Darum sollstest du nie deinen Heimatberg verlassen

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Wäre es nur so einfach. Immer wieder muss ich Wachen ausweichen, die über die Stege patrouillieren, bis man mich am Arm packt und gegen eine Hauswand drückt. Dabei fällt mir auch meine Kapuze vom Kopf, als mir eine beißende Fackel ins Gesicht gehalten wird. Es sind zwei der Zwerge aus Bards Haus.
„Lasst mich los!", fauche ich sie an und versuche mich aus dem klammernden Griff zu winden. Wütende Augen funkeln mich an, schon wieder. Thorin Eichenschild und die Glatze.
„Wer bist du?", knurrt mich Eichenschild an und drückt mich stärker gegen die Wand.
„Was geht euch das an?", antworte ich genauso verbissen und fokussiere mich ganz auf den 'zukünftigen König'. Pah, nur über meine Leiche.
„So wie es aussieht eine junge Zwergin.", die Glatze hält mir die Fackel näher ins Gesicht, sodass ich nach hinten versuche auszuweichen.
„So weit kommt es noch! Meine Mutter war ein Mensch und jetzt lasst mich endlich los!", knurre ich wütend und schnaufe genervt.
„Wo sind deine Eltern und wie ist dein Name? Ich bezweifle, dass eine kleine Zwergin allein durch die Seestadt streift.", das scheint die beiden eher weniger zu interessieren. Eben Zwerge, dumm wie Brot.
„Lasst sie los." Welch ein Glück. Ein weiterer kommt zu unserer kleinen Runde hinzu, es ist Bard. Dieser drückt die Zwerge bestimmt von mir weg und legt mir fürsorglich die Hand auf die Schulter.
„Alles gut?", ich nicke schlicht, ohne den Blick von Eichenschild zu nehmen, und setze mir schnell meine Kapuze wieder auf.
„Geh nach Hause, ich kümmere mich darum."
„Ich traue dir Bard. Gute Nacht.", nun verabschiede ich mich aber doch von ihm und lasse kurz meine Mundwinkel zucken, „Wir sehen uns bestimmt bald wieder."

So schnell mich meine Beinetragen hechte ich zurück zu meinem Zuhause, durch die Ruinen der Stadt Thal,den Weg den Berg hinauf, nur um kurz vor dem Tor links abzubiegen und in denKiefernwald zu gelangen. Hier befindet sich einer der Eingänge in den einsamen Berg,Smaugs Herrschaftsgebiet. Lediglich einige Symbole an einer Steinplattemarkieren den Eingang und verraten gleichzeitig den Schlüssel, um einzutreten. Diealten Runen aus der Sprache der Zwerge, die man in einer bestimmten Reihenfolgeaufleuchten lassen muss, um einzutreten, heißen mich heute Nacht willkommen.Hektisch sehe ich mich um, wenn die auch nur ein einziger Stern am Zenit zusehen ist, darf ich wieder nicht den Berg verlassen, für die nächsten dreiMonde. Der Abendstern leuchtet und schenkt sein mildes Licht der Welt. Und istmir nicht gut gesinnt. Schnell schlüpfe ich durch die geheime Tür, ehe sie sichwieder schließt. Meine schweren Schritte hallen lauter als gewollt durch dieTorbögen und Deckengewölbe, während ich auf die Schatzkammer zusteuere. Mankann sie im Erebor nicht verfehlen, sie ist das Herzstück dieses Berges, esführen also alle Wege zur Schatzkammer. Nur, als ich die Treppen hinunterhechte, rutsche ich auf der letzten aus und stolpere, nur um frontal in das ganzeGold zu fallen. Darauf gleite ich immer weiter, bis zum Ende des Hügels. Es istziemlich schwer, auf Gold und Münzen zu laufen. Und mitten in all diesem Goldein gigantischer, roter Haufen Schuppen. Feuerdrachen habe einen schlechtenRuf, ein einziger Atemzug und ein ganzes Dorf steht in Flammen, ein einzigerAtemzug und dutzende Wälder entflammen und speien immer mehr Asche und Ruß indie Luft. Smaug soll der schlimmste von allen sein, so heißt es. Stark,mächtig, robust. Seine Schuppen sind undurchdringlich, unbezwingbar. Langsam,schleppend baut er sich nun zu seiner vollständigen Größe auf, gelb-goldene Augensehen mich wütend an und heiße Luft wird mir ins Gesicht geschnauft.
„Du bistzu spät." Verdammt, er hat es gemerkt. Langsam stehe ich und sehe zu Boden.
„I-ich...", beginne ich, werde aber sofort von ihm unterbrochen.
„Du weißt, wanndu wieder hier sein musst! Sobald die Sonne untergeht kommen Orks und Wargs,gefährliche Monster, die großes Unheil anrichten."
„Ich war in der Seestadt!",verteidige ich mich.
„Das ist noch schlimmer! Menschen sind gefährlicher als jedesMonster in ganz Mittelerde. Hinterlistig und falsch sind sie, man kann ihnennicht trauen!" Smaug wird schnell aufbrausend, vor allem wenn es um Menschengeht.
„Ich habe nur eine Freundin besucht.", Sigrid und ich waren schließlich schon lange vertraut miteinander. Wenn es jemanden in der Seestadt gab, dem ich blindlinks in eine dunkle Gasse folge würde, dann war sie es.

