Weihnachtsbriefe

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Lieber Weihnachtsmann,

zu Weihnachten wünsche ich mir den großen Teddybär aus dem Spielzeugladen, ein neues ferngesteuertes Auto und vielleicht ein eigenes Zimmer (ich mag meine kleine Schwester, aber sie nervt). Ich war auch oft brav dieses Jahr.

Viele Grüße,
Dein Ben

PS: Den Brief habe ich meiner Mama diktiert, ich bin erst 5!

Lächelnd falte ich den Zettel zusammen und schaue in die Menge der Menschen, die sich um meinen alljährlichen Platz im Einkaufszentrum versammelt haben.

„Wo ist denn Ben?", frage ich laut und bin nicht überrascht, als sich gleich vier Jungen im Alter zwischen drei und elf Jahren melden.

Ich schaue wieder auf den Brief und sage: „Der Ben, den ich suche, ist fünf Jahre alt und hat den Brief seiner Mutter diktiert."

Ein kleiner Junge mit großen, braunen Augen tritt nach vorn und kommt auf mich zugelaufen. Ich lächele ihn freundlich an und er klettert etwas umständlich auf meinen Schoß.

„Danke für deinen Brief, Ben", murmele ich ihm mit tief gestellter Stimme zu und er lächelt schüchtern. „Dann werde ich mal schauen, was sich da einrichten lässt. Möchtest du mir noch etwas sagen?"

Der kleine Ben sieht mich nur mit seinen großen Augen an und schüttelt langsam seinen Kopf. Kein Wort kommt aus seinem Mund und ich zwinkere ihm zu, ehe ich ihm eine Zuckerstange zustecke und der Frau, die hinter der Abgrenzung aus roten Samtkordeln steht und die gleichen braunen Augen wie der kleine Junge hat, ein Handzeichen gebe, welches ihr klarmacht, dass sie ihren Sohn wieder in ihre Obhut nehmen darf.

Dass Kinder gar nichts sagen, wenn sie den Weihnachtsmann vor sich haben, kenne ich inzwischen schon und es macht mir nichts aus.

Ich selbst war auch ein eher stilles Kind und mir sind die Schweigsamen um einiges lieber als die, die unentwegt Forderungen stellen.

* • * • *

Ich will

- 1 Playstation
- 1 XBox
- 1 VR-Brille, weil meine alte kaputgegangen ist

Jason

Das Lächeln auf meinem Gesicht fühlt sich eingefroren und unecht an.

Glücklicherweise mache ich diesen Job schon seit ein paar Jahren und weiß, dass auch solche Kinder einfach nur ihre Wünsche aufschreiben und für den Ton oder die Art und Weise nur bedingt etwas können.

„Jason wäre der Nächste", rufe ich auf und meine Erwartungen werden nicht enttäuscht, als ein dicklicher Neunjähriger sich zwischen den schaulustigen Menschen hindurchdrängelt und sich mit verschränkten Armen vor mir aufbaut.

Okay, der will nicht auf den Schoß.

Seine Entscheidung kommt mir durchaus entgegen und so beuge ich mich lächelnd nach vorn zu ihm.

„Warst du denn brav, Jason?", möchte ich von ihm wissen und sein entnervtes Gesicht verzieht keine Mine.

„Wen interessiert das? Entweder ich kriege die Geschenke oder nicht. Letztes Jahr war ich nett zu Oma, als sie uns besucht hat, und hab trotzdem nicht das Call of Duty-Spiel gekriegt, was ich wollte", meckert er.

„Nun, es geht ja auch darum, nicht nur einmal zu einem Menschen nett zu sein, sondern möglichst immer zu allen", entgegne ich und versuche, meine Zähne so leise wie möglich knirschen zu lassen.

„Pfft!", macht das kleine Ekel. „Das schafft doch keiner. Also, was ist jetzt? Kriege ich die Sachen?"

„Ich werde sehen, was sich machen lässt", bekommt er meine Standardantwort und ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück.

KurzeweileWo Geschichten leben. Entdecke jetzt