Plant

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Pflanzen.
Schöne Lebewesen.
Man muss nicht mit ihnen sprechen, keine emotionale Bindung aufbauen. Man muss sie nur am Leben halten. Man muss ihnen nur Wasser, Luft und ein bisschen Liebe geben.
Und sie geben einem das mithilfe eines einzelnen Blattes tausendfach zurück. Warum erfreut man sich so, warum steigen in einem Glücksgefühle auf, nur weil eine Pflanze wächst? Nur weil sie tut, was sie tut. Jeder wächst. Man freut sich ja auch nicht, wenn ein Kind ein neues Bein bekommt, auf dem Ultraschall. Wobei, vielleicht doch. Vielleicht muss man Mutter sein, um das zu spüren. Aber sicher ist doch, dass man nicht dieselbe starke Freude empfindet, wie wenn man eines Morgens ein neues, frisches, grünes, lebensfrohes Blättchen an seiner Pflanze entdeckt. Dieses einzelne kleine Stück bringt einem eine Art von perverser Freude, vielleicht ist es das Gefühl, dass etwas in deinem Leben richtig und gut läuft. Dass es eine natürliche Konstante gibt, die noch funktioniert, die so sein soll, die nichts kaputt oder schlecht ist.
Du denkst darüber nach, während du deine Monstera deliciosa gießt. Mit der neuen Technik, die du erst einen Tag zuvor in einem YouTube Video entdeckt hast und unbedingt ausprobieren wolltest. Du hast erst seit ein paar Wochen deine Pflanzen, bist ein ganz neuer Einsteiger im Pflanzen-Eltern-Sein. Du hast sie dir nur gekauft, um deine kleine Wohnung in der Großstadt ein bisschen persönlicher zu machen. Du hattest nie Pflanzen, konntest nie auf sie achtgeben, immerzu sind sie gestorben. Vielleicht hattest du bis jetzt ein Trauma davon, hast dich nicht getraut noch einmal die Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen, wenn du nicht damit umgehen kannst.
Doch jetzt hast du sie dir geholt.
Fünf Stück insgesamt. Deine große Monstera, ein Prachtstück, das du ergattern konntest und das deinen Eingangsbereich ein wenig zu voll erscheinen lässt. Deine Efeutute, die du behelfsmäßig mit Paketschnüren an dem kleinen Gitter im winzigen Küchenbereich befestigt hast. Sie lässt von den Strapazen in dunklen Umzugskisten zwar noch ein paar Blätter hängen, doch du spürst, dass sie wieder Lebensenergie bekommt, dir welche davon abgibt. Deine dritte Pflanze, die du geschenkt bekommen hast, noch vor deinem Einzug in die Wohnung. Es ist ein kleiner Zitronenbaum. Du wolltest nie tropische oder anspruchsvolle Pflanzen, doch konntest du nein sagen? Jetzt steht er ein wenig verstaubt hinter der roten Couch auf dem Fenstersims, neben einem alten Dekoengel und der rostigen Gießkanne, die du immer benutzt. Auch eine Hängepflanze schmückt dein Zuhause. Die Peperomia, die du in einem Gartencenter entdeckt hast, ist zwar noch nicht sehr groß, macht sich dafür aber gut neben deinem Schreibtisch. An dem Balken, der wegen dem Dachgeschoss viel Platz wegnimmt, hängt sie genau auf der richtigen Höhe. Auch wenn du dir manchmal den Kopf an ihr anstößt. Deine letzte Pflanze ist dein ganzer Stolz, selbstgepflanzt steht deine winzige Avocadopflanze in einem Wasserglas und treibt Wurzeln aus. Du hast aus Ton eine kleine Halterung für sie gemacht, damit sie nicht ins Wasser rutscht und sie dankt es dir. Sie ist diejenige, die dich jeden Morgen begrüßt, wie ein alter Freund, obwohl du sie erst seit kurzer Zeit hast. Sie ist diejenige, die dich immer wieder mit einem neuen Blättchen, einer neuen Wurzel beglückt. Sie ist dein.
