Ein guter Tag um eingefroren zu werden

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Die Wärme, die mich eigentlich umgehen sollte, verschwindet blitzartig und reißt mich dadurch aus meinem angenehmen Schlaf. Verschlafen murmle ich Smaugs Namen und richte mich langsam auf. Unruhig läuft der Drache über die Goldhaufen, während Rauch aus seiner Nase aufsteigt.
„Smaug? Was ist denn?", benommen setze ich mich auf und streiche mir meine Haare aus dem Gesicht.
„Zwerge.", schnauft er, „Sie kommen näher." Langsam stehe ich auf und beginne mir auf der Unterlippe zu kauen, das wird nicht gut ausgehen.
„Kia,", laut stampfend kommt Smaug auf mich zu und hält mir seinen Kopf entgegen, „Geh in die Bibliothek. Ich will nicht, dass dir etwas passiert." Vorsichtig drückt er seinen Kopf gegen mich, den ich langsam umarme.
„Was, wenn dir etwas passiert?", flüstere ich ihm entgegen. Ich war doch gerade erst aufgewacht. „Mach dir darüber keine Gedanken. Geh in die Bibliothek und versteck dich, dir wird nichts passieren."
„Aber-" 
„Versprich es mir. Versprich mir, dass du nicht in die Schatzkammer kommst." Eindringlich leuchten mir seine Augen entgegen, ich muss es ihm versprechen. Seufzend tue ich einen Schritt zurück und verschränke die Finger hinter dem Rücken, ich kann helfen, wenn er mich lassen würde.
„Ich verspreche es." Nickend deutet Smaug in den Gang, der zur Bibliothek führt, er hat recht, ich verbringe meine Zeit am liebsten in diesen riesigen Hallen, habe nahezu jedes der Bücher gelesen. Wissen ist ein größerer Schatz als das ganze Gold hier vor mir. Wahrscheinlich ist der Anteil meines Zwergen Vaters nicht groß genug, als dass ich so versessen auf Gold und Glitzer reagiere. Auch wenn ich weiß, dass Genetik und Vererbung so nicht funktioniert. Es gibt wirklich viele Bücher in den ganzen Regalen, manche bergen wissen aus einer Zeit lang vergangen. Seufzend, und möglichst nicht zurückblickend, verlasse ich die Schatzkammer, breche aber kurz vor der Bibliothek ab und laufe stattdessen die Treppen hinauf. Vielleicht soll ich ihm nicht helfen, aber einen Überblick über die Situation zu besitzen kann man mir nicht verwehren.

Die Schatzkammer ist wie der Thronsaal bei anderen. Von oben kann man alles einsehen, da die Wände nicht zu gemauert sondern wie Balkone angelegt. Auch wenn Smaug es lieber mag, wenn ich in Kleidern umherlaufe, bevorzuge ich eine einfache, braune Tunika. Dreck und Schlamm fällt nicht sofort auf, sie sind robust, leicht und bequem. Gut, manche kratzen ein bisschen, aber damit komme ich klar. Und ich kann dem Drachen helfen, meine weißen Haare sind elektrisch geladen. Wie seltsam das auch klingt, es ist so. Smaug vergleicht sie gerne mit frischem Schnee, sie fallen mir locker über den Rücken, ich binde sie mir am liebsten zu einem Zopf, damit sie mich nicht im Gesicht stören. Aber die Haare sind nicht das einzig suspekte an mir, sagen wir einfach, schneeweiß, wie Smaug die Farbe bezeichnet, hat mehr mit mir zu tun, als man auf den ersten Blick sieht. Der Drache hat mir über die Jahre geholfen, mit diesen Dingen klar zu kommen. Eis und Schnee, Kälte und Frost, ich habe die Kontrolle über all das. Der Winter kommt zwar von allein, aber wenn ich es wollte, könnte ich es hier und jetzt schneien lassen. Eis zu Waffen formen oder Personen auf dem Boden festfrieren. Ständig und überall die Kontrolle zu behalten ist schwer, aber hier im Erebor kann mir nichts passieren. Und, was besser ist, niemand kann meine Kräfte ausnutzen. Wenn die Zwerge wirklich über die obere Tür kommen, können sie mich hier nicht sehen. Zwischen der sechsten und siebten Säule setze ich mich hin und lasse meine Beine über die Steinkante baumeln. Smaug läuft unter weiter unruhig umher, er will seinen Schatz nicht verlieren, ein Drache ohne Schatz ist wie ein Hirsch ohne Geweih.

