Schwarze Göttin

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Ich verehrte sie. Ich zeigte es ihr jeden Tag mit unersättlicher Zuneigung und Fürsorge. Ich umhegte und pflegte sie, brachte sie zum Blühen, hielt jeglichen Schädling von ihr fern.

Um sie zu bekommen, kreuzte ich die schönsten und dunkelsten Rosenarten, die man finden konnte. Ich nahm lediglich den Blütenstaub der vielversprechendsten Blüten und züchtete mit diesen weiter.

Ich wollte sie erschaffen. Ich wollte der Erste sein, dem es gelang eine schwarze Rose zu kreieren. Ich wollte unter den Rosenzüchtern der Größte sein, der Beste, derjenige, zu dem die Gesellschaft aufsah! Der, welcher es nach Jahrzehnten endlich schafft, die erste, perfekte Rose hervorzubringen. Ich wollte derjenige sein, der als Vorreiter für alle Rosenzüchter fungierte und der ganzen Welt eine schwarze Göttin präsentierte.

Ja, das erschien mir als passender Name. Schwarze Göttin. Nichts anderes war von Bedeutung und auch nur dieses eine Ziel zählte. Koste es, was es wolle, aber ich werde es erreichen. Die Knospen erstrahlten schon in einem herrlichen Rabenschwarz und erfüllten mein Inneres mit Glück. Doch je größer sie wurden und je mehr sie erblühten, umso mehr kam das Rot wieder zum Vorschein und ich zerquetschte die zarten Rosenblätter in meiner Hand.

Keine einzige, voll aufgegangene Blüte sprach von Perfektion und musste daher ausgemerzt werden. Es tat mir in der Seele weh und ich entschuldigte mich direkt bei meiner einzigen Liebe. Die einzige Frau, die mir treu war und blieb. Nur meine zukünftige Schwarze Göttin würde immer an meiner Seite bleiben.

Aber was musste ich tun, damit sie vollkommen wurde? Irgendetwas musste ich doch übersehen haben, um ihr die Perfektion verleihen zu können, die einer Göttin gebührte. Was nur? Was war es? Ich raufte mir die Haare, ich schlief nicht mehr, ich studierte Buch um Buch, um des Rätsels Lösung zu finden, doch da war nichts. Jede bekannte Methode hatte ich ausprobiert, jede Kreuzung schon getestet, jede artverwandte Blume in meinem Gewächshaus und doch wollte es nicht funktionieren.

Frustration und Unbeherrschtheit brachen sich ihre Bahnen und fraßen sich tief in Herz und Verstand, bis es schlussendlich dazu kam, dass ich jede Pflanze, die ich besaß, bis auf meine Schwarze Göttin, zerfetzte. Ich ließ nichts von ihnen übrig, denn sie waren daran schuld, dass diese eine bis heute unvollkommen war. Nur wegen ihren schlechten Genen, ihrer Unzulänglichkeit! Alles schien verloren. Jedenfalls bis zu dem Tag, an dem ich sie sah.

Die Haare in dem schwarzen Ton, wie er nur meiner Liebsten vorbestimmt sein sollte. Jung und gesund wie der schönste Morgen, den ich sah und so lieblich vom Charakter her, wie meine Rose es sein sollte. Kurz flammte das Bild meiner Kreation vor meinem inneren Auge auf und ich sah es als Zeichen an.

Als Zeichen dafür, gefunden zu haben, was es brauchte, damit die Schwarze Göttin vollkommen wurde. Sie flüsterte es mir geradezu ins Ohr, dass sie diese Frau haben wollte und nur mit ihr die perfekten, schwarzen Blüten hervorbringen konnte. Es war, als würde sie mir über den Rücken streicheln, ihre Lippen beim Sprechen sanft mein Ohr berühren und ihr Körper sich an meinen schmiegen. Das war die Lösung! Ich benötigte die Essenz dieser unbekannten Frau. Die Göttin verlangte es.

Ich beobachtete sie von dieser Stunde an jeden Tag. Ich studierte ihre Vorlieben und Abneigungen, fand heraus, wo sie wohnte und mit wem sie sich traf. Je mehr Zeit verstrich, desto ungeduldiger wurde meine Liebste. Doch es brauchte Zeit, damit auch nichts schieflief. Ich überprüfte ihren Namen, studierte weitestgehend ihre Herkunft und als ich alles beisammenhatte, wartete ich nur noch auf einen günstigen Moment.

Diese eine, entscheidende Situation kam. Wie zufällig liefen wir morgens ineinander. Wie von mir geplant, verschüttete sie ihren Kaffee auf meiner Kleidung und durch ihre hilfsbereite Art entschuldigte sie sich sofort und begann, mein Hemd abzutupfen. Ich lächelte sie an und fragte: „Anna? Bist du das?" Natürlich sah sie mich verwirrt an, dann nachdenklich und schließlich fragte sie mich, wer ich sei. Ich tat überrascht und fragte, ob sie ihren alten Klassenkameraden Jonas aus der Grundschule nicht wiedererkannte.
Durch meine absolut perfekte Recherche wusste ich, mit wem sie in derselben Schule war und auch, wer von diesen bereits verstorben war. Jonas ist als Soldat im Krisengebiet gefallen. Er war nur einer von vielen gewesen, niemand hatte ihm Bedeutung beigemessen und somit konnte sie auch nicht wissen, dass er ehrenhaft an der Front gefallen war. Sehr zu meinem Vorteil.

