Kapitel 5

25 1 0
                                    

Ein wenig zurückhaltend ging ich über den Kiesweg des Friedhofes. In der hintersten Ecke hatte sich ein Grüppchen versammelt, zu dem ich vermutlich musste. Ich war heute im Vergleich sehr schlicht gekleidet, da ich eine lange schwarze Hose und eine ebenfalls schwarze Bluse trug. Es war zwar sehr warm, aber ich empfand es als respektlos, in kurzer Kleidung auf einen Friedhof zu gehen. 

"Du musst Lorelei sein", begrüßte mich eine Junge Frau, die vermutlich in ihren Zwanzigern war. Etwas perplex sah ich sie an. "Ja...", erwiderte ich unsicher und schaute sie forschend an. "Ich bin die Tochter von Karl. Er hat sehr viel von dir erzählt zum Ende hin und deshalb habe ich dich eingeladen", erklärte sie und lächelte mich an. "In welchem Zusammenhang hat er von mir erzählt?", fragte ich neugierig und nehm neben ihr auf einem der Klappstühle aus Holz platz. 

Sie wollte gerade antworten, wir wurden jedoch unterbrochen, weil nun verschiedene Angehörige Grabreden halten sollten. Es begann seine Frau, weshalb ich mir ein Lachen verkneifen musste. Also lernte ich doch mal die Schreckschraube kennen, weshalb er so viel Zeit bei meiner Mutter verbracht hatte. Sie lobpreiste ihn auf äußerste, weshalb mir öfter mal fast die Galle hochkam. Letzte Ehre schön und gut, aber das was sie machte, war übertrieben. 

Irgendwann übernahm dann die Tochter, die davon erzählte, was für ein liebevoller Vater er war, auch wenn er wegen seiner Arbeit so selten zuhause war. Sie erzählte auch, dass er sich in seiner Freizeit um mich gekümmert hätte, weil er mich durch Zufall mal in einem Park getroffen hatte, als ich kleiner war. Dass ich nicht lache. "Vielleicht möchte Lorelei dazu selbst gerne ein paar Geschichten über meinen Vater erzählen. Immerhin schien er ja auch wie ein Vater für sie gewesen zu sein", forderte sie mich auf. Widerwillig stand ich auf und nahm ihren Platz an einem improvisierten Rednerpult ein. Sie nahm wieder Platz und lächelte mir zu. 

Das Schauspiel durfte beginnen. 

"Danke für die lieben Worte bis jetzt. Auch ich habe einiges über Karl zu erzählen, was vielen von Ihnen vermutlich nicht bekannt war, aber ich möchte ihm auf meine Art und Weise die letzte Ehre erweisen. Ja, er war Jahrelang wie ein Vater für mich. Er hat mich beschützt, mich zu Schulveranstaltungen begleitet, für die meine Mutter keine Zeit hatte und hatte immer ein offenes Ohr für mich, doch so ein Heiliger, als der er dargestellt wurde, war er leider nicht. Er kannte meine Mutter sehr gut und hat so oft Zeit bei uns zuhause verbracht. Mich hat er mit Spielsachen verwöhnt, während er meine Mutter nebenan anderweitig verwöhnt hatte, wenn ihr wisst was ich meine." Direkt erntete ich geschockte Blicke, während sich so gut wie jeder in einer Schockstarre befand. "Ich kenne keinen Mann, der so viel Zeit bei ihr verbracht hatte und das tat vermutlich auch ihr gut. Also erweise ich hiermit die letzte Ehre an den nettesten, treuesten und versautesten Stammfreier meiner Mutter", endete ich, worauf seine Witwe direkt explodierte. "Wie können Sie es wagen, hier aufzutauchen und solche Lügen über meinen Mann zu erzählen!", keifte sie, weshalb ich begann zu lachen. "Denken Sie wirklich, das wäre gelogen? Ich dachte, sie kannten Ihren Mann so gut. Haben Sie sich nicht gewundert, wo das ganze Geld landet? Er hat wirklich viel Geld bei Prostituierten gelassen", meinte ich an sie gewandt, bevor ich gen Himmel sah. "Auf dass du da oben dein Gegenstück findest", sagte ich, bevor ich unter vorwurfsvollen Blicken die Beerdigung verließ. "Wieso hast du die Göre überhaupt eingeladen?", keifte die Witwe ihre Tochter an, die gar nicht wusste, was sie dazu sagen sollte. "Woher hätte ich wissen sollen, dass sie die Tochter einer Nutte ist", erwiderte sie. 

Ich grinste vor mich hin, während ich den Friedhof verließ. 

Für den Mittag hatte ich mich mit Will im Tattoostudio verabredet, weil er mir das neue Tattoo stechen wollte. Es war nicht weit vom Friedhof aus, weshalb ich direkt hinging und den Laden betrat. Es lief Musik und man hörte das typische monotone Summen. "Will ist oben", sagte die Frau hinter dem Tresen direkt, weshalb ich mich bedankte und die enge Wendeltreppe hochging. Will war schon mitten in den Vorbereitungen, weshalb er zusammenzuckte, als ich in sein Blickfeld trat. 

"Da bist du ja schon", stellte er erfreut fest und umarmte mich kurz zur Begrüßung, bevor er sein Tablet zur Hand nahm und mir die Vorlage zeigte, die er nach unserem Gespräch im Diner erstellt hatte. "Das sieht ja noch besser aus als in meiner Vorstellung", stellte ich aufgeregt fest und grinste von einem Ohr zum anderen. Das würde das erste Tattoo am Unterarm werden und dementsprechend aufgeregt war ich. Ansonsten war nur mein linker Oberarm inklusive vorderer Schulter und meine seitliche Hüfte bedeckt. Die Erweiterung von dem am Oberarm auf das Schulterblatt sollte demnächst folgen.

Überglücklich setzte ich mich hin und wartete sehnsüchtig, dass er endlich anfing. Der Schmerz war erträglich, weshalb ich in der Zwischenzeit beinahe einschlief, jedoch hielt Will mich mit irgendwelchen Gesprächsthemen die ganze Zeit wach. Irgendwann begann ich sogar damit, am Handy zu spielen, was jedoch als Rechtshänder mit Handy in der linken Hand eher schwierig war. Es dauerte mehrere Stunden, bis er fertig war und mich aufstehen ließ. Ich war überglücklich und nahm meine Tasche, die neben mir stand. "Wie viel bekommst du?", fragte ich nach, worauf er kurz rechnete und mir einen Betrag nannte. Ich gab ihm die Summe in bar sowie dem Geld für die Pillen, die er mir gegeben hatte. 

Er gab mir noch einen Kuss auf die Wange, bevor ich den Laden verließ und nach Hause ging. 

Es war bereits dunkel, weshalb ich extra vorsichtig durch die Straßen lief. Ich litt ja auch so schon oft unter Verfolgungsängsten, aber seit der Typ bei mir zuhause aufgetaucht war, war das noch viel schlimmer geworden. Ich hatte wirklich Angst, dass er mich umbrachte. 

Endlich in meinem Zimmer zog ich mich um und machte mich bettfertig. Ich verbrachte den Freitagabend damit, Netflixserien auf meinem Laptop zu schauen. Währenddessen saß ich an meinem Fenster und genehmigte mir etwas von dem Gras, was ich vorhin noch von Will gekauft hatte. Bei geöffnetem Fenster saß ich auf der Fensterbank und rauchte genüsslich. Mom ließ sich wieder von irgendeinem Kerl nageln, was mich jedoch nicht störte. Die Noise Cancelling Kopfhörer waren eine wirklich gute Investition gewesen. 

Mein Blick fiel auf meine Kommode, auf der ein Tütchen voller bunter Pillen lag. Ich hatte vor, die am nächsten Abend im Club an den Mann zu bringen beim Feiern. Ich hatte als Frau immerhin das Glück, in meinem BH schmuggeln zu können. Außerdem konnte ich mir mit dem Verdienst meine Drinks finanzieren. 

Bevor ich schlafen ging, legte ich mir schon mein Outfit für den nächsten Abend bereit. Ich suchte mir ein Bauchfreies Top raus sowie einen engen Rock in Lederoptik, den Rest würde ich am nächsten Tag planen, jedoch hatte ich vor, mal ordentlich auszuschlafen und dann könnte es auch gerne mal früher Nachmittag werden. Immerhin war es schon ziemlich spät. 

Erschöpft warf ich mich in mein Bett und rollte mich in meine Bettdecke ein. Manchmal liebte ich die Eintönigkeit in meinem Leben, denn diese Ruhe würde ich nach der Schule vermutlich nicht mehr haben. 

ProvenanceWhere stories live. Discover now