Gefühle

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Diesen Oneshot habe ich vor einiger Zeit geschrieben und damals nicht veröffentlicht, aber ich finde mich in letzter zeit immer öfter in dieser oder einer ähnlichen situation wieder. also, here you go. ich habe versucht, alles so verständlich wie möglich zu beschreiben, kann aber sein, dass es immernoch etwas chaotisch ist. Uhm, zögert nicht, wenn ihr Fragen habt xD

Hätte jemand das Mädchen von außen betrachtet, hätte dieser jemand nichts gemerkt. Wie auch? Sie sitzt leicht gebeugt auf ihrem Bett und sah mit starrem Blick auf das Handy hinunter, dass sie mit beiden Händen umklammerte. Das einzige, was einem vielleicht auffallen könnte, ist ihr Atem, der rasch und abgehackt geht. Ansonsten hat sie sich relativ gut unter Kontrolle für das, was sich gerade in ihrem Kopf abspielt. 

Selbst jetzt kann ich es nicht wirklich erklären, ich werde versuchen es in bildlicher Form darzustellen. Stell dir eine weiße, farblose Ebene vor - diese ist das Gehirn des Mädchens, beziehungsweise der Teil der für die Emotionen zuständig ist. Auf dieser Fläche stehen fünf Stühle recht nah beieinander - ein roter, ein gelber, ein blauer, ein grüner und ein lilafarbener. Auf jedem Stuhl steht in großen schwarzen Lettern ein Wort. Bei rot steht wütend, bei gelb fröhlich, bei blau traurig, bei grün lustig und bei lila nachdenklich. Zu jedem dieser Stühle gibt es ein dazu passendes kleines Männchen - oder Frauchen -, das Aussehen dieser ist deiner Vorstellungskraft überlassen. 

Gelb und Grün sitzen entspannt auf ihren Stühlen und plaudern miteinander, Grün ist sogar so dreist laut zu lachen. Lila hat die Beine angezogen und lehnt sich mit dem Kopf auf ihren Stuhl - sie sitzt auf dem Boden vor diesem - und hat den Blick auf ein kleines, zerfleddertes Buch in ihren Händen gerichtet, dessen Titel du gerade so erkennen kannst: "Irgendeine beruhigende fiktionale Welt, in die Rosie sich gerade hineinzudenken versucht". Doch das mit dem Lesen scheint nicht so gut zu klappen, Lila starrt schon seit Ewigkeiten auf dieselbe Seite ohne umzublättern. Blau sitzt etwas weiter hinten, am weitesten von den Stühlen entfernt: sie hat den Kopf in den Händen verborgen und wippt vor und zurück, sie scheint in einem Heulkrampf gefangen zu sein. Rot tigert vor den Stühlen auf und ab, die Hände zu Fäusten geballt. 

"Ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie." Das sind die ersten Worte, die du hier wirklich verstehst, und sie kommen ausgerechnet auf Rots Mund. Lila blickt von dem Buch auf: "Weshalb?" Auch Blau hebt das tränenverschmierte, verquollene Gesicht und rückt näher an Rot und Lila heran. Währenddessen rücken die Stühle von Gelb und Grün immer weiter weg, bis sie nur noch als winzige kleine Flecken weit entfernt zu erkennen sind. Weder Glück noch Witz sind gerade in den Gedanken des Mädchens enthalten. Rot sieht derweil Lila und Blau an, und aus ihrem Blick spricht ein solch unbändiger Hass dass die beiden beinahe unmerklich zusammenzucken. 

"Wieso fragst du so blöd? Das weißt du selber. Weil sie euch - uns - verletzt, immer und immer wieder." Obwohl Rot in ihrer Wut ziemlich bedrohlich aussieht, hält Lila dagegen: "Du hasst sie nicht. Wir hassen sie nicht. Wir lieben sie doch..." Und während sie den letzten Satz ausspricht, materialisiert sich neben Blau und Lila ein weiterer Stuhl, diesmal in einem blasseren Rot, auf welchem noch eine Figur sitzt. Liebe. Ihre Stimme ist komischerweise träumerisch und fest zugleich: "Nein, wir hassen sie nicht. Im Gegenteil." 

Rot überschlägt sich beinahe vor Wut und zischt durch zusammengepresste Zähne: "IHR mögt sie - nein, liebt sie. Aber irgendjemand hier muss auch gescheit denken. Vielleicht habe ich vor Wut Vorurteile - aber das ist immer noch besser, als von Liebe geblendet zu sein. Ich weiß, was wir machen müssen." An dieser Stelle verbirgt Lila das Gesicht in den Händen, Blau stößt einen trockenen Schluchzer aus und Hellrot schüttelt traurig den Kopf, bevor sie sich an Trauer und Gedanken wendet: "Es tut mir leid, aber ich kann nichts machen. Gerade ist Wut stärker als Liebe." Und damit verblasst die kleine Figur so plötzlich wieder, wie sie erschienen ist. 

Wut lächelt grimmig. "Gut. Folgender Plan: wir ignorieren sie jetzt. Genauso wie sie uns oft ignoriert hat - Blau, du erinnerst dich an die Schmerzen, nicht?" Blau beginnt wieder, stumm zu weinen. Das reicht Rot als Antwort - sie redet weiter. "Genau. Lila - halt dich einfach an die Regeln. Überdenke es nicht, wie du es sonst immer machst. Glaub mir diesmal einfach." Lila senkt wortlos den Kopf. Wut, die die letzten Male von Liebe und Verstand zurückgedrängt werden konnte, hat diesmal gesiegt. 

Wieder auf dem Bett öffnet das Mädchen mit zitternden Fingern WhatsApp. Noch einmal starrt sie auf die Nachricht, die sie so verletzt hat. Obwohl die andere das gar nicht weiß. Weil es keinen Sinn macht. Egal - sie blinzelt sich die Tränen aus den Augen, ist auf einmal von einer lodernden, weißglühenden Wut erfüllt. In dem Moment ist sie sicher, dass die andere es verdient hat - die kleine blaue Stimme, die schluchzt dass das alles nur ein Missveständnis seie, geht im Gebrüll der Flammen der Wut unter. Entschlossen drückt das Mädchen auf den Knopf. Profil blockieren.

Sie weiß noch nicht, wie schwer sie sich die nächsten Stunden tun wird. Wie eine sowohl traurige als auch sich schuldig fühlende Blau sie ständig piesacken wird, bis sie schließlich antwortet. Tut, als wäre nichts. Obwohl sie sich so besser fühlt, obwohl sie weiß dass die andere nichts dafür kann, schwirren ihr immer noch zu viele Gedanken im Kopf herum. Sie kennt nur einen Ausweg: das Mädchen schnappt sich ihren Laptop, entsperrt ihn, macht Musik an, öffnet Wattpad. 'Untitled Part 44 hinzufügen'. 'Start writing your Story'. 


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⏰ Last updated: Feb 05, 2022 ⏰

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