Das Phantom der Oper

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Das Phantom der Oper

Du bist Hausmeister im ältesten Theater der Stadt.

„Wir sehen uns dann morgen, oder?"
„Wie immer um die gleiche Zeit, Thomas", rief ich ihm hinterher und der Schauspieler hielt am Eingang noch einmal kurz Inne um mir ein letztes Mal zuzuwinken. Ich erwiderte die Geste, griff gleichzeitig nach dem Wagen mit den Putzutensilien.
Man hatte – wie üblich – etwas gespart und deshalb meine Stelle mit der des Putzpersonals zusammen geworfen.
Ich beschwerte mich nicht – das Extra-Gehalt konnte ich gut brauchen und außerdem gab es weitaus Schlimmeres als den ganzen Tag im Theater zu verbringen.
Tagsüber kümmerte ich mich um Reparaturen—wie kaputte Glühbirnen, lose Schrauben oder zersprungene Spiegel in den Garderoben der Schauspieler—während ich Nachts nach der Vorstellung den Saal säuberte und eine letzte Runde durch das Theater drehte, bevor ich das alte Gemäuer abschloss um nach Hause gehen zu können.
Sieben Jahre ging dieses Spiel jetzt schon und die ganze Theatergruppe hatte mich ins Herz geschlossen.
Ich wurde ihr erster Ansprechpartner bei den Entscheidungen für die neuen Stücke, Fashiondesigner wenn es um die Kostüme ging, beliebtester Kritiker nach der Generalprobe und—besonders wichtig—die Person, die sie vor weiteren Angriffen des Theatergeistes beschützte.
Scherzhaft nannten sie mich deshalb gerne den Perser—nach der Gleichnamigen Figur im Roman „Das Phantom der Oper" von Gaston Leroux.
Doch im Gegensatz zum ebendiesem Perser verfolgte ich kein Phantom; hatte auch nicht das Ziel es davon abzuhalten irgendwen anzugreifen.
Aber den Spitznamen behielt ich dennoch.
Ich sah dabei zu, wie die Tür hinter Thomas ins Schloss fiel und setzte mich dann in Bewegung.
Das Theater würde sich immerhin nicht von alleine putzen...
Ich öffnete eine der vielen Flügeltüren und schob den Wagen mit den Putzsachen in den Zuschauerraum. Als erstes fiel mir auf dass eine elektrische Kerze am goldenen Kronleuchter ausgegangen war.
Wenn ich schon dabei war, könnte ich die nachher auch noch austauschen...
Der alte Saal war gewaltig und in prächtigen Gold- und Rottönen gehalten. An den oberen Rängen und Logen konnte man noch die charmanten barrocken Figuren erkennen, die teilweise wieder restauriert worden waren.
Gegen 1640 war das Schmuckstück als Opernhaus erbaut worden und diente erst seit der Renovierung vor gut zwanzig Jahren als Haupttheater unserer Stadt. Wobei es von der Bevölkerung erst einmal vor dem Abriss hatte gerettet werden müssen.
Nun, die Stadt versuchte halt so viel Geld wie möglich zu sparen...
Grund für den geplanten Abriss war ein Vorfall, der nebst Gebäudestrukturen auch mehrere Menschenleben gekostet hatte. Vor gut fünfzig Jahren war ein Feuer in dem Gebäude ausgebrochen und hatte nicht nur vieles zerstört sondern auch die Gäste und Schauspieler auf der Bühne überrascht. Nicht alle hatten damals entkommen können. Warum genau das Inferno ausgebrochen war, wusste niemand, aber seither hielten sich Geschichten über böse Geister und unheimliche Vorkommnisse. Natürlich gab es diese Berichte auch bereits vor dem großen Feuer, aber seither war es beinahe schon ein Aushängeschild für das Theater—obwohl es so eine Spielerei nicht nötig hatte.
Ich seufzte schwer, griff mir zuerst einen Handbesen und begann die wenigen Krümel von den roten Samtstühlen zu kehren.
Die Pläne der Stadt hätten eigentlich vorgesehen, dass dieses Gebäude nicht wieder aufgebaut, sondern durch einen modernen Glaskasten hätte ersetzt werden sollen, doch hatten sie sich der schieren Übermacht der unterschriebenen Petitionen beugen müssen.
Und die Leute zeigten deutlich wie sehr sie ihr altes Theater liebten—fast täglich war der Saal ausverkauft.
Natürlich lag das auch an den gespielten Stücken.
Ich wechselte den Handbesen gegen einen größeren Vertreter seiner Art, begann den Dreck in den Gängen zusammenzufegen.
Ob nun von klassischem Theater zu neuen Variationen, selbstgeschriebenen Bühnenstücken oder auch einmal einem Konzert war auf der ausladenden Bühne alles vertreten. Wenn ich es sogar richtig mitbekommen hatte, war es dem Direktor James gelungen unserem Theater einen Platz auf der Tourliste eines großen Musicals zu sichern. Und ich würde wie immer das Privileg inne halten, das Stück kostenlos und teilweise sogar von der Bühnenseite aus mitzubekommen, bevor ich mich an die Aufräumarbeit machte.
Nein, ich konnte mich über meinen Job wahrlich nicht beklagen.
Als ich mit dem vor mir her gekehrten Haufen an Staub und Müll meinen Putzwagen wieder erreichte, wartete die Kehrschaufel bereits auf dem Boden auf mich.
Ein amüsiertes Lächeln zuckte um meine Mundwinkel und ich warf einen kurzen Blick durch den noch immer leeren Saal.
