Kapitel 2

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Ich beschleunige meinen Schritt immer mehr. Die Sohlen meiner hellen Turnschuhe klappern laut auf dem Asphalt. Die Schritte hinter mir sind laut und dröhnen in meinen Ohren. Mein Puls ist schnell, in meinen Ohren rauscht mein Blut. Blind renne ich durch die dunklen Straßen. Biege wild in alle Richtungen abwechselnd ab und hoffe so meinen Verfolger loswerden zu können. Mein Atem rasselt, meine Brust sticht und mein Hals ist so trocken wie die Sahara. Ich renne und renne, meine Beine tun weh, aber ich bleibe nicht stehen. Ich renne einfach weiter und versuche dem Drang zu widerstehen nach hinten zu sehen. Plötzlich baut sich eine Mauer vor mir auf. Ich stehe in einer Sackgasse. Verdammt! Keuchend sehe ich mich um. Irgendwo muss es doch einen Ausweg geben. Ehe ich mir weiter Gedanken darüber machen kann, wie ich aus dieser Situation entfliehen kann erscheint eine dunkle Gestalt am Ende der Gasse. Ich werde sterben, geht es mir durch den Kopf. Ich werde in dieser dreckigen Gasse sterben. Mein Verfolger kommt immer näher, bis er nur noch einen Schritt von mir entfernt steht und ich die kalte Mauer in meinem Rücken spüre. Ich werde sterben, da bin ich mir sicher.

„Mariella Mazzara del Vallo." Mit gefriert das Blut in den Adern, als ich in die kalten blauen Augen meines Verfolgers sehe. Seine linke Wange wird von einer großen Narbe gezeichnet, in seiner rechten Hand blitzt mir eine Waffe entgegen. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so leicht ist dich zu bekommen. Ich hätte gedacht dein Daddy würde dir Leibwächter zur Seite stellen." In seiner Stimme liegt Belustigung.

Genau in dieser Sekunde bereue ich, dass ich meinem Vater widersprochen habe. Dass ich behauptet habe, mir würde niemals jemand was tun. Wie konnte ich nur so blöd sein. Natürlich hat mein Vater Feinde. Und natürlich würden sie sich eher an mir vergreifen, als an ihm. Doch mein Vater hat es mir versprochen. Ich darf mich innerhalb der Stadt ohne Leibwächter bewegen.

„Ich hoffe dein abgetrennter Kopf wird deinem Vater gefallen."

„Er wird sie töten. Er wird sie aufschlitzen und an unsere Wachhunde verfüttern", drohe ich ihm. Mein Stimme ist diplomatisch, irgendwie wütend, dabei zittere ich am ganzen Körper. Mein Verfolger lacht nur. Er zielt mit der Waffe auf mich.

„Auf die Knie, Signorina!" Ich schlucke, tue aber nicht was er sagt. Eine der wichtigsten Lektionen, die mein Vater mir beigebracht hat ist nie zu zeigen, dass man Angst hat.

„Knie dich gefälligst hin, du Miststück!", schreit er und schlägt mir ins Gesicht. Meine Wange pocht, während ich von der Wucht des Schlages automatisch in die Knie gehen muss. Mir entflieht eine Träne. Ich schließe die Augen, bete dass es schnell vorbei sein wird und darum, dass mein Vater meinen Tod rächen wird. So wie er Mamas und Alessandros Tod gerächt hat. Vielleicht werde ich die beiden nun wiedersehen.

„Irgendwelche letzten Worte?", fragt der Typ und drückt mir den Lauf seiner Waffe an die Stirn. Mir laufen Tränen über die Wangen. „Vai all'inferno!", fluche ich. Wieder lacht er nur. „Ich soll zur Hölle fahren? Ich glaube, den Weg wirst du zuerst gehen." Sein Finger bewegt sich zum Abzug, dann ertönt ein Schuss. Ich kneife die Augen zusammen, als ich plötzlich keine Waffe mehr an meiner Stirn spüre und der schwere Körper meines Verfolgers auf den Asphalt aufschlägt. Ich spüre Blut in mein Gesicht spritzen. Ich zittere und sehe auf den leblosen Körper. Dann hebt sich mein Blick. Ein junger Mann kommt joggend auf mich zu. Seine Haare sind genauso dunkel wie meine, seine Augen sind braun und blicken fragend in meine.

