Kapitel 14

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Der Tag, an dem die Ärzte mir mitteilten, dass ich Besuch von einem Mädchen bekommen würde, das behauptete mich zu kennen, kam unverhofft. Eine ganze Woche war vergangen seit ich mein Gedächtnis verloren hatte und splitternackt in einem Park aufgewacht war. Die Ärzte im Krankenhaus hatten keine Verletzungen und keine anderen plausiblen Gründe dafür finden können. Rein körperlich war ich kerngesund. Ob ich allerdings meine Erinnerungen jemals wieder zurückbekommen würde, konnte mir niemand beantworten. Ganz ehrlichgesagt hatte ich nicht mehr viel Hoffnung für mein weiteres Leben gehabt. Bis zu jenem besagten Tag.

Schon bevor sie die Tür hereinkam, konnte ich sie draußen auf dem Gang hören, wie sie sich mit den Schwestern anlegte, weil sie sie nicht zu mir lassen wollten. Scheinbar war sie emotional zu sehr aufgewühlt. Schon bevor ich sie sah, imponierte mir ihr Temperament.

Mit einem Krachen flog die Tür zu meinem Zimmer auf und vor mir stand in einem hellblauen Kleid die verdammt nochmal wunderschönste Erscheinung, die ich mir jemals hätte ausmalen können. Eingehend und völlig fasziniert betrachtete ich ihre langen schwarzen Locken, die strahlend grünen Augen, die mit Tränen gefüllt und leicht gerötet waren und ihre vollen rosa Lippen, die leicht geöffnet standen, weil sie immer noch nach Luft schnappte.

Unwillkürlich dachte ich „Lieber Gott, bitte lass das auf keinen Fall meine Schwester sein!" Sie war einfach nur perfekt! Zwar weckte sie in mir keinerlei Erinnerungen, dafür aber den brennend heißen Wunsch, sie zu küssen und nie wieder loszulassen, ganz egal wer sie auch war.

„Oh mein Gott, Toya!", stieß sie schluchzend hervor und schlug sich eine Hand vor den hübschen Mund. Noch mehr Tränen rollten ihre feuerroten Wangen hinab. Toya. Der einzige Name, an den ich mich tatsächlich noch erinnern konnte. Also war es wirklich mein eigener.

Ohne lange zu überlegen oder mir etwas zu erklären, kam sie auf mein Bett zugestürmt und fiel mir dann heftig weinend um den Hals. „Ich dachte ich hätte dich für immer verloren", flüsterte sie dabei verzweifelt.

Völlig perplex und gleichzeitig merkwürdig erfreut, zog ich sie noch näher zu mir heran und drückte sie fest an mich. Dabei atmete ich tief ihren süßen Duft ein und ein Schauer des Glücks erfasste mich. Irgendwann, als ich mich endlich dazu durchgerungen hatte, sie wieder loszulassen, sah sie mich so tieftraurig an, dass ich mich selbst plötzlich dafür hasste, sie vergessen zu haben.

„Du kannst dich auch an mich nicht mehr erinnern, stimmts?" Ich schüttelte nur beklagenswert den Kopf. „Es tut mir leid" Sie seufzte. „Das muss es nicht" Sie versuchte ein zaghaftes Lächeln und ich sah die Sonne in meinem Zimmer aufgehen. „Ich muss dir eine total verrückte Geschichte erzählen und ich fürchte wirklich, dass du sie mir nicht glauben wirst"

Was dann kam war tatsächlich die unglaublich abgefahrenste Geschichte, die ich mir hätte vorstellen können. Andererseits war sie auch die erste Geschichte, die ich nach meinem Gedächtnisverlust hörte. Nachdem Aika geendet hatte und meine tausenden von Fragen alle so gut beantwortet hatte, wie es ihr möglich war, starrte ich sie lange einfach nur mit offenem Mund an.

„Auch auf die Gefahr hin, dass du mich jetzt für vollkommen durchgeknallt hältst, wollte ich dich trotzdem fragen, ob du nicht wieder bei mir einziehen möchtest?" Sie rang mit sich, dann fuhr sie fort. „Die Ärzte werden ja hier leider keine Verwandten oder Freunde von dir auftreiben können und da dachte ich... Naja, ich meine selbst wenn du mich nicht mehr lieben solltest, würde ich dich am Anfang ungerne alleine lassen..."

„Ja!", platzte es aus mir hervor und Aika zuckte leicht zusammen. „Ja, ich will bei dir wohnen!" Es war das Verrückteste, was ich mir vorstellen konnte, selbst ohne meine Erinnerungen und noch verrückter wurde es dadurch, dass ich ihr beinahe schon instinktiv alles glaubte, was sie mir erzählte. Mein Gehirn schien diese ganze Sache als absolut logisch und glaubwürdig einzustufen und ich fragte mich zwischendurch ernsthaft, ob vielleicht irgendwas mit mir nicht stimmte. Vielleicht hatte ich ja doch einen Schlag auf den Kopf bekommen. Oder ich träumte. Oder war tot und Aika war ein Engel.

Aber diese Gedanken wurden von einer tiefen Verbindung zu Aika zur Seite gedrängt, die ich schon für sie empfand, seit sie die Tür hereingekommen war. Und dann wurde ich plötzlich von einer unerwarteten Ungeduld erfasst und wollte mich einfach nicht länger zurückhalten. Ich beugte mich einfach zu ihr vor und küsste ihre weichen rosa Lippen. Überrascht entfuhr ihr ein kleiner schriller Laut, den ich unbeschreiblich sexy fand. Aber dann erwiderte sie meinen Kuss und schmiegte sich an mich.

Oh Gott, es war das aller beste Gefühl seit ich nach meiner scheinbar selbst verursachten Amnesie aufgewacht war! Und wahrscheinlich das absolut beste Gefühl, das es überhaupt auf der Welt gab. Sie schmeckte süß und fruchtig und schlagartig wurde mir klar, dass ich für dieses Mädchen nicht nur meine Erinnerungen, sondern sogar meinen linken Arm opfern würde, wenn sie es bloß von mir verlangte.

„Ich liebe dich!", murmelte sie, als wir uns trennten und mein Herzschlag, der durch diesen total atemberaubenden Kuss sowieso schon in die Höhe geschnellt war, verdoppelte und verdreifachte seine Geschwindigkeit gleich noch einmal, sodass er vermutlich fast die Schallmauer durchbrach.

„Das wird eine ganz schön harte Arbeit den Behörden klarzumachen, dass du weder Verwandte, noch Freunde hast und dass deine angebliche Freundin nicht ein einziges Dokument besitzt, das deine Identität beweisen könnte. Außerdem müssen wir uns einen Nachnamen für dich ausdenken", seufzte Aika schließlich.

„Wir schaffen das schon", beruhigte ich sie. „Ich habe so das Gefühl, dass ich mit dir zusammen einfach alles schaffen kann!" Voller Wärme, Liebe und Zuversicht lächelte Aika mich unter Tränen an. „Ich auch"

Und plötzlich erschien mir die Idee eines Neuanfangs, einer neuen Zukunft, gar nicht mehr so beängstigend oder unmöglich. Im Gegenteil, ich freute mich darauf, denn ich würde mit meiner Freundin in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Vielleicht wäre unser Weg durch eine gemeinsame Zukunft nicht immer ganz einfach, aber wir wären zusammen. Und ganz egal was für ein Stein sich uns auch in den Weg legen würde, zu zweit würden wir ihn auf jeden Fall bezwingen. Denn schließlich hatten wir beide ja schon ganz andere Schwierigkeiten zusammen überwunden...  


Ende

Another Nameless Dandelion StoryWhere stories live. Discover now