Kapitel 4

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Drei Tage später saß Brandon zusammen mit Lysander in einem Café, bereit den nächsten Schritt in die Tat umzusetzen. „Danke, dass es so schnell wieder geklappt hat.“, bedankte sich Brandon zunächst, nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten. „Kein Problem. Jay hat heute sein Fußballtraining und du kennst mich. Ich sehe sowas nicht gerne.“, winkte der Nerd ab und lächelte leicht. Brandon war etwas perplex. Dieses Lächeln auf den Lippen seines Gegenübers war seit einer sehr langen Zeit das erste was er wieder von ihm sah. Es war noch genauso fesselnd wie er es in Erinnerung hatte. Und wieder konnte Brandon nicht sagen, was ihn daran so fesselte, es war einfach so. „Also, kommen wir zum Grund unseres heutigen Treffens.“, klatschte Lysander in die Hände und holte den Badboy aus seinen Gedanken in die Realität zurück. „Gut. Erkläre mir den zweiten Schritt.“, meinte Brandon und lehnte sich mit seinen Unterarmen auf den Tisch. Ein Augenbrauenhochziehen von Lysander ließ ihn noch ein ‚Bitte‘ hinterher schieben. „Der zweite Schritt behandelt mehr dich selbst als deine Taten.“, begann der Blonde mit dem erklären, „Ich nenne diesen Schritt deshalb auch gerne ‚Wie reagierst du wirklich?‘.“ „Ernsthaft?“, fragte Brandon leicht belustigt nach. „Du wirst es gleich verstehen.“, bekam er lediglich als Antwort, „Ich werde dir Situationen schildern und wissen wollen, wie du reagieren würdest. Dadurch dass ich dich nun schon etwas länger kenne werde ich abschätzen können, ob du die Wahrheit sagst oder nicht. – Danke.“ Lysander lächelte der Kellnerin freundlich zu, die ihm seine Eisschokolade auf den Tisch stellte. Auch Brandon nickte kurz und nahm seinen Milchkaffee an. „Und du glaubst wirklich, dass ich versuchen würde dich anzulügen?“, fragte er an den Nerd gewandt, als die Kellnerin wieder verschwunden war. „Unbewusst sicherlich. Du hast über die letzten zwei Jahre eine Fake-Person gelebt. So vermute ich es zumindest, denn den Wandel den du hingelegt hast macht keiner innerhalb von drei Wochen so wie du.“, erläuterte der Blonde erneut und Brandon musste ihm innerlich zustimmen. Er hatte sich damals innerhalb kurzer Zeit stark verändert. Dies konnte er nicht abstreiten. „Gut, versuchen wir es.“, stimmte der Badboy zu. Er hatte den nerd um Hilfe gebeten, also musste er sich auch mit dessen Methoden anfreunden.

„Situation eins: ‚Deine Noten sind ausnahmsweise einmal mittelmäßig für dich, sozusagen im vierer Bereich, und du erfährst, dass einer deiner ‚Freunde‘ eine Möglichkeit gefunden hat dich auf eine eins zu bringen, durch abschauen. Was tust du?“, stellte Lysander seine erste Situation vor.

„Ganz klar nehme ich die Möglichkeit an. Immerhin muss ich dann noch weniger in der Schule sein und bekomme sogar Einsen dafür.“, antwortete Brandon sofort und lehnte sich zurück an die Stuhllehne. Sein Gegenüber seufzte und meinte im leiseren Ton: „Ich hatte Recht.“ „Was denn?“, fragte der Badboy nach, da er Lysanders Reaktion nicht verstand. „Ich habe nur festgestellt, dass ich richtig lag. Du hast schnell und ohne überlegen geantwortet. Hast die coole Antwort gewählt. Es passierte automatisch in deinem Gehirn.“, sagte der Blonde und sah seinen Gegenüber direkt in die Augen. „Das stimmt doch gar nicht!“ – „Und wie das stimmt. Der Brandon, der du früher einmal warst, hätte abgelehnt und entweder nichts an seiner Situation geändert oder alleine versucht seinen Arsch hoch zubekommen.“ Perplex starrte der Braunhaarige in die grauen Augen seines ehemaligen Freundes. „Such tief in dir drinnen, Brandon. Du weißt ich habe recht.“ Ungewollt befolgte der Badboy die Befehle des Nerds. Sein Geist grub immer tiefer in seinem Gehirn und hinterfragte, ob seine Antwort wirklich so wahr gewesen war. Er grub und grub, aber fand nur die Anstrengung cool zu wirken oder die Angst vor dem Versagen im cool sein. „Grab tiefer!“, hörte er Lysander sagen und es kam ihm gruselig vor. Es wirkte als könnte dieser blonde, junge Mann Brandon gegenüber ihm direkt in die Seele schauen oder Gedanken lesen. Brandon versuchte diesen Gedanken zu verdrängen und sich stattdessen zu konzentrieren. Irgendwo musste er doch die Antwort auf diese beschissene Frage von Lysander finden.  Sein Geist suchte weiter und landete plötzlich bei einem Bild von seinem betrunkenen Vater. ‚Du Nichtsnutz kannst nur abgucken‘, lachte das Bild in Brandons Kopf, ‚Du bist nicht gut genug, um gute Noten zu haben. Du bist zu viel zu dumm dafür!‘ Dieser letzte Satz hallte förmlich durch Brandons komplettes Gehirn und da wurde es ihm klar. Er würde die Möglichkeit nicht annehmen. Er würde selbst seinen Arsch hochbekommen. Egal ob er es schaffen würde oder nicht. Er würde es versuchen, um seinen Vater zu zeigen, was er konnte!