In ihren Augen konnte ich sehen, dass sie noch eine Sekunde überlegte, doch dann erschien wieder dieses Lächeln auf ihrem Gesicht, in welchem ich meine liebste Göttin erkannte. Schon beinahe verliebt erwiderte ich den Blick von dieser Fremden und tat mein Bestes, ihr Vertrauen weiter zu gewinnen. Es gelang mir erstaunlich gut.

Dieses erste Treffen war nur der Auftakt. Viele weitere Treffen folgten. Ohne zu überlegen, erzählte Anna mir alles, hinterfragte nicht ein einziges Mal, ob ich auch wirklich der war, für den ich mich ausgab. Es war beinahe zu leicht. Aber auch nur beinahe, denn je mehr Zeit ich mit dieser Frau verbrachte, umso zorniger wurde meine Liebste.

Immer stärker spürte ich ihre Dornen in meiner Haut. Ich hörte jeden Tag deutlicher ihre gezischten, eifersüchtigen Worte und sie distanzierte sich von mir. Egal, wie oft ich der Schwarzen Göttin versicherte, dass sie die einzig Wahre für mich war, es nützte nichts. Sie begann, mich mit Nichtachtung zu strafen und zog sich noch mehr von mir zurück. Egal, wie einfühlsam ich mit ihr sprach, egal mit was für wertvollem Dünger oder nährstoffreichen Wasser ich sie goss, sie ignorierte mich.
Nein, ich durfte meine wahre Liebe nicht verlieren! Es musste schneller gehen, damit sie mir ihre Aufmerksamkeit schenkte. Ich konnte nicht ohne sie existieren! Sie war alles, was ich wollte und brauchte.

Der Tag kam, an welchem ich der Fremden von meiner Leidenschaft für die Rosenzucht erzählte und sie in mein Gewächshaus einlud. Natürlich war Anna naiv und leichtgläubig und kam einfach mit. Wir unterhielten uns locker, doch die Unruhe in mir nahm merklich zu. Bald, ja bald würde meine Herzdame das bekommen, wonach sie verlangte. Das Wertvollste, das ich ihr schenken konnte.
Ich hatte alles vorbereitet. Alles lag perfekt an Ort und Stelle und auch mein Liebchen war vorbereitet.

Als ich schließlich mit dieser ahnungslosen Frau in das entsprechende Treibhaus ging, erstrahlten ihre Augen hell im Antlitz meiner Göttin. Fasziniert umrundete sie das Rosengewächs und ich hörte die lockende, verführerische Stimme meiner Angebeteten. Sie rief nach mir, sie flehte um das Elixier, sie schrie und bettelte, kreischte beinahe. Es wurde für mich unerträglich, ihre klagenden Laute zu hören.

Langsam griff ich nach der Rosenschere und entsicherte sie. Anna umkreiste immer noch staunend mein Mädchen und strich beinahe ehrfürchtig über die Blütenblätter. Sie erzählte, wie wundervoll sie diese Rose fände und wie schön sie duftete, wie schön doch diese Pflanze sei. Meine Göttin war nicht nur eine Pflanze. Das war eine Beleidung!

Mein Weg führten mich langsam zu ihr zurück und als sie mit dem Rücken vor mir stand, machte ich einen großen Schritt nach vorne, packte ihre Haare und zog Annas Kopf zurück. Blitzschnell versenkte ich die scharfe Klinge der Schere in ihrem Hals. Wieder und immer wieder stach ich zu, bis kein Laut mehr aus ihrem Halse kam und sie endlich aufhörte, die jubelnde Stimme der Schwarzen Göttin zu beflecken.

Behutsam legte ich den geöffneten Hals der Schwarzhaarigen dicht an den Ursprung der Rose und ließ ihr dickflüssiges Blut in die Erde sickern. Ja, damit würde ich die perfekte, schwarze Rose erschaffen können und wenn dieser Körper ausgeblutet war, dann würde ich ihr noch das Herz entnehmen und es in den Wurzeln meiner Herzensdame betten, damit diese es in sich aufnehmen konnte. Damit sie jede Möglichkeit erhielt, die Essenz dieser Frau zu bekommen, welche alle Eigenschaften aufwies, die meine Frau besitzen sollte. Den restlichen Körper würde ich im Schredder entsorgen und im Kompost würde der Rest erledigt werden.

Wochen später schlug die Verzweiflung jedoch wieder zu. Die neuerblühten Knospen waren nach wie vor von einem tiefdunklen Rot. Es hatte nicht gereicht. Aber halt, waren die Kinder meiner Schwarzen Göttin nicht schon dunkler geworden? Doch, natürlich! Ich sah es ganz deutlich. Nur ein Hauch, nur eine Nuance, aber es war definitiv ein dunklerer Farbton.
Des Rätsels Lösung... ich hatte sie gefunden. Auch meine Liebste umarmte mich wieder von hinten, ließ ihre zarten Lippen über meinen Nacken und meinen Rücken gleiten und ermutigte mich zum Weitersuchen.

Ja, Geliebte. Ich würde nach Frauen wie Anna suchen und sie dir alle bringen, bis deine Blüten in dem schönsten, glänzendsten Schwarz erstrahlten, wie es die Haarpracht deiner ersten Opfergabe tat. Ich verspreche es dir, ich werde sie alle finden. Keine andere Frau soll deine Farbe, deine Schönheit tragen. Nur du und deine Kinder sind dazu bestimmt, in vollkommenem Schwarz zu glänzen und ich werde dich und dein Erbe perfektionieren.

Ich liebe dich von ganzem Herzen und meine Seele gehört allein dir, meine Schwarze Göttin.

Schwarze GöttinWhere stories live. Discover now