Ich war tatsächlich wieder eingeschlafen. Nun wache ich aber auf, als ein lautes Brüllen ertönt. Sind die Zwerge schon da? Nein, das da unten ist kein Zwerg. Ein kleine Gestalt huscht zwischen den Goldhaufen umher und versucht Smaug aus dem Weg zu gehen. Wuschiges, hellbraunes Haar steht von seinem Kopf, als Smaug ein weiteres Mal brüllt. Ängstlich versteckt er sich und legt sich auf den Rücken, als er etwas aus seiner Tasche zieht. Smaug hält einen Monolog, dem ich nicht folge, dieses Wesen da unten ist wahrlich interessanter, ein Hobbit. Ich habe von ihnen gelesen, sie wohnen weit im Westen, fern ab von Problemen oder Abenteuern wie diesen. Was macht ein Hobbit auf einem solchem Inferno-Kommando? Er steckt sich einen Ring an den Fingern und... verschwindet. Das ist nicht möglich, man kann nicht unsichtbar werden, es gibt kein Relikt in Mittelerde, dass... geschockt blicke ich auf. Wie ist es Hobbit an den Ring gekommen? Die hiesige Bibliothek ist wirklich ausführlich. Ein Ring sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkeln zu treiben und auf ewig zu binden. Dieser kleine Hobbit traut sich echt was, das verdient Respekt. Aber er kann ihn nicht behalten, das würde zu riskant für ihn. Stand darüber nicht etwas in einem Buch? Grübelnd fasse ich mir an den Kopf, es gibt einige Bücher darüber in der Bibliothek, da bin ich mir sicher, aber was genau darin stand... fragt mich nicht. Ich werde nachsehen, das da unten wird noch eine Weile dauern.
„Ist das nicht...", Moment, Stimmen hinter mir. Zwerge. Sie müssen irgendwie den Treppengang gewechselt haben, anders wären sie nie hier her gelangt. Erinnere dich, sie müssen in einem Torbogen stehen. Eis sie einfach ein.
„Diese kleine...", bevor einer von ihnen mit lauten Schritten auf mich zu trampeln kann, drehe ich mich ruckartig um und richte meine Hände auf das Tor. Binnen Sekunden trennt uns eine meterdicke Eiswand, gegen die der vorderste klopft.
„Thorin Eichenschild.", langsam trete ich vor und streiche mir eine gelöste Haarsträhne zurück. „Das ist unmöglich.", meint ein anderer, der alte Zwerg von gestern Abend.
„Hatte ich euch nicht geraten, einen Bogen, um den Erebor zu machen? Und mal wieder erweist sich der Verstand eines Zwerges als genauso groß wie eine Erbse. Ihr seid eitel und arrogant und habt keine Berechtigung hier zu sein."
„Verräterin! Smaug ist der Feind! Du bist genauso ein Zwerg!", die Glatze zieht seine Axt und hiebt auf die Wand ein. Es funktioniert nicht, ich habe sie so gehärtet, dass alles abrutscht.
„Das bringt nichts Dwalin.", der alte Zwerg drückt die Axt der Glatze hinunter und sieht mich eindringlich an, „Dort unten ist ein Hobbit."
„Smaug wird ihm nichts tun.", unterbreche ich gleich, „Er kann nur Zwerge nicht leiden. Aber das hatte ich ja auch erwähnt."
Entspannt stecke ich meine Hände in die Taschen: „Aber ich muss mich jetzt verabschieden. Eigentlich sollte ich nicht einmal hier sein. Verschwindet, wenn euch euer Leben lieb ist."  „NIEMALS!", zwei weitere Stimmen dringen durch das dicke Eis und zwei junge Zwerge schieben sich durch die Masse.
„Wir sind hier, um unsere Heimat zurück zu erobern!", meint ein brünetter, junger Zwerg.
„Also mach den Weg frei und wir verschonen dich vielleicht.", ergänzt ein Blonder, während beide grinsen, was sie deutlich weniger gefährlicher macht.
„Ihr zwei seid wirklich einschüchtert. Wenn ihr so stark seid, jetzt mal hypothetisch, wieso hiebt ihr dann nicht auf das Eis an und versucht die Wand zu durchbrechen. Das wäre natürlich nur eine Möglichkeit, ich werde mir jetzt aber nicht die Mühe machen, alle Variablen in dieser Situation darzulegen, das würde meine Zeit deutlich sprengen.", unbeeindruckt drehe ich mich weg in Richtung Treppe, „Smaug wird sich sicher freuen, mal wieder etwas Frisch-Fleisch ins Maul zu bekommen." Ich muss mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass ihnen das Grinsen aus dem Gesicht gefegt wird. Die stehen bestimmt noch bis morgen da hinter, anstatt einfach einen anderen Weg zunehmen.



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⏰ Last updated: Jul 22, 2022 ⏰

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