1. Kapitel

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Diese Geschichte findet ihr aus einer anderen Perspektive im 2. Buch von Jan und Fine. Auf Wunsch einiger Leserinnen stelle  ich sie nun wieder online.

Diese (Kurz-) Geschichte zu schreiben fällt mir schwer, da Anna mehr mit mir gemein hat, als mir manchmal lieb ist. Diverse Baustellen, mit denen Anna kämpft sind auch meine Baustellen und auch in mir lebt der Struggle zwischen Beziehung - Familie - Kinder - Ausgleich - Haushalt- Job und manchmal auch die Angst und Befürchtung daran zu zerbrechen. Ich weiß noch nicht, wo Annas Geschichte hinführt und wann und wie sie weitergeschrieben und/ oder beendet wird. Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb, habe ich das große Bedürfnis sie zu schreiben. Deshalb meine große Bitte an euch: Seid etwas Nachsichtig mit mir und Anna <3 




Puh,ich hebe den schweren Trolley in den Zug. Anscheinend sehe ich etwas hilflos aus, da ein Mann sich mir annimmt und den Trolley entgegennimmt. Ich bedanke mich und suche dann meinen reservierten Sitzplatz. Ich lasse mich fallen und schließe für einen Moment die Augen. Unterschiedliche Emotionen steigen in mir auf. Von Freude, Erschöpfung, aber auch Angst darüber, was kommen wird. An diese Reise sind schon jetzt unterschiedliche Erwartungen geknüpft, von denen ich noch nicht weiß, ob ich ihnen gerecht werden kann. Da ist einmal mein eigener Anspruch, meine Themen anzugehen, aber auch die zusätzliche Belastung, die Timo und meine Eltern jetzt auf sich nehmen, damit ich mich etwas erholen kann. Obwohl wir im 21. Jahrhundert leben, habe ich trotzdem ein schlechtes Gewissen, dass ich mir diese Zeit jetzt nehme. Mara ist relativ frisch abgestillt, so dass zumindest das kein Problem darstellt. Sie ist außerdem ein sehr friedliches Baby und schläft bereits jetzt auch bei meinen Eltern, gemeinsam mit ihrem großen Bruder natürlich. Ich atme nochmal tief durch. Dann natürlich noch die Erwartungen von Jan an mich, dass ich mich öffne. Was ich aber eigentlich doch gar nicht kann, oder will. Ein blödes Gefühl türmt sich in meiner Magengegend. Ich beschließe diesem Gefühl energisch entgegenzutreten und hole mir im Bordrestaurant einen Kaffee. 

Die Landschaft flitzt an mir vorbei. Es ist schon eine Ewigkeit her, dass ich Zug gefahren bin. Langsam werde ich ruhiger, auch mein Herz schlägt langsamer und ich bekomme besser Luft. Noch eine halbe Stunde dann werden wir am Ziel sein. 

Ich gehe zurück zu meinem Trolley und versuche noch etwas zu lesen. Aus meinem Buch fällt eine Karte. Ich hebe sie auf und lese sie

Mein lieber Schatz, ich wünsche dir von Herzen, dass du dich gut erholen kannst. Mach dir bitte keinen Druck in jeglicher Hinsicht. Wenn du diese Auszeit auch nur nutzt um dich einfach von den letzten anstrengenden Jahren etwas zu erholen, ist das völlig okay. Ich liebe dich und freue mich schon jetzt darauf, dich bald wieder in meinen Armen zu haben, Timo

Mir kommen kurz die Tränen. Es ist toll so einen Mann zu haben und trotzdem habe ich da diese Blockade in mir. Energisch schnäuze ich die Nase und motiviere mich selbst: "So, und jetzt Blick nach vorne!" 

Bei der nächsten Haltestelle muss ich schon aussteigen. Ich packe meine Handtasche zusammen und stelle mich mit meinem Trolley an die Schiebetüre. Bald kommt der Zug zum stehen und ich hieve den Trolley heraus. Puh, hier sind es schon einige Grad weniger, als in München. Ich zittere leicht und schaue mich dann suchend um. Ich sollte abgeholt werden. Tatsächlich steht Fine, Jans Freundin, nur wenige Meter entfernt und winkt mir zu. Wir haben uns bei der Hochzeit und Daniel und Elena vor einigen Monaten kennengelernt. Fine hat mittlerweile ihre Zelte in München komplett abgebrochen und ist zu Jan gezogen. Sie zieht mich in eine warme Umarmung. 