Du hast vielleicht eine merkwürdige Beziehung zu Pflanzen. Jeder startet mit der Idee, sich Pflanzen zur Dekoration zu holen. Aber nicht jeder entwickelt sich wie du. Manche spüren die Pflanzen nicht, sie leben sie nicht, sie leben nur bei ihnen. Und das ist okay. Manche brauchen das nicht. Aber wenn man sich auf sie einlässt, kann man sich mit ihnen so verbunden fühlen, als wäre es sein Kind.
So fühlst du dich.
Wieder einmal an diesem Tag gehst du zu der Kommode neben der Couch und streichst über die zarten Adern der Blätter. Du kannst förmlich das Leben spüren, die Stärke die mit jedem Tag größer wird. Du wirst sie bald in einen Topf pflanzen. Auch wenn du es schön findest, wie sie da so in ihrem Wasser steht, bist du der Meinung sie sollte in die Erde. Du fühlst, dass es gut ist. Einen Schritt und du stehst vor deiner Zitrone. Sie trägt keine Früchte, dafür ist sie noch zu klein. Aber auch wenn eine dünne Staubschicht auf ihr liegt, wie der Frost auf der Wiese nach einer kalten Winternacht, ist sie doch schön. Der feste, raue Stamm ragt ein wenig schief aus der Erde, aber sie strahlt etwas aus. Sie passt dorthin, an das helle Südfenster. Sie fügt sich ein in die Umgebung und sticht trotzdem hervor.
Du wendest dich ab und umrundest den leise summenden Kühlschrank, den du gebraucht bekommen hast und der deshalb unten auch schon ein wenig zerkratzt ist. Der Vorbesitzer hatte Katzen, die wohl randaliert hatten, doch das störte dich nicht. Er tat seine Arbeit, deine wenigen Lebensmittel blieben so zumindest kalt. Du hieltst nie viel von kitschigen Erinnerungen, deswegen hängt außer einem kleinen Post-It mit der Nummer deines Zahnarztes nichts an der Kühlschranktür. Du findest es besser so, die glatte, weiße Oberfläche passt gut in deine Küchenecke. Du hältst vor der Theke an, die gerade mal so breit wie ein Schneidebrett ist und neben einem antik wirkenden Gasherd liegt. Du benutzt ihn kaum, Kochen kannst du sowieso nur schlecht, an diese Technik willst du dich gar nicht wirklich heranwagen. Auf der anderen Seite liegt eine weitere Theke, mit einem tropfenden Wasserhahn. Du wolltest schon seit Tagen eine Reparatur versuchen, doch auch darin bist du kein Meister und schiebst es immer wieder auf. Auch eine Spülmaschine besitzt du nicht, das wenige Geschirr, das du produzierst, wäscht du schnell mit der Hand. Darüber hängt ein Metallgestell auf dem ein paar Tassen und Gläser platziert sind und darunter deine Efeutute. Mehr ist in deiner Küche nicht.
Schnell schnappst du dir ein Glas und befüllst es mit ein wenig Wasser aus der Leitung. Zum Glück ist es in deiner Region gut, du kannst es also unbesorgt trinken. Leicht knarrend hörst du den Holzboden unter deinen kratzigen Wollsocken, als du zurück in den Wohnbereich gehst und dich auf die Couch sinken lässt. Auch wenn du keinen Durst hast, nimmst du einen Schluck. Kühl und erfrischend läuft es deinen Rachen hinunter, hinterlässt einen metallenen Geschmack auf deinen Lippen. Du drehst das halbleere Glas in deinen Händen. Oder ist es halbvoll?
Leicht ziehst du einen Mundwinkel nach oben, schmunzelst über deine eigenen Gedanken. Du warst nie besonders poetisch, denkst immer relativ rational. Doch das Leben allein in einer Wohnung, in einer großen Stadt, macht dich merkwürdig sentimental. Du denkst mehr nach über den Sinn der Existenz, über Freuden und Ängste. Es hat dich verändert.
Du ziehst deine Beine zu dir nach oben, faltest sie in einen Schneidersitz. Das Glas stellst du neben dir ab, mit den freien Händen hältst du jetzt deine Augen zu.
Du brauchst eine Pause von deinen Gedanken.
Ruhend in der Dunkelheit, wirst du schläfrig und müde und beginnst wegzudösen.
Dein Gehirn wird immer leichter bis du es nicht mehr spürst.
Bis du anfängst dich zu fühlen, als würdest du schweben.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 20, 2022 ⏰

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