Schlumpf-Panik

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15.11.2022 | Sultan-Qabus-Sportzentrum | Maskat, Oman


Während Nico sich schon früh wieder vom gemeinsamen Mittagessen verabschiedete und auf sein Zimmer verschwand, befanden sich einige seiner Mannschaftskollegen am Nebentisch noch in einer angeregten Unterhaltung. 

„Zu schade, dass da jetzt offenbar doch nichts zwischen Leroy und Jamal läuft", seufzte Thomas und ließ seinen Blick durch den Raum wandern, bis die beiden in sein Blickfeld gerieten. „Was ist daran jetzt schade", lachte Manuel, welcher neben ihm saß und auch Joshua und Leon, die sich den beiden gegenüber befanden, sahen ihn verwirrt an. Schulterzuckend antwortete er: „Na ja, da dein Julian nicht da ist", er sah Leon augenbrauenwackelnd an, „dachte ich, ich bekomme trotzdem die zweijährliche Dosis an übermäßiger Romantik unter uns Spinnern hier."

Hätte Thomas gewusst, wie viel dieser „übermäßigen Romantik" in den nächsten Tagen bis Wochen auf ihn zukommen würde, hätte er sich mit ziemlicher Sicherheit nicht so sehr darüber aufgeregt.

„Wen bezeichnest du hier als Spinner", fragte Manuel schmunzelnd, „Hast du dir grade zugehört?" „Nachdem Leon und Draxler ja schon ohne meine Hilfe glücklich werden konnten, dachte ich einfach, es würden sich noch mehr Pärchen finden. Und sonst muss ich eben nachhelfen", erklärte Thomas, ohne auf Manuels Frage einzugehen, und sah grinsend in die Runde. Leon musste sich sehr zurückhalten, um nicht in Lachen auszubrechen, als er sagte: „Was hältst du eigentlich davon, dich mal um dein eigenes Liebesleben zu kümmern, statt in dem von anderen rumzupfuschen?"

Thomas beschloss kurz darauf, das Thema etwas zu wechseln und fragte: „Wie geht's Julian denn eigentlich? Wie lange seid ihr jetzt schon zusammen?" Sofort begannen Leons Augen zu strahlen, wie eigentlich immer, wenn er über seine jahrelange Beziehung sprach. „Ziemlich genau achteinhalb Jahre. Wir sind ja noch damals auf Schalke zusammengekommen", begann der 27-Jährige überglücklich zu erzählen, wurde jedoch von einem lauten Aufschrei unterbrochen. „Wer hat da gerade das S-Wort gesagt?!"

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht drehte Leon sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. „Meinst du ‚Schalke', Mario?" Der Ex-Dortmunder sah sich entsetzt im Raum um, bis er Leon entdeckte. „Na das konnte ja nur von dir kommen. Du kannst froh sein, dass Marco nicht hier ist. Der würde spätestens jetzt Panik bekommen, weil er von Ex-Schlümpfen umgeben ist."

Aus mehreren Ecken des Raumes ertönte entsetztes Räuspern. Kopfschüttelnd widmete Götze sich wieder seinem Essen. Unrecht hatte er jedoch nicht, denn Marco Reus hatte bei der Nationalmannschaft bis jetzt jedes Mal großen Spaß daran gehabt, Stress mit ehemaligen, in seinen Worten, „Herne-Westlern" anzufangen. Da der Dortmunder Kapitän nun leider nicht an der WM teilnehmen konnte, hatte er Mario in einem seiner Meinung nach wichtigen Telefonat eingeschärft, er solle das nun übernehmen. Wie ernst der jetzige Frankfurter diese Aufforderung nahm, wusste er selbst noch nicht ganz.

Leon konnte anschließend immerhin in Ruhe weiter über seine Beziehung berichten, wobei die anderen an seinem Tisch interessiert zuhörten. „Wenn ihr nächstes Jahr schon euer Neunjähriges habt, denkst du, ihr macht das irgendwann öffentlich", wollte Joshua wissen, nachdem Leon mit seiner Erzählung fertig war. Einen Moment lang dachte er nach, bevor er sagte: „Ich weiß es nicht. Es gibt ja durchaus Fußballer, die sich nach ihrem Karriereende geoutet haben, aber so lang will ich eigentlich nicht mehr warten. Ich glaub auch nicht, dass das im Team irgendwen stören sollte, hier wissen ja fast alle Bescheid, bei Bayern auch und bei Jule hat auch niemand ein Problem damit, aber die Frage ist halt, wie die Öffentlichkeit darauf reagiert. Mir persönlich wäre das egal, ich glaub ich würde meine Karriere sogar für ihn aufgeben, wenn nötig, aber ich will ihm seine nicht zerstören."

Joshuas Blick glich nahezu dem eines kleinen Kindes, das einen Hundewelpen sieht, als er sagte: „Warum klingt das so süß, wenn du sagst, du würdest deine Karriere für ihn aufgeben?" Schulterzuckend und mit leicht geröteten Wangen, starrte Leon auf seinen mittlerweile leeren Teller. „Ich find das immer noch wahnsinnig, wie lange das schon gehalten hat. Als wir zusammengekommen sind, waren wir noch so jung und jetzt sind wir beide Ende zwanzig. Ich hätte nie gedacht, dass das funktioniert, vor allem weil wir eigentlich sieben Jahre davon eine Fernbeziehung haben."

Bei dem Wort Fernbeziehung spitzte Thomas die Ohren. Wenn er Operation Bravertz noch immer ernst nahm, müsste er erstmal mehr darüber in Erfahrung bringen, denn sollte etwas daraus werden, müssten Kai und Julian schließlich auch irgendwie mit der Entfernung von Dortmund und London klarkommen.

„Wie kommt ihr so gut damit klar? Also die einzige Fernbeziehung, die ich je hatte, war nach zwei Wochen vorbei." Lachend stellte er die leeren Teller zusammen, um wenigstens etwas beim Abräumen behilflich zu sein. Die Sache mit der zweiwöchigen Fernbeziehung war nicht einmal gelogen, denn im Teenageralter war er der festen Überzeugung gewesen, das würde klappen, hatte aber nach zwei Wochen bereits die Hoffnung aufgegeben. Seine damalige Freundin hatte er anschließend nie wieder gesehen.

„Wir sehen uns jede Sommer- und Winterpause und es ist mittlerweile schon so weit, dass wir uns besucht haben, wenn wir wegen Verletzungen nicht spielen konnten", erklärte Leon lächelnd, „Also es ist nicht einfach, aber machbar und irgendwann spielen wir sicher wieder näher beieinander, dann passt das schon." „Du gehst aber nicht, oder?" Entsetzt sah Joshua in die Runde. Leon schüttelte nur lachend den Kopf. „Stand jetzt nicht, aber wer weiß wie das in ein paar Jahren aussieht."

Madness, Love and Football - Qatar 2022Where stories live. Discover now