„Bist du okay?" Ich kann nur nicken. Ich lebe noch. Ich bin nicht tot.

„Wie heißt du?", fragt er und hilft mir wieder auf die Beine. Mein Blick fliegt wieder zu der Leiche vor meinen Füßen. Dieser Typ hätte mich umgebracht. Er hätte mich einfach erschossen. Auf seiner Stirn ist ein Loch zu erkennen. Kopfschuss. Wie ich wohl aussehen würde, wenn er abgedrückt hätte.

„Hey, Signorina. Wie heißt du?" Eine Hand an meiner Wange lässt mich zusammenzucken. Ich reiße mich mit Schwung von dem Typen los.

„Wie heißt du?", gebe ich als Gegenfrage.

„Mein Name ist Matteo. Matteo Leone. Und du?" Er streckt mir die Hand hin. Als wäre das hier gerade keine vollkommen absurde Situation. Als würde da kein toter Mann neben uns liegen, den dieser Matteo gerade erschossen hat.

„Mariella. Mariella Mazzara del Vallo." Ich gebe ihm meine Hand nicht. Er scheint nicht beeindruckt zu sein. Vielleicht ist er nicht von hier und kennt meinen Namen deswegen nicht. Oder er wusste bereits vor meiner Antwort wer ich bin. Normalerweise werden in dieser Stadt nicht einfach irgendwelche Mädchen in meinem Alter verfolgt und mit einer Pistole bedroht. 

"Freut mich." Als ihm klar wird, dass ich ihm nicht die Hand geben werde, zieht er die Hand zurück und holt sein Telefon aus seiner rechten Hosentasche. Mir fällt auf, dass der Stoff der Tasche schon ein wenig abgewetzt ist und einen Rand bildet. Auch ohne, dass ein Handy in der Tasche ist, sieht man genau, dass es immer in der Tasche zu finden ist. Ich reiße mich zusammen und höre auf die Hosentasche von einem wildfremden Typen zu beäugen. 

"Was willst du mit deinem Handy? Wen rufst du da an?" 

"Die Polizei?" Es wirkt mehr wie eine Frage statt einer klaren Aussage. 

"Nein! Nicht!" Ich schlage ihm gegen die Hand und sein Handy ladet mit einem knacken auf dem Pflaster. Dem Geräusch nach zu urteilen ist der Display bestimmt hin." Schockiert sieht er erst mich und dann sein Handy an. "Geht's noch?" Ich atme tief durch, schließe kurz die Augen und erinnere mich wieder daran wer ich bin. Ich bin Marielle Mazzara del Vallo, erinnere ich mich selbst. Sowas wie die Kronprinzessin der Sizilianischen Mafia. Benimm dich wie eine Anführerin, ermahne ich mich. Ich richte mich auf, drücke den Rücken durch und hebe mein Kinn vielleicht ein wenig zu viel an. 

"Niemand ruft in dieser Stadt die Polizei, wenn eine Mazzara del Vallo bedroht wurde." Endlich scheint Matteo zu verstehen, was ich meine. Ich hole mein Handy aus meiner kleinen Tasche und drücke die Kurzwahl. 

"Mariella, wo bleibst du denn? Es ist schon spät, Signorina."  Die Stimme von Fabio, dem Leibwächter meines Vater, zu hören gibt mir eine große Portion Sicherheit. 

"Fabio ich brauche Hilfe!", gebe ich zu. "Du musst herkommen!" 

"Was ist passiert Mariella?" Im Hintergrund höre ich seine Schritte, die wahrscheinlich geradewegs zu meinem Vater führen und ich beginne ihm die Situation zu schildern. Er verspricht mir sich zu beeilen und ich sehe stumm zu Matteo. Dieser hat seine Waffe im hinteren Hosenbund stecken und krempelt die Ärmel seines schwarzen Hemdes bis zu den Ellenbogen hoch. Es kommt ein großes Tattoo zum Vorschein. Ich kann nicht ganz genau sagen, was es ist. Mit bleibt aber auch keine Zeit weiter darüber zu grübeln, denn am Ende der Gasse hält ein tiefschwarzer Wagen, den ich nur zu gut kenne. Der Wagen meines Vaters. 

TradimentoWhere stories live. Discover now