„Dankeschön", verkündete ich, kehrte den Dreck auf die Schaufel und ließ ihn dann im Mülleimer verschwinden.
„Wie fandest du die Vorstellung heute? Sandy hat zwar ein paar Fehler in ihren Text eingebaut, aber ich denke, wenn man das Stück zuvor noch nicht gesehen hat, fällt es einem nicht auf."
Ich erhielt keine Antwort, doch das bedeutete noch lange nicht, dass ich nicht gehört wurde.
Oder aber ich war einfach etwas verrückt.
Bevor ich mich den Logen zuwenden—und damit wieder den Saal verlassen musste—wollte ich zuerst noch die elektrische Kerze austauschen.
Immer einen Raum nach dem anderen fertig machen.
Ich hastete ein paar Gänge entlang, bis ich das große Lager erreicht hatte indem wir Ersatzteile und Leitern aufbewahrten. Mit dem Notwendigen unter den Armen stapfte ich zurück in den Saal, versuchte aufgrund der Stühle einen immerhin etwas sicheren Stand für meine Leiter zu finden.
Als ich mir sicher war, ihn gefunden zu haben, kletterte ich flink die vielen Stufen hinauf, erreichte bald darauf den Kronleuchter, nahm mir vor nur nicht nach unten zu sehen.
Ich war schon verdammt weit oben...
Mit zitternden Händen löste ich die kaputte Kerze aus ihrer Verankerung, wollte gerade die Neue Einschrauben, als es geschah.
Die Leiter geriet ins Schwanken.
Mit einem überraschten Fluch klammerte ich mich an das metallene Gestell, versuchte mit meinem Körper die Schwingungen auszugleichen und die Leiter wieder in einen ruhigen Stand zu bekommen.
Jedoch gelang es mir nicht wirklich.
Ich konnte bereits spüren, wie ich das Übergewicht bekam und kniff angespannt die Augen zusammen...
Und dann, ganz plötzlich, stand die Leiter wieder still.
Ich hatte gar nicht bemerkt dass ich die Luft angehalten hatte, beeilte mich jedoch wieder Luft in meine Lunge zu pumpen.
So schnell es ging hatte ich die neue Kerze eingeschraubt und war die Leiter wieder hinab geklettert. Als ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, ließ ich mich erst einmal schwer Atmend auf einen Stuhl fallen.
Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn und ich konnte meinen hastigen Herzschlag in meinen Ohren rauschen hören.
„Das war echt knapp...und verdammt dumm von mir. Danke, dass du mich gerettet hast", keuchte ich, strich mir die Haare aus dem Gesicht.
Jetzt wusste ich, weshalb man bei Leitern immer zu zweit arbeiten sollte.
Nachdem ich den Schock meines beinahe Absturzes verwunden hatte, verräumte ich zuerst die Leiter wieder, bevor ich den Saal verließ und zu den oberen Rängen und den Logen hinauf stieg.
Der weitere Abend verlief glücklicherweise ereignislos—davon abgesehen dass die Kehrmaschine mit der ich durch die Gänge des Theaters tuckerte plötzlich einen Gang mehr zu haben schien und beinahe gegen die nächste Wand gefahren wäre.
Es war kurz vor Mitternacht, als ich meine letzte Runde durch das Gebäude drehte, prüfte ob die Fenster geschlossen waren, hinter mir alle Lichter löschte und letztendlich die Türen abschloss.
In der Eingangshalle hielt ich noch einmal kurz Inne.
„Danke nochmal für die Sache mit der Leiter. Mach dir noch einen schönen Abend und wir sehen uns morgen wieder", grinste ich und hob zum Abschied die Hand in die Dunkelheit des Theaters.
Kalte Luft schlug mir entgegen, als ich durch die Eingangstür ins Freie trat und leise summend schloss ich hinter mir ab.
Ich hatte alles geputzt, die Lichter waren alle gelöscht, die Fenster geschlossen und die Türen zugesperrt.
Es gab also nichts, dass gegen meinen wohl verdienten Feierabend sprach. Noch dazu konnte ich von weitem bereits mein Bett nach mir rufen hören.
Zufrieden schlenderte ich zu meinem kleinen Wagen und war kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden.

Erik sah der Gestalt des Hausmeisters noch etwas nach, bevor er schwer seufzte.
Heute hatte er ihn noch vor dem sicheren Tod bewahren können, doch sobald die...Dinger...die seit weit vor dem großen Feuer in diesem Theater die Oberhand gehabt hatten, erneut an Macht gewannen, war er sich nicht sicher, wie lange er ihn noch beschützen konnte.
Immerhin wusste er genau, wie stark ihr Einfluss war und wie tödlich sie sein konnten.
Für einen kurzen Moment meinte er erneut die Flammen über seinen durchscheinenden Körper wandern zu spüren und er verzog eine schmerzhafte Grimasse.
Aber er würde zumindest versuchen ihn zu beschützen.
Immerhin schien er der Einzige zu sein, der ihm freundlich gesonnen war.
Und er mochte es, wenn er mit ihm sprach—auch wenn er ihn offensichtlich nicht sehen konnte.
Noch einmal seufzte Erik schwer, hatte die Gestalt des Hausmeisters aus dem Blick verloren.
„Pass gut auf dich auf, mein Freund. Wir sehen uns morgen wieder", murmelte er und zog sich dann in die Tiefen des alten Stadttheaters zurück.

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