Kapitel IX

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Als die drei das Gelände verließen, war es zunächst still im Wagen. Jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach. Chung warf gelegentlich einen Blick in den Rückspiegel und beobachtete Rory, der auf der Rückbank stur aus dem Fenster sah. Nakoa war vertieft in sein Tablett, dass auf seinem Schoß lag, einen Background Check zum Waisenhaus durchführte und als Erster das Schweigen brach.

"Das Waisenhaus hat ja eine bewegte Vergangenheit..."

Rory wurde neugierig, rutschte zur Mitte und lehnte sich vor.

"Was hast du gefunden, Nakoa?..."

"Es wurde erbaut, als die ersten Siedler hierherkamen und als Gemeindehaus genutzt... danach diente es als Unterkunft für die Arbeiter... später wurde es vergrößert und zu einem Hotel umgebaut... danach war es lange Zeit ein Bordell, bis es an die Kirche verkauft wurde, die es zunächst als Schule nutzte und dann das Waisenhaus daraus machte..."

Chung musste schmunzeln.

"Aigo, die Kirche kauft ein Bordell?!... Das ist recht merkwürdig..."

"Viel merkwürdiger ist, dass sie in ihrer Bibliothek eine heidnische Grimoire haben..."

Nakoa kratzte sich nachdenklich am Nacken.

"Dort befanden sich sehr viele alte Bücher, die ich nicht lesen konnte... mit seltsamen Zeichen, also ich meine damit, dass es keine Buchstaben waren... Nakoa, woher weißt du so viel darüber?..."

Nakoa und Chung tauschten kurz einen Blick miteinander aus und Chung nickte, bevor Nakoa antwortete. Rory hatte diesen Blick wohl bemerkt, jedoch gab er dazu keinen Kommentar, nahm sich aber für später vor, Chung danach zu fragen. Er war im Moment viel zu neugierig auf die Antwort.

"Meine Ahnen waren Kahuna... jemand, der über unsere Kultur nicht Bescheid weiß, würde sie als Priester oder Schamanen bezeichnen, jedoch trifft das nicht ganz zu... jeder aus unserem Volk kann ein Kahuna sein... mein Urgroßvater erzählte mir sehr viele Geschichten über sie, vor allem, als er bemerkte, dass ich die Macht des Sehens erbte... ab da gab er all sein Wissen an mich weiter... daher kenne ich mich mit fast jedem Okkultismus aus..."

Rory zog irritiert die Augenbrauen zusammen.

"Was meinst du mit, die Macht des Sehens?... Bist du so etwas wie ein Hellseher?..."

"Das trifft es nicht so ganz... es ist schwer zu erklären... in manchen Situationen sehe ich bestimmte Dinge, jedoch kann ich sie nicht steuern oder jederzeit abrufen... wenn es so einfach wäre, dann würde Yoon vielleicht heute noch leben..."

Der letzte Satz war nur ein Flüstern, bevor er schweigend aus dem Seitenfenster sah. Chung ergriff Nakoas Unterarm und drückte ihn kurz.

"Ich sagte dir bereits, es war nicht deine Schuld... wie hätten wir wissen sollen, dass du Yoons Tod sahst..."

 Rory lehnte sich wieder zurück und musste das gehörte erst einmal verdauen.

Nakoa hat einen Tod vorausgesehen?... Ist das überhaupt möglich?... Oder wollen die beiden mich nur auf den Arm nehmen... nein, dazu waren sie viel zu bewegt...

Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Es war später Nachmittag, als sie endlich das Waisenhaus erreichten. Je näher sie kamen, umso unruhiger war Rory geworden. Chung, der dies bemerkt hatte, trat, nachdem sie ausgestiegen waren, an seine Seite. 

"Alles in Ordnung?... Du siehst ein wenig blass aus..."

"Aye, danke... es geht schon... nach so langer Zeit wieder hier zu sein, ist... ach egal, lass uns hineingehen..." 

S.D.I. Mysterious CrimesWhere stories live. Discover now