*⋆. i'm driving home for christmas

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Um Punkt zehn Uhr morgens stand ich an Heiligabend mit Sack und Pack vor meiner Wohnung. Leon hatte vor wenigen Minuten geschrieben, dass er losgefahren war und ich rieb mir fröstelnd die Arme. Vielleicht hätte ich noch fünf Minuten länger im Warmen bleiben sollen. Gerade als ich überlegte, noch einmal zurück in den Flur zu gehen, fuhr er in seinem glänzenden Audi Etron vor.

Als er ausstieg hob ich meine Augenbrauen. „Warst du noch in der Waschanlage?" „Ich muss doch einen guten Eindruck bei meinen Schwiegereltern hinterlassen." Kopfschüttelnd zeigte ich ihm einen Vogel und er öffnete mit dem Autoschlüssel den Kofferraum, ehe wir mein Gepäck gemeinsam dort hineinhievten. Ganz der Gentleman öffnete er mir die Beifahrertür und zehn Minuten später befanden wir uns auf der Autobahn.

Ich genoss die wärmende Sitzheizung und hatte aus meinem vollgepackten Rucksack eine Kuscheldecke gezogen, wofür ich von Leon ein Lachen geerntet hatte. „Ich kann die Belüftung auch wärmer machen." „Mir ist gar nicht kalt, aber so ist es gemütlicher", hatte ich ihm geantwortet. Wenn ich schon über sechs Stunden im Auto saß, dann wenigstens mit Komfort. Leon ließ das Radio laufen und schon nach wenigen Minuten versank ich in einen angenehmen Schlaf.

Als ich wieder aufwachte zeigte der kleine Zeiger auf die zwölf und ich schielte zu Leon. „Sorry", grummelte ich verschlafen und richtete mich auf. „Wofür?" „Fürs Einschlafen." Er wank ab und lächelte leicht. „Lieber ist mir du bist ausgeschlafen und gut gelaunt, als müde und missmutig." Ich verzog das Gesicht. „Das bin ich sowieso, wenn ich daran denke, wie ich die nächsten Tage verbringe." Leon runzelte seine Stirn während er einen anderen Autofahrer überholte. „Vielleicht gibst du mir ein kleines Briefing über deine Familie, dann bin ich nicht ganz so unvorbereitet." Gequält nickte ich und fuhr mir übers Gesicht. „Gut", stimmte ich zu und griff nach einer Flasche Wasser, ehe ich ein paar Züge trank und meine Decke wieder näher an mich zog.

„Mein Vater ist soweit eigentlich recht umgänglich", begann ich. „Er hält bloß manchmal ein wenig zu viel von sich und ist etwas ignorant, wenn jemand mal andere Ansichten als er vertritt... Das kann anstrengend werden, ich habe aber gelernt manche Themen einfach zu meiden. Abgesehen davon ist er allerdings Dortmund Fan, gib dich also lieber besonders freundlich." Ich grinste Leon frech an. „Meine Mutter ist im Kern eigentlich total lieb und fürsorglich, sie will für alle das Beste, das führt aber auch dazu, dass sie das Thema Freund bei mir seit Jahren immer wieder aufgreift und mich damit nervt. Wenn es nach ihr ginge hätte sie schon drei Enkelkinder. Dass Lia zum Beispiel gar keine Kinder möchte traut sie sich Mama nicht mal zu sagen, in ihrem Kopf sind immer noch ein paar veraltete Werte." Leon nickte verständnisvoll, scheinbar schien er langsam zu begreifen, dass meine Familie zwar nicht aus schlechten, aber unheimlich anstrengenden Persönlichkeiten bestand. Vielleicht war ich selbst ja nicht besser, man sah schließlich gerne von seinen eigenen Fehlern ab. Aber trotzdem raubten mir meine Eltern und Geschwister jedes mal aufs Neue die Nerven.

„Lia ist dafür das einzige Familienmitglied, mit dem ich mich nicht dauernd in die Haare kriege. Meine Eltern lieben es nur, ihre tollen Noten im Studium lobzupreisen. Sie war zwei Jahre in Südamerika und hat dort Work and Travel gemacht, ich glaube das hat sie ziemlich geerdet." Ich zuckte mit den Schultern. „Dort hat sie auch ihren Verlobten Felipe kennengelernt. Inzwischen spricht er ganz gut deutsch, wenn am Essenstisch diskutiert wird oder Adrian mal wieder einen schnellen Monolog hält, versteht er aber trotzdem nicht Alles. Ich spreche nahezu fließend spanisch, also haben Felipe und ich uns heimlich ein wenig verbündet. Ich denke du wirst ihn mögen." Leon grinste leicht. „Ein paar spanische Wörter kann ich auch." „Achso?" Er nickte. „Hola, soy Leon, soy de Bochum y tengo veintiséis años." Auf meinen Lippen zeichnete sich ein Grinsen ab. „Da kannst du mit Felipe bestimmt noch üben. Hattest du spanisch in der Schule?" Er schüttelte den Kopf, so dass ihm ein paar Locken in die Stirn fielen. „Nein, französisch. Aber ich mache jedes Jahr Urlaub auf Ibiza und wenn man in einer Fußballmannschaft spielt schnappt man schon mal das ein oder andere Wort von den Mitspielern auf."

WEIHNACHTSWUNDER // LG8 ❄️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt