Aufbruch

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Auch in dieser Nacht ging es stürmisch zu. Die Tür und die Fenster klapperten, die Holzbalken des Daches erwachten wieder und begannen, ihr Konzert abzuspielen. Der Wind pfiff dazu die passende Melodie durch die Ritzen. Doch Alina und Remy schliefen tief und fest. Es dürfte wohl für beide die beste Nacht seit langem gewesen sein. Es ist wahrscheinlich auch erstmal die letzte in dieser Hütte.

Bevor die Wölfe von dem Schleim befreit würden, mussten Sie hier verschwunden sein. So planten sie, bereits in den frühen Morgenstunden aufzubrechen. Bis dahin träumte der ehemalige Gildenleiter von seiner Reise der letzten Wochen.

Tagelang ritt er mit einem Pferd von Dorf zu Dorf, immer mit dem Blick zum Nachthimmel hinauf. Die Sterne und die Planeten würden ihm den Weg weisen. Das war alles, was für ihn zählte. Während er anfangs noch in den Tavernen schlafen konnte, musste er später sich in irgendwelche Ställe von Bauern einschleichen, um sich dort ausruhen zu können.  Er wollte Alina nicht erzählen, dass er in Wahrheit kein Erz dabei hatte. Zumindest noch nicht. Immerhin schien er gerade erst eine Knospe an Vertrauen in ihr gepflanzt zu haben.

Am Morgen verschwendeten beide keine Zeit. Sie packten ihre Sachen und gingen noch zu den ersten Sonnenstrahlen, die das Tal erleuchteten, nach draußen. "So, mein Navigator. Wo müssen wir hin?", frage Alina erwartungsvoll. Ihre Gesichtsfarbe hatte sich wieder leicht normalisiert, auch wenn der Husten zwischendurch noch geblieben ist.

"Also, in der letzten Nacht zeigte die Konstellation klar zwischen den beiden Gipfeln auf er Ostflanke des Gebirges." Remy deutete auf eine Schlucht hin, die sich durch das Gebirge schlängelte. "Hoffentlich ist es nicht mehr allzu weit. Immerhin haben wir kein Proviant und ob so eine Hütte ein zweites Mal auftauchen wird, ist nicht unbedingt in Stein gemeißelt."

"Dann wäre es gut für uns beide, dass du recht haben solltest." Alina schulterte ihre Tasche und blickte auf die noch bewegungsunfähigen Wölfe. Der Schleim war fast verschwunden, lediglich ihre Pfoten waren weiterhin eingeschlossen. Da die Wölfe aber wohl aufgrund der Erschöpfung schliefen, drohte eh keine Gefahr. Zumindest fürs Erste.

"Sag mal, wie bist du eigentlich hier in das Tal gelangt? Haben Kristallbändiger und Bändigerinnen so eine Art Aura, die sie zum Ziel leiten? Oder besitzt du eine Karte?"

Alina lachte und schüttelte den Kopf: "Bei beiden Optionen wüsste ich zumindest, wie es weitergehen würde.  Nein, unsere Bücher sind teilweise in Rätseln geschrieben. Bis hierhin konnte ich den Weg entschlüsseln, aber die Seite verstehe ich leider nicht. Anfangs war die Reise noch etwas einfacher. Allerdings ist mein Pferd stecken geblieben, den Rest bin ich zu Fuß gelaufen. Da war ich doch sehr froh, diese Hütte entdeckt zu haben. Wenigstens ein bisschen die Beine hochlegen, auch wenn es alles andere als gemütlich war."

Remy schaute interessiert Alina an. "Bist du auch durch die Sumpflandschaft bei Palmera gelaufen? Seitdem musste ich auch zu Fuß meine Reise fortsetzen. Mein armes Pferd...".

Sie lachte zuerst, dann änderte sich ihr Gesicht und wirkte nicht mehr ganz so entspannt. "Ja, ich vermisse Luna sehr. Meine Eltern würden mir das nie verzeihen. Sie hatten zu meinem vierzehnten Geburtstag damals viel Geld investiert, um mir so ein Geschenk machen zu können. Seitdem kam ich auch nicht mehr zu spät zur Akademie. Sie war ein gutes Pferd, vielleicht hat sie sich ja befreien können und ist mit deinem nun unterwegs."

Dann fand sie kurz ihr Lächeln wieder: "Wäre doch eine schöne Vorstellung, oder? Sie würden ihre eigene, gemeinsame Reise unternehmen." Remy ging aber nicht mehr weiter darauf ein und hackte an einem anderen Punkt nach.

"Hast du das Buch eigentlich gerade mit? Ich kann mir das ja mal zumindest anschauen." Er glaubte kaum daran, ihr weiterhelfen zu können, denn er hatte noch nie ein Buch der Bändiger in der Hand geschweige denn mal lesen dürfen. Sein Vater hatte es ihm verboten. "Das würde dich nur zum Grübeln bringen, so dass du deine Aufgaben vernachlässigst", meine er damals zu seinem Sohn.

Das Reich der WölfeWhere stories live. Discover now