29| »Aussichtslos«

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Plätschernde Geräusche und entfernte Stimmen reißen mich aus meiner Bewusstlosigkeit. Ich spüre die Holzplanken unter mir unregelmäßig schwanken, diese abrupten Bewegungen vertiefen die Schmerzen an meinem Hinterkopf und meinem Hals und bringen mich letztlich dazu, mühsam meine Augenlieder aufzuschlagen. Zuerst sehe ich nur verschwommene Konturen, die mit der Zeit immer klarer werden und Form annehmen. Ich erkenne einen kleinen und äußerst dunklen Raum, der mit nur geringem natürlichem Lichteinfall sein Dasein fristet. Mein Blick schweift unruhig umher und bleibt schließlich an meinen Handgelenken hängen, welche mit einem dicken rauen Seil fest zusammengebunden sind. Meine Beine sind komplett in ein Segeltuch eingewickelt und mithilfe mehrerer faserigen Seilen wie ein Packet zusammengeschnürt. Nach einem anstrengenden Versuch stelle ich fest, dass ich nur meine Arme bewegen kann, der Rest meines Körpers gehorcht entweder meinem Befehl nicht oder ist, aufgrund von Seilen und anderen Hilfsmitteln, bewegungsunfähig.

Wie soll ich hier jemals flüchten können? Diese Frage stellt sich mir, berechtigterweise, in den kommenden Stunden immer wieder. Immerhin habe ich herausgefunden, dass ich mich höchstwahrscheinlich im Laderaum eines kleinen Bootes befinde, denn in regelmäßigen Abständen höre ich Motoren von anderen Booten und seltsamerweise auch lautes Hämmern und die höchst unangenehmen, kreischenden, Geräusche von Kreissägen. Äußerst glücklich bemerke ich nach einem weiteren Rundblick, dass meine Handtasche ein paar Meter von mir entfernt auf einem Stuhl liegt.

Plötzlich höre ich stapfende Schritte näher kommen und schließe sofort die Augen. Hoffentlich bemerkt die Person nicht, dass ich wach bin, denke ich und versuche langsam und tief zu atmen. Die Schritte kommen näher und jemand öffnet die Türe und betritt schnaufend den Raum. Dem Atem nach zu urteilen handelt es sich um einen älteren Mann, der nach und nach immer näher kommt. Direkt vor mir kommt er zum Stillstand und beugt sich zu mir nach unten, denn ich fühle einen, nach Tabak riechenden, Atemschwall. Uff, ist das eklig. Es benötigt meine ganze Willensanstrengung, ruhig weiter zu atmen und mich nicht von dem Gestank abzuwenden. Es gelingt mir, wenn auch nur schwer und gerade als der Geruch so intensiv wird, dass ich beinahe zu würgen beginne, entfernt sich die Quelle des stinkenden Atmens und verlässt schwerfällig den Raum.

Erst als die Türe hinter ihm ins Schloss fällt, atme ich mehrmals tief ein und richte mich, so gut es geht, auf. Okay, Fakten auf den Tisch: Luke wird wissen, dass irgendetwas nicht stimmt, spätestens wenn er meine Nachricht liest und ich nie bei ihm ankomme. Mein Handy Akku ist im Eimer und sollte ich hier irgendwie rauskommen, muss ich mir ein Telefon suchen und Luke oder Sanna anrufen. Ich muss mir irgendetwas suchen, um meine Fesseln durchtrennen zu können. Jap. So sieht es aus.

Nun zur wichtigsten Frage: Warum hat Koa so genau über die ganzen Geschehnisse Bescheid gewusst und wieso werde ich nur Stunden später von zwei Blödmännern entführt? Diese und noch ein paar weitere Männer diskutieren oder streiten übrigens immer noch, denn ich höre oben immer wieder verzerrte Stimmen.

Erschöpft von dem Denkprozess zwinge ich mich zum Handeln. Ich beschließe, in die Mitte des Raumes zu robben und diesen von dort aus zu inspizieren. Gedacht, getan. Ich robbe quälend langsam in die Mitte Raumes und suche nach Sachen, welche mir zur Flucht verhelfen könnten. Nach kurzem Suchen entdecke ich in einer Ecke eine Kiste, die verdächtig nach einem Werkzeugkasten aussieht, ab jetzt scheint es wohl bergauf zu gehen. Eine halbe Stunde später liege ich vor dem Kasten und denke über meine nächsten Schritte, ähm... Schlangenbewegungen nach. So einfach lässt sich der Kasten nämlich allem Anschein nach nicht öffnen und ich bereue mittlerweile mein übereiltes Handeln. Sollte ich so unglaubliches Pech haben, dass jemand nach unten kommt um zu sehen, ob ich wach bin, werde ich nie im Leben rechtzeitig an meinem ursprünglichen Platz sein können.

Soweit so gut, ich ziehe das jetzt durch, ich bin schließlich schon so weit gekommen! Schnaufend setze ich mich auf und versuche, das Seil, welches um meine Handgelenke gebunden ist, bei dem Schloss des Werkzeugkastens unterzuhaken, doch ich rutsche jedes Mal ab. Ich ändere meine Methode und kann einen Erfolg verbuchen, denn der Deckel des Kastens öffnet sich langsam und zum Vorschein kommt ... wollt ihr mich eigentlich auf den Arm nehmen? In der Kiste befinden sich ausrangierte Tücher, ich schätze es handelt sich um Stofftaschentücher, und ein paar alte Briefe. Eines der Taschentücher ist mit einer Sonne und einem Delfin sowie einem Schriftzug mit dem Wortlaut: „Mein kleiner Delfin, ich bin immer für dich da. Deine S.S.", versehen.