"Schön, dass du da bist!", sie lächelt mich an. Ich mustere sie kurz. Sie sieht so gut aus. Eine leichte Bräune bedeckt ihr Gesicht, ihre Augen strahlen und ihre Haare glänzen. 

"Mir scheint es, als würde dir das Leben hier bekommen!", ich lächle sie an. 

"Oh ja, dass tu es. Und weißt du was, dass wird es dir auch, mit Sicherheit. Also, lass uns fahren!" 

Gemeinsam hieven wir den schweren Koffer ins Auto. Fine kichert.

"Als ich hier ankam, hatte ich auch so ein Monstrum dabei. Und als ich dann aus dem Retreat flüchten wollte, habe ich den auch noch glatt im Zug gelassen. Jan muss echt ordentlich dafür gezahlt haben, damit der wieder zu ihm gelangt." Ich lache mit. Fines Art ist ansteckend. Meine Anspannung löst sich etwas. 

"Weißt du, wie meine nächsten Tage aussehen werden?", frage ich Fine

"Yep, ich habe sie ja schließlich geplant!", sie grinst mich an. 

"Oh je. Ich ahne Schreckliches!", scherzhaft verdrehe ich die Augen um dann mit ihr gemeinsam zu lachen. 

"Ach Quatsch. Du bekommst die volle Ladung Wellness, ein tolles Zimmer, Sport, gutes Essen und wenn du möchtest das ein- oder andere gute Gespräch mit Jan und Maxi kommt übermorgen ja auch vorbei. Da kommst du dann aber zu uns nach Hause!" 

"Das klingt gut....", sage ich etwas stockend. Ob ich diese Gespräche haben möchte, weiß ich noch nicht. 

"Du musst nicht mit Jan sprechen...", sagt Fine sanft. Sie hat ein gutes Einfühlungsvermögen. 

"Ich weiß. Aber weißt du, ich spüre da diesen Druck in mir." Etwas hilflos schaue ich sie an. 

"Machst du dir selbst den Druck, oder kommt der von außen..."ich atme tief durch und versuche Fines Frage zu beantworten

"Ich denke es ist eine Mischung. Jeder sagt, ich soll das angehen und ich sehe schon auch die Notwendigkeit, aber mein innerer Schweinehund sagt eben, dass es doch bisher auch gut ging. Warum soll ich das dann ändern.."

"Lass es auf dich zukommen. Alles hat seine Zeit!", Fine lächelt mich an. 

"Du kennst ja Jans und meine Geschichte. Es hat Zeit, Tränen, eine Reanimation und eine Kur gebraucht. Vielleicht bekommst du es etwas weniger dramatisch hin...." Fine verdreht die Augen.

Nun muss ich lachen. Ich mag Fines trockenen Humor.

"Ich denke das sollte drin sein!"

"Na siehst du!" Fine lächelt und stellt den Wagen vor dem eindrucksvollen Gebäude ab. 

"So, da wären wir! Ach schau, sogar das Empfangskomitee ist schon da!" Sie deutet auf Jan, der gerade mit einer anderen Frau spricht. Gemeinsam ziehen wir den Trolley aus dem Auto. 

Jan verabschiedet sich von der Frau und lächelt mich an. Ich bin etwas verhalten darin, ihm direkt in die Augen zu schauen, da ich nicht möchte, dass er direkt darin liest. Aber tatsächlich blickt er mich nur ganz ruhig, ohne Röntgenblick, an. Sonderbarerweise fühle ich mich sogar etwas enttäuscht.

"Schön, dass du da bist, Anna! Fine wird dir hier alles zeigen und erklären. Wir sehen uns spätestens übermorgen wenn Maxi zum Essen kommt." Dann wendet er sich Fine zu, gibt ihr einen schnellen Kuss, bevor er wieder ins Innere des Hauses eilt. 



Spaziergang zur inneren Mitte oder Annas GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt