einen Kuss auf die Lippen drückte.

„Ist es immer noch nicht besser geworden?" „Für ihn bin ich ein Träumer,... wenn er nur wüsste, wie recht er damit hat", kicherte er und der andere Junge stimmte mit ein. „Wohin geht es heute, Lou?" „Hm...", nachdenklich legte Louis den Kopf in den Nacken, blickte der grellen Decke entgegen und sah dann den ellenlangen Flur entlang, der sich vor ihnen erstreckte. Abertausende an weißen Türen, so viele, dass sie mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen waren.

„Ein Ausritt durch den Wilden Westen, mit den Aliens durchs All, an Lianen durch den Dschungel schwingen oder vielleicht doch lieber ein Spaziergang am Grunde des Pazifischen Ozeans? Du weißt, wie sehr ich es liebe, wenn dein Körper bloß in dieser glitzernden Schwanzflosse steckt." Ein Schnauben neben ihm ertönte und ein mittelschwerer Boxhieb traf ihn gegen die Brust.

„Oder... Oh Harry! Lass uns nochmal hoch zu den Wolken. Uns einfach treiben lassen und Zeit zu Zweit verbringen." Flehend blickt er dem Lockenkopf entgegen und auch wenn Louis wusste, dass es nicht Harrys liebstes Ausflugsziel war, würde er seinen blauen Kulleraugen nicht widerstehen können. „Sieh mich nicht so an, Lou", jammerte Harry und versuchte seinem Blick auszuweichen. „Du weißt, dass ich ein bisschen Höhenangst habe." „Ich bin bei dir und passe auf dich auf. Dir kann doch gar nichts passieren, das hier ist nicht echt."

Ein leises Seufzen entfloh den Lippen des Lockenkopfs und Louis wusste, dass er gewonnen hatte. Triumphierend schnappte er sich Harrys Hand und zog ihn rennend an mehreren hundert der weißen Türen vorbei, bis sie endlich zu einer Leiter kamen, deren Ende ebenso wenig ersichtlich war, wie das Ende des Flurs.

I Want To Write You A Song [larry OS]Where stories live. Discover now