Ella:
Orientierungslos lief ich die langen Flure meiner neuen Schule entlang. Dafür, dass es eigentlich ein staatliches Collage war, sah es besser aus als erwartet. Auf den Fluren roch es ziemlich stark nach Desinfektionsmitteln, so dass man es hätte mit einem Krankenhaus verwechseln können. Auch die kahlen weißen Wände, strahlten mehr etwas autoritäres aus als man es von einem Collage denken möge. Der Boden schien frisch gebohnert und ich musste aufpassen, dass ich nicht ausrutschte. Noch ein Jahr, schoss es mir durch den Kopf. Noch ein Jahr, dann bin ich 21 und kann mich von hier verziehen und machen was ich will. Doch um dieses Jahr noch gut bestehen zu können hatte ich mir einen Plan ausgedacht. Eine List sozusagen. All meine Freunde waren genervt von meinem Wahn fürs Planen. Aber ich konnte nicht anders. Ich brauchte diese Struktur in meinem Leben. Nummer eins auf der heutigen Tagesliste war, zum Beispiel, das Sekretariat zu finden und nach meinem Stundenplan zu fragen. Also dann mal los.
Es dauerte alles eine Weile, weil die Sekretärin hier nicht gerade die schnellste war. Und als ich dann endlich meinen Stunden bekam, hatte ich bereits meinen ersten Kurs verpasst. Also beeilte ich mich dann nicht auch noch die nächsten Stunden zu versäumen. Ein kurzer Blick auf den Zettel in meiner Hand verriet mir, dass ich jetzt Mathe Unterricht hatte bei einem gewissen Professor Cooper. An meiner alten Schule, hatte ich nie Probleme mit irgendeinem Fach gehabt. Deswegen wurde ich hier auch sofort in ein paar hochrangige Leistungskurse versetzt. Auf Wunsch meiner Eltern natürlich. Sie würden alles dafür tun, um mir die bestmögliche Schulausbildung zu geben, die ich verdiente. Das sagten sie zumindest immer. Doch am liebsten wäre es ihnen, wenn ich einfach Anwalt oder Arzt werden würde. Dennoch stehe ich jetzt hier, mit meinem Kunststudium in der Tasche. Ja, vielleicht war ich eine Enttäuschung für meine Eltern. Ja, vielleicht war mein Vater seit dieser Entscheidung noch wütender auf mich. Aber es war nur noch ein Jahr. Ein verfluchtes, langes Jahr.
Vor dem Klassenzimmer angekommen, blieb ich kurz stehen und lauschte. Das war der Mathekurs für Fortgeschrittene, also der, den meistens die Studenten im zweiten Jahr besuchten. Aus dem Raum erklang bereits die Stimme des Professors, der Unterricht hatte also schon begonnen. Leise fluchte ich und klopfte dann an der Tür. Im Raum trat Stille ein. Es dauerte kurz und dann stand plötzlich ein glatzköpfiger Mann mittleren Alters vor mir im Türrahmen.
„Ja?", er beäugte mich misstrauisch über seine Hornbrille hinweg, „Wie kann ich helfen?"
Sein starrer Blick machte mich nervös. Eigentlich wurde ich nie nervös. Aber seine Präsenz war irgendwie unangenehm.
„Ich bin Elleandra Evens, erstes Jahr und ich wollte-"
„Ah ja, da sind sie hier falsch. Die Kursräume für die Erstsemestler sind im Erdgeschoss. Schönen Tag noch."
„Äh nein, warten Sie-", bevor ich fertig sprechen konnte, hatte er mir schon die Tür vor der Nase zu geknallt. So ein unhöflicher Arsch. Aber so schnell gab ich nicht auf. Meine Faust klopfte noch einmal gegen die dunkle Birkenholztür. Dieses Mal dauerte es eine Weile. Niemand kam zu ihr heraus. Stattdessen erklang nur ein dumpfes „Herein". Ich umfasste die kühle Türklinke und fand mich wenig später in einem großen Saal voll mit schaulustigen Studenten wider.
„Ach Sie schon wieder. Was brauchen Sie denn noch?", er sah mich etwas genervt an.
„Ich-"
„Finden Sie Ihren Kursraum nicht? Kein Problem, wir können Ihnen helfen. Ähm Miss Stuart, könnten Sie Miss...", er sah mich fragend an. Ich war wütend. Wütend über seine Dreistigkeit mir nicht einmal Gehör zu schenken. Warum dachten alte Menschen immer, sie wüssten alles?
„Evens.", murrte ich und warf eine lange, weiße Haarsträhne zurück, „Mein Name ist Elleandra Evens. Erstes Jahr. Und es tut mir Leid für die Verspätung. Aber nein, Sie liegen falsch. Ich bin hier richtig. Also wenn Sie mich bitte entschuldigen würden, ich würde mich gerne setzen und am Mathematikurs für Fortgeschrittene teilnehmen."
Ich wartete seine Antwort gar nicht ab. Die Kinnlade, die ihm scheinbar bis zum Boden hing, war dafür genug. Ich stapfte einfach durch den Gang ganz nach hinten und ließ mich in der letzten Reihe am Fenster nieder. Einige meiner Mitschüler starrten mich verblüfft an. Besonders einer. Doch dessen Blick - diese giftgrünen Augen - war anders. Er war nicht überrascht oder ähnliches, es war gefährliche Neugier. Wie ein Raubtier, dass ihre Beute ausspähte und überlegte, ob es jetzt sofort oder erst später angreifen sollte. Seine markanten Gesichtszüge. Die wilden schwarzen Haare. Die hervorstehenden Wangenknochen. Wie aus einem Märchenbuch entsprungen. Doch er wäre nicht der Prinz gewesen. Er war der Typ vom Parkplatz. Der reiche Schnössel in seinem Caprio. Ich erwiderte seinen intensiven Blick. Ein leichter Schauder lief mir über dem Rücken. Was hatte das nur zu bedeuten? Ich schenkte ihm ein bitteres, beinahe süffisantes Lächeln. Er verdrehte die Augen und sah weg.
„Merkwürdiger Kerl.", murmelt ich leise und stützte meinen Kopf auf einer Hand ab.
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ᏕᎮᎥᏒᎥᏖ ~ ᎴᏗᏕ ᎶᏋᏂᏋᎥᎷᏁᎥᏕ ᎴᏋᏒ ᏕᏋᏋᏝᏋ
Fantasy× Die Chroniken der Elemente Teil I × ||Who lives, who dies, who tells your story?|| "Haben dir deine Eltern nicht beigebracht, dass man nicht mit Feuer spielen soll?" "Ich habe keine Eltern." "Du könntest dich verbrennen." "Feuer ist nunmal der Pre...
