Dornröschen oder sowas

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16.11.2022 | Sultan-Qabus-Sportzentrum | Maskat, Oman


Die zweite Nacht im Teamhotel überstand die deutsche Mannschaft genau wie die erste. Der einzige Unterschied war, dass morgens niemand aus dem Bett fiel und sich nach eigener Aussage das Steißbein brach. Was das anging, war Jamals Diagnose jedoch lang nicht so schlimm, denn er hatte schon am vorherigen Tag nachmittags wieder am Training teilnehmen können.

Morgens war Leroy vor seinem Zimmergenossen wach. Etwas verwirrt sah er sich um, bis er merkte, dass es die plötzliche Kälte war, die ihn geweckt hatte und dass diese dadurch aufgetreten war, dass ihm wie am Morgen zuvor erneut die Bettdecke weggezogen worden war. Er wollte gerade einen vorwurfsvollen Spruch loslassen, als er begann, Jamal genauer zu betrachten. Leroy wusste nicht genau, was es war, doch irgendetwas faszinierte ihn an dem Jüngeren. Vor allem jetzt, wo er einfach seelenruhig schlafend und mit einem nahezu engelsgleichen Lächeln auf den Lippen neben ihm lag, brachte Leroy es nicht übers Herz, ihn ein zweites Mal unfreundlich aus dem Schlaf zu reißen. Auch wenn das am Tag vorher natürlich ein Versehen gewesen war, denn er hatte sich ja selbst noch im Halbschlaf befunden.

Vorsichtig befreite er daher seine Decke aus Jamals Griff, deckte sich wieder etwas zu und betrachtete den noch immer schlafenden 19-Jährigen neben ihm. Ob er wohl gerade irgendetwas Bestimmtes träumte? Leroy begann ebenfalls zu lächeln, je länger er Jamals völlig unschuldig wirkende Gestalt neben ihm ansah. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, strich er ihm mit den Fingerspitzen eine Haarsträhne aus dem Gesicht, welche sich dorthin verirrt hatte, und ließ seine Hand anschließend genau dort verweilen.

Selbstverständlich hatte er das, was er Jamal am Vortag vorgeschlagen hatte, alles nur aus Spaß gesagt. Er würde ihn bestimmt nicht mit einem nassen Waschlappen wecken, gesanglich war er auch nicht wirklich begabt, weshalb er ihm das lieber ersparen wollte und auch die dritte Version hatte er nicht wirklich ernst gemeint, doch jetzt gerade dachte er ernsthaft darüber nach. Er wusste selbst nicht, was mit ihm los war, doch Jamals Lippen wirkten nahezu zum Küssen einladend. Leroy musste sich stark zurückhalten, um diesem Bedürfnis nicht nachzugehen, denn wenn er ehrlich war, wollte er das nicht erklären müssen. Er verstand ja selbst nicht, woher das so plötzlich kam. 

Als ihm auffiel, wie nah sich die Köpfe der beiden waren, entfernte er seine Hand vorsichtig wieder aus Jamals Haaren, wollte eigentlich langsam aufstehen und den Jüngeren noch etwas schlafen lassen, allerdings konnte er seinen Blick einfach nicht von ihm lösen. So kam es dazu, dass er sich auch einige Minuten später noch nicht aus seiner Starre gelöst hatte und ziemlich erschrak, als er plötzlich Jamals Stimme hörte. „Wie lang willst du mich noch anstarren?"

Leroy fehlten die Worte, weshalb er einfach nur stammelte: „Ich... also... guten Morgen?" „Du weißt schon, dass der Typ bei Dornröschen nicht nur so dumm geguckt hat, sonst wäre die ja nie aufgewacht", meinte Jamal breit grinsend, woraufhin Leroy unsicher erwiderte: „Ach nein?" Woher kam diese plötzliche Unsicherheit eigentlich? Ein weiteres Mal an diesem Morgen huschte sein Blick zu den Lippen des Jüngeren. Von jetzt auf gleich herrschte eine unglaubliche Spannung im Raum und keiner der beiden wusste, wie es dazu gekommen war.

Leroy wurde die Situation immer unangenehmer. Er verstand nicht, warum er Jamal plötzlich in gewisser Weise attraktiv fand, er verstand generell nicht, warum er solche Gedanken plötzlich bei einem Mann hatte. Nie zuvor hatte er ernsthaft über seine Sexualität nachgedacht, er war immer davon ausgegangen, nur auf Frauen zu stehen, doch dann war Jamal in seinem Leben aufgetaucht und hatte ihn völlig verwirrt.

Langsam bekam er das Gefühl, dem Moment ein Ende setzen zu müssen, denn er wollte sich nicht ausmalen, was sonst passieren könnte. Dummerweise traute er seiner Stimme nicht ganz und räusperte sich so erstmal etwas, bevor er leicht krächzend sagte: „Vielleicht sollten wir mal aufstehen."

„Wirst du krank? Das klang nicht healthy, wenn du mich fragst", kam es daraufhin von Jamal, welcher ihn skeptisch ansah. „Nein, alles gut, ich", mit einem weiteren Räuspern unterbrach er seinen Satz, „hatte nur was im Hals." „Na dann", meinte Jamal und setzte sich auf. Er wusste nicht ganz, was er davon hielt, dass Leroy diesen Moment gerade unterbrochen hatte. Für ihn war es nichts Neues, dass eine bestimmte Attraktivität von seinem Gegenüber ausging, das war ihm schon vor etwas längerer Zeit aufgefallen und er musste zugeben, dass er nicht abgeneigt gewesen wäre, hätte die Situation eben anders geendet. Doch vermutlich hatte Leroy nicht mal Interesse an ihm, geschweige denn an irgendwelchen Typen und wenn er genauer darüber nachdachte, hatte dieser doch sogar noch immer eine Beziehung. Damit musste er sich wohl oder übel abfinden.

Noch immer in Gedanken stand er auf und suchte in seinen Sachen nach einem frischen Shirt. Als er eins gefunden hatte, zog er sich das, das er noch trug, über den Kopf und schmiss es achtlos auf seine Betthälfte. Mit einem Grinsen auf den Lippen bemerkte er Leroys Blick, welcher an seinem nun nackten Oberkörper hängengeblieben war. „Ist was", fragte er nahezu provozierend und sah ihn mit einem Blick an, der schon beinahe an flirten grenzte. Zu gerne wüsste er, was in Leroys Kopf vorging, als dieser hektisch zur Seite sah und mit roten Wangen murmelte: „Alles gut." Vielleicht war es jedoch ganz gut, dass er Leroys Gedanken nicht lesen konnte, denn diese drifteten gerade in einen nicht mehr ganz jugendfreien Bereich ab.


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Ehm ich habs nicht vergessen oder so... Klausurenphase und der Rest meines Lebens stresst nur grad irgendwie

Madness, Love and Football - Qatar 2022Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon