120 Tage vorher

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Faith

Es war ein wolkenbedeckter Tag in Brighton und ich ging mit meinem Handy nach draußen, damit ich meinen suizidalen Gedanken freien Lauf lassen konnte.

Ich lief den Weg hinunter, runter zu den Felsen, die das Meer teilten.

Wie man vielleicht schon raushören konnte, war ich nicht mehr zu Hause , seit Wochen. Ich hatte die Zeit vergessen, also kann ich euch leider auch nicht sagen wie lange ich hier schon verweilte, in dem kleinen Dörfchen. Es war ganz süß hier, aber meine Depressionen hatten mich schon so weit eingeholt, dass ich nicht mal mehr die Schönheit sehen konnte. Ich konnte sie auch nicht spüren, weil ich nichts mehr spürte.

Meine Mutter hatte gemeint, es sei besser für mich irgendwo ein wenig Abstand von allem zu nehmen, von London, von meinem Leben! Sie meinte wahrscheinlich nicht, ich sollte für Wochen einfach verschwinden, aber ich tat es einfach. Wir hatten zwei Wochen Osterferien und ich verlängerte sie einfach ein wenig. Naja, ich könnte mir auch nicht aussuchen, wann ich gehen würde.

Ich lief rüber auf einen hohen Felsen, der von grünem Gras bedeckt war, was wegen dem Wind hin und her flatterte. Ich war barfuß und die Grashalme schlichen sich zwischen meine kalten Zehen. Ein Windstoß, ich zuckte gemächlich zusammen.

Meine Augen starrten auf das endlos weite Meer. Mein Atem lag schwer in meiner Lunge und ich konnte kaum noch atmen, weswegen ich meine eiskalten Finger an meinen Hals legte.

"Wie ist es, in einer Hülle zu überleben, aber nicht zu leben?", ich öffnete mein schwarzes Buch, was ich die ganze Zeit in meiner Hand hielt und schrieb eine Zeile auf das gilbe Papier.

Ein schrecklich depressiver Seufzer entwich mir.

"Faith.", eine Stimme sagte meinen Namen leise und ich drehte mich um. Erst dachte ich es wäre Harry, der sich seitdem ich weg war nicht mehr gemeldet hatte, aber es war Louis. Ich hatte ihn hier kennengelernt in Brighton in der Klinik.

Er war auch ein Patient des Brighton-Hospitals. Seine haselnussbraunen Haare fielen leicht in sein Gesicht und er strich sie wie immer wieder nach hinten. Louis blaugraue Augen bohrten sich durch meine und jedes Mal wenn das passierte, hatte ich ein wenig Angst vor ihm.

"Ist alles okay?", fragte ich vorsichtig und versuchte ihn irgendwie wieder aus seiner Traumwelt zu bekommen.

"Ja....ich denke schon.", ein leichtes Lächeln strich über seine schmalen Lippen und er wiederholte seine Bewegung und Strich seine Haare nach hinten.

"-aber...?!", harkte ich nach und zog meine Augenbrauen fragend in die Höhe.

Er zuckte nur mit den Schultern und sah hinunter auf seine Finger.

"Hast du noch Hoffnung?", flüsterte er mit seiner rauen Stimme und beschäftigte sich weiter mit seinen rauen Fingern, die an manchen Stellen aufgeplatzt waren.

Ich überlegte. Ich wollte seiner Frage eine ehrliche Antwort schenken und ich glaube, dass war eine Frage, die ich mir lange und unbewusst gestellt hatte. Mein Blick glitt auf die Wellen, die sich zu den Felsen zogen und dann wieder zurück ins Meer stachen.

"Nein.", hauchte ich und sah erst zu Louis, der mich die ganze Zeit angestarrt hatte und dann hinunter auf meine Finger. Sie waren bleich, wie der Rest meiner Haut.

"Geht es dir gut, so ganze ohne Hoffnung?", sein stimme war einschüchternd, so einschüchternd, dass ich ihm nicht in die Augen sehen konnte.

"Nein...", ich schüttelte traurig meinen Kopf.

"Ich glaube deine Frage hat sich damit bestätigt, Faith.", leise und verletzlich sprach er die Worte aus und mein Mund öffnete sich sprachlos. Wieder sah er mich mit seinem bemitleidenden Gesicht an und dann stand er auf, ging davon und ich atmete tief ein. Die Meeresluft tat mir gut, doch Brighton tat mir nicht gut, die Klinik tat mir nicht gut und auch Louis, der so einschüchternd ist, tat mir nicht gut. Doch mein Leben, wie es war zerstörte mich und dann bleibe ich lieber in Brighton, was mir vielleicht nicht gut tut, aber nicht zerstört.

Captured | H.SWhere stories live. Discover now