„Und?“, riss Lysander Brandon aus seinen Gedanken. Er hatte den Badboy die ganze Zeit in die Augen gestarrt und versucht heraus zu finden, was Brandon als Antwort fand, doch konnte er nur einen Strudel aus Emotionen erkennen, in dem er keine einzige benennen konnte. „Ich- ich würde ablehnen und meinen Arsch hochbekommen.“, antwortete der Braunhaarige noch einmal zögerlich und senkte seinen Blick. Damals vor zwei Jahren, war sein Vater noch nicht so sehr dem Alkohol verfallen, wie heute, weshalb Lysander nichts von dem Alkoholproblem seines Vaters wusste. „Siehst du? Aus die hat die Coolheit gesprochen und nicht Brandon.“, lächelte Lysander, „Und das werden wir jetzt ändern. Bereit für die nächste Situation?“ – Ein Nicken diente als Bestätigung. – „Und lass dir dieses Mal so viel Zeit wie du benötigst, um die Antwort von Brandon zu finden und nicht die Antwort der Coolheit.“

So ging es weiter. Lysander stellte Brandon vor verschiedene Situationen und harkte immer so lange nach, bis der Badboy sich hundertprozentig wie er selbst in den Situationen verhielt. Mal ging es um Liebe, mal um Freunde. Mal um Schule und dann um Krankheiten. Auch ging es um Tode oder Partys. Die Zeit verstrich und aus den typischen Nachmittagsgetränken wurden Softdrinks, welche den Zuckerspiegel der Beiden hoben. Gegen den frühen Abend lächelte Lysander zufrieden.

„Was lächelst du so zufrieden?“, fragte Brandon der immer noch verwundert war, dass der Blonde ihn heute häufiger zugelächelt hatte. „Ich bin stolz auf dich.“, erklärte der Nerd sich, „Du machst wirklich Fortschritte. Ich hatte immer noch meine Zweifel, dass du es Ernst meinst, aber Jelena scheint dir wirklich etwas zu bedeuten. Auch wenn ich es dir immer noch nicht so wirklich verzeihen kann, was du vor zwei Jahren abgezogen hast, so solltest du auch endlich einmal glücklich werden.“ Verblüfft schaute der Braunhaarige zu seinem Gegenüber. So nett war Lysander zu ihm schon lange nicht mehr gewesen. „Ich danke dir, aber vielleicht habe ich es auch nicht verdient glücklich zu sein. Ich war und bin ein Arsch. Vielleicht werde ich es nie schaffen diesen zu begraben.“, seufzte Brandon und dachte an seinen Vater. Immerhin hatte er dessen Gene, vielleicht lag es ihm deshalb im Blut so schrecklich zu sein. Vielleicht würde er später auch an einer Alkoholsucht leiden. Vielleicht. „Ach Quatsch mit Käsetorte und Sahne. Wenn ich denjenigen zum glücklich sein gefunden habe, dann wirst du es auch schaffen.“, munterte Lysander seinen ehemaligen besten Freund auf und legte seine Hand auf Brandons linken Unterarm. „Eine letzte Situation noch? Um auf andere Gedanken zu kommen.“, fragte er und wartete auf eine Antwort. „Na gut. Stell mir die letzte Situation.“, lächelte Brandon und machte sich bereit ein weiteres Mal sein Gehirn zu durchforsten und versuchen in seiner Seele die richtige Antwort zu finden.

„Letzte Situation: ‚Deine Mutter wird von deinem Vater verspottet und geschlagen, weil-‘“

„Weißt du was? Lassen wir das. Ich gehe mal bezahlen. Ist ja schon spät. Keine Sorge ich lade dich ein.“, unterbrach Brandon Lysander sofort und stand auf, um an die Kasse zu gehen. Er hatte keinen Nerv, keine emotionale Stabilität sich in einer rein hypothetischen Situation, die realer war als Lysander wusste, über seine Familie eine wahrhaftige, gute Entscheidung zu treffen. Verblüfft starrte der Blonde dem Badboy nach. Hatte er irgendetwas Falsches gesagt? War irgendetwas mit seinen Eltern geschehen? Hatte er Wunden aufgerissen oder gar Salz hineingeschmissen? Anders konnte er sich die Reaktion seines Einladers nicht erklären. Als dieser zurück an den Tisch kam und seine restliche Cola in einem Zug lehrte, fragte der Nerd direkt nach: „Ist irgendetwas passiert? Habe ich etwas Falsches gesagt?“ „Nein, nein alles gut.“, versuchte sich Brandon herauszureden, „Ich hab mich nur daran erinnert, dass ich heute pünktlich zu Hause sein sollte. Also bis morgen. Danke nochmal für heute. Schritt zwei ist doch abgeschlossen oder?“ „Äh, ja. Ja das ist sie wohl.“, erwiderte Lysander etwas perplex. „Na dann, schönen Abend dir noch. Tschüss.“, verabschiedete sich Brandon schnell, zog seine Jacke über und verließ das Café. „Tschüss.“, antwortete Lysander immer noch perplex. Langsam leerte er auch sein Glas und zog seinen dünnen Mantel über. Schließlich verließ er das Café und nahm sein Handy hervor. Drei Nachrichten von Jay hatte er bekommen, doch wollte er gerade nicht antworten. Viel zu sehr quälte ihn ein Gedanke, eine Frage.

Warum hatte Brandon ihn angelogen?

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Hier ist auch schon das nächste Kapitel.

Auch hier würde ich mich über ein Feedback freuen...

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