Oh wie süß! Aber es hilft mir leider nicht weiter. Kurzerhand entschließe ich mich dazu, das Taschentuch als Glücksbringer einzustecken, wobei ich die restlichen Sachen wieder zurück in die Kiste lege. Plötzlich fühle ich zwischen den weichen Tüchern einen harten Gegenstand und ich taste diesen genauer ab. Kann das sein? Das wäre wirklich... die Rettung. Hastig befreie ich den Gegenstand aus den Stoffen und lache erleichtert auf. Es handelt sich um ein Taschenmesser. Die Fesseln machen es recht umständlich, aber ich versuche das Messer auszuklappen, was schwerer ist als gedacht. Nach einer gefühlten Ewigkeit gelingt es mir jedoch und ich positioniere es so, dass ich mit meinen Handgelenken vertikale Bewegungen an der Klinge ausführen kann. Die Dicke der Seile macht das Ganze äußerst schwierig und bereits nach kurzer Zeit sind meine Handgelenke komplett aufgescheuerten und schmerzen stark.

Ich halte durch und führe diese unmenschlichen Bewegungen immerzu fort. Nach einiger Zeit wird die Intensität des Tageslichts, welches von oben durchsickert, immer geringer und nur wenig später wird es dunkel. Wirklich wunderbar, der heutige Tag ist wohl nicht mehr zu toppen, denke ich ironisch. In aussichtslosen Situationen scheint mein Sarkasmus mit mir durchzugehen, doch genau dieser bewahrt mich davor, die Nerven zu verlieren oder gar aufzugeben.

Als das lang herbei ersehnte „Ratsch" ertönt, befinde ich mich bereits in einer Art von Trance. Ich versuche, wieder klar im Kopf zu werden und streife mit steifen Händen meine Fesseln ab. Erleichtert über den Freiraum kreise ich meine Arme und das Blut fängt in meinen Adern zu prickeln an, da es endlich wieder richtig zirkulieren kann.

Neuen Mut fassend nehme ich das Taschenmesser in die Hand und beginne damit, den kompletten Wirrwarr, welcher meine Beine wie ein Packet zusammenhält, zu beseitigen. Dies geht deutlich schneller als bei den Händen und bereits nach kurzer Zeit habe ich mich gänzlich von allen Seilen und dem Segeltuch, in welches meine Beine eingewickelt waren, befreit.

Innerlich fange ich laut zu jubeln an und trotzdem weiß ich, dass ich es noch längst nicht geschafft habe. Mit pochenden Gliedmaßen stehe ich auf und bewege mich mit schleppenden Schritten zu meiner Handtasche und nachdem ich mir diese quer über meinen Brustkorb gehängt habe, gehe ich weiter zur Türe. Dort angekommen lege ich meine linke Handfläche auf die Türe, während ich mit der rechten Hand die Türklinke langsam nach unten drücke.

Knarrend öffnet sich die Türe und ich halte still fluchend meinen Atmen an. Als die Stimmen oben, sie diskutieren oder streiten immer noch, weder verstummen noch alarmiert klingen, bin ich davon überzeugt, dass mir die Flucht gelingen wird. Ich habe die Türe mittlerweile ganz geöffnet und als ich im schmalen, finsteren und staubigen Gang stehe, schließe ich sie wieder, damit meine Flucht nicht gleich bemerkt wird. Ich blicke mich um und erkenne, dass nur eine, nicht sehr vertrauensvoll wirkende, Leiter nach oben aufs Deck führt. Ok, dieser schmierige Mann ist auch hier runter- und wieder raufgekommen, da wird mein Gewicht doch sicherlich kein Problem darstellen.

Ich setze meinen Fuß auf die erste Sprosse und halte inne. Was, wenn die Männer, deren Stimmen ich schon seit mehreren Stunden höre, direkt an Deck sind und nicht in der Kombüse oder in einer der Kajüten des Bootes?

Meine Chancen entdeckt zu werden, sind sehr hoch und ich merke, wie sich ein Adrenalinschub in mir ausbreitet.
Auf ins Verderben, denke ich und fange an, die Leiter hochzuklettern.

Oben angekommen, luge ich erstmal über den Rand der Luke und halte nach den Männern Ausschau. Seltsamerweise ist niemand zu sehen oder zu hören, wobei mich letzteres sehr verwundert und alarmiert. Die Luft scheint rein zu sein und ich überwinde die letzten Sprossen und stehe nun, für alle sichtbar, an Deck. Ich hole tief Luft und lasse meine Blicke über das Boot schweifen. Wo.. bin ich hier? Anstatt gleißend hellem Meer sehe ich nur Holzplanken und Unmengen anderer Boote, welche höchstwahrscheinlich zur Reparatur hier sind, da einige Motoren und Ersatzteile herumliegen. Schnell schleiche ich mich vom Boot und ducke mich nach ein paar Metern hinter einem anderen Boot, um die Lage zu checken. Plötzlich schwellt der Geräuschpegel drastisch an und verschiedene Stimmen schreien durcheinander. Haben sie etwa entdeckt, dass ich geflohen bin? Ich nehme leise Schritte schräg hinter mir wahr und als ich mich umdrehe, spüre ich einen heftigen Schlag auf meine Schläfe und ich erhasche gerade noch einen kurzen Blick auf den Angreifer, ehe die Welt in tiefer Dunkelheit versinkt.

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Hättet ihr mit diesem plot twist gerechnet?

Was geschieht wohl als nächstes und um wen könnte es sich bei dem Angreifer handeln?

Wie gefällt euch die Handlung bis jetzt (ich freue mich immer sehr über eure Gedanken und Anregungen)?

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