„Warst du bei ihr?", nur versteht Smaug dies nicht, wenn es nach ihm gehen würde, hätte ich nie einen Fuß auf die Planken der Seestadt gesetzt.
„Ja, unddarum geht es."
Wütend brüllt Smaug, hatte vorher allerdings von mirabgewendet: „Ich habe dir so etwas verboten!"
„Ich kenne Sigrid, sie ist nettund ehrlich, genau wie ihre Familie.", ich mag es nicht, wenn er über meineFreunde herzieht. Schnaufend dreht sich der Drache wieder zu mir, tut einenSchritt auf mich zu und legt sich wieder hin.
„Was ist passiert?", jetzt klingter deutlich ruhiger, das Feuer, was vorher in seinen Augen gebrannt hat, isterloschen, stattdessen funkeln sie mich beruhigend an.
„Da waren Zwerge.Mindestens ein Dutzend. Sie wollen den Erebor zurück erobern. Einer von ihnenwar Thorin Eichenschild. Er hat einen Schlüssel für die obere Tür." Wiederkommt er näher, sodass ich mich an seinem Kopf festhalten kann.
„Sie werdenhier reinkommen können.", murmle ich überfordert und drücke mich näher an ihn.Schützend legt er einen seiner Flügel um uns: „Dir wird nichts passieren, dashabe ich dir bereits vor all den Jahren versprochen." Das ist wahr, aber Smaugist auch nicht mehr der Jüngste.
„Mit so ein paar Zwergen werde ich nochzurechtkommen."
„Ich kann helfen.", murmle ich müde. Heute Morgen war ich frühaufgestanden, den ganzen Tag waren Sigrid und ich um den See herumgewandert undhatten allerlei Kräuter gesammelt, Bain beim Fischen besucht und dann zumNachmittag hin auf den Markt gegangen.
„Nein.", hält er sofort dagegen,„Niemand darf davon erfahren, hörst du? Es wäre viel zu riskant." Gut, da hater recht.
„Aber ich kann doch nicht zulassen, dass sie dich verletzen."
„Daswird nicht passieren. Ich bin zwar nicht mehr der Jüngste, meine Tage sind nochlange nicht gezählt, aber ich werde den Erebor bald verlassen müssen. Da fühleich mich wohler, wenn ich dich hier nicht allein zurücklasse." Was? Wiesowollte er den Berg verlassen? Entgeistert sehe ich den Drachen an.
„Khione, die Drachen werden immer seltener, viele wurden erlegt, von Menschen aus dem Norden. Meine Heimat ruft nach mir, ich will sie noch ein letztes Mal erblicken, bevor ich in die Ewigen Lüfte zurückkehre." Das kann ich verstehen, nun ja, ein bisschen, ich habe nie die Länder um den Erebor verlassen, er ist mein Zuhause.
„Die Zwerge werden morgen kommen, vermutlich.", ergänze ich etwas betrübter, die Angst über die Ankunft der Zwerge ist verblasst, viel mehr mache ich mir Sorgen über Smaug. Er war stehts für mich da, hat immer auf mich aufgepasst und alles gelehrt, was ich inzwischen weiß.
„Ich werde ins Bett gehen.", flüstere ich heiser und versuche, ruhig zu bleiben. Stumm wende ich mich ab und will zurück in mein Zimmer gehen. Es war wirklich ein langer Tag, aber Smaug hält mich auf.
„Kia.", sanft schnauft er mir meinen Spitznamen entgegen, weswegen ich mich noch einmal zu ihm umdrehe, „Schlaf heute noch doch bei mir. Ich fühle mich besser, wenn du in meiner Nähe bist. Dann kann ich wenigstens dafür sorgen, dass du nicht wieder etwas anstellst oder ausbückst." Brummend dreht er sich wieder um und rollt sich zu dieser Rolle zusammen, bei der er sich in den eigenen Schweif beißen könnte. Das bringt mich aber zum Strahlen. Schon oft wollte ich bei ihm bleiben, wenn ich bei Gewitter Angst hatte oder einfach einen Albtraum hatte, aber er meinte dann, ich wäre kein Drache und solle zurück in mein Bett gehen. Nur selten hatte er zugestimmt, mich dann in seine Mitte gelegt und sich um mich herumzugerollt, dann wurde mir immer wärmer und wärmer bis ich eingeschlafen war. Schnell nicke ich, sprinte in mein Zimmer, um mir wenigstens etwas Bequemeres, zumindest etwas Sauberes, anzuziehen, bevor ich zurück in die Schatzkammer laufe. Stumm, und leicht grummelnd, wartet der Drache auf mich. Mit verschränkten Vorderbeinen liegt er auf seinem Bauch und wartet bereits.
„Du hast dir Zeit gelassen.", murrt er mir entgegen, bevor ich vorsichtig über das ganze Gold laufe und mich an den Drachen lehne. Die warmen Schuppen fegen die Kälte des vergangenen Tages weg, langsam rutsche ich ins Sitzen und beginne zu lächeln, als Smaug sich zusammenrollt und dann mit dem Kopf neben mir liegt. Entspannt fällt mein Körper zur Seite, gegen ihn, und schließe die Augen. Ein leises Brummen dringt noch an mein Ohr, bevor ich in die entspannte Schwärze abdrifte.


EreborWhere stories live. Discover now