1.Kapitel

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•VALENTIN•

Ich sitze mit dem Kopf an ein Fenster des Zuges gelehnt und beobachte die vorbeiziehende Landschaft, wobei mein Blick eigentlich an nichts hängen bleibt. Aus meinen Kopfhörern dröhnt mit voller Lautstärke tj_beastboy in mein Ohr. Der hohe Geräuschpegel meiner Musik geht weit über das Feld meiner Ohren hinaus, was vermutlich der Grund für die finsteren Blicke des alten Nazi-Opas gegenüber von mir verantwortlich ist.
Ich betitle ihn weder auf Grund seines Alters, noch seiner finsteren Blicke als Nazi, sondern auf Grund des spack sitzenden T-Shirt in Deutschlandfarben. Unter seinen Achseln sieht man deutliche Schweißflecken. Darüber hinaus hat er über seiner Oberlippe ein kleines Bärtchen, welches stark an einen Mann erinnert, den man sich besser nicht als Idol suchen sollte.
Möchte-gern Adolf gegenüber von mir hat das wohl trotzdem gemacht.

Ich spüre wie der Zug ratternd zum Stillstand kommt und ein paar Leute einsteigen. Ein Mädchen, vermutlich ein paar Jahre jünger als ich, kommt in dem vollkommen überfüllten Zug in unsere Richtung und zieht einen schweren Koffer hinter sich her.
Sie trägt eine Hose die so aussieht als hätte sie diese ihrem großen Bruder geklaut. Tatsächlich ist sie auch einen Knopf enger gemacht worden damit sie nicht von ihren schmalen Hüften rutscht, und ein einfaches schwarzes Top. In ihrem Mund erkennt man eine glitzernde Zahnspange, als sie lächelt und höflich fragt ob sie sich zu uns setzen darf.
Der Nazi-Opa schnaubt gehässig und murmelt leise: „Das sie sowas wie dich überhaupt in einen anständigen Zug lassen. Es heißt Deutsche Bahn und nicht dreckige Afrikaner Bahn."

Einen Moment lang bleibt mir die Spucke weg, weil ich so schockiert bin.
Eigentlich hat ein kleiner Teil von mir gehofft, ich hätte unrecht mit meinem auf Oberflächlichkeiten basierendem Urteil gehabt. Aber anscheinend, lag ich damit richtig.
Dem Mädchen ist das Lächeln aus dem Gesicht gefallen.
„Also wenn dich der alte Nazi da nicht abschreckt kannst du dich gerne setzen, ich kann aber auch verstehen wenn du dich nicht mit jemandem abgeben möchtest dessen Gehirn sich seit 1939 nicht mehr weiterentwickelt hat.
Und zu ihrer Information, der Zug in dem sie sitzen ist entweder in Spanien oder in den USA produziert worden und wenn sie so sehr auf Deutsch bestehen, sollten die lieber ganz schnell aussteigen und am besten auch ihr Tshirt loswerden. Das stammt nämlich wahrscheinlich aus Bangladesch."

Der Mann öffnet seinen Mund und schließt ihn wieder. Da sagt die Ansage des Zuges bereits den nächsten Halt an und er steht auf.
Mit dem Rücken zu mir gewandt in der Gepäckablage rumwühlend murmelt er noch etwas davon, dass wenn ich selber mal einen Krieg miterlebt hätte, ich nicht so nett zu den dreckigen Afrikanern wäre.

Was ein Bullshit, aber zum Glück steigt er an der Haltestelle aus.
„Sag bloß der hat jetzt so fluchtartig den Zug verlassen, weil er in Spanien produziert wurde.", sagt das Mädchen mit einem mittlerweile doch gezwungenerem Lächeln.
„Da kann man doch glatt froh sein, dass er nicht vorher noch sein Tshirt los geworden ist. Auf den Anblick kann ich verzichten."
Sie nickt und lacht kurz, aber da sehen wir wie er noch immer in Deutschlandtshirt auf dem Bahnsteig von einer Frau, vermutlich seiner passenden Eva, mit einem kurzen Kuss begrüßt wird.

Wow, selbst dieser Nazi hat eine Frau und ich bin immernoch Single, schießt es mir durch den Kopf.

Der Zug ruckelt bereits weiter als das Mädchen sich setzt. Sie lächelt mich noch einmal an und schaut dann aus dem Fenster ohne ein Wort zu sagen.
Das mag ich. Ich hasse ungewollten, aufgezwungenen Smalltalk mit Fremden die man danach eh nie wieder sieht.
Ohne groß drüber nachzudenken stupse ich sie kurz an und halte ihr wortlos einen meiner Kopfhörer hin.
Sie murmelt ein leises „Danke" und steckt ihn sich ins Ohr. Den Rest der Fahrt schweigen wir.

Jetzt wo der Nazi weg ist kann ich mich wieder ein bisschen entspannen. Das Mädchen in der riesigen Baggyjeans beschwert sich nicht über meine eigentlich unmenschliche Lautstärke und wippt leicht in Takt zu „Geisteskrass" mit den Füßen.
Gerade als ich meine Augen schließe und mich wieder an das Fenster lehne, vibriert mein Handy. Ich ziehe es aus meiner Hosentasche und versuche durch den komplett zerstörten Screen zu erkennen wer mir geschrieben hat.
Es ist Ida, meine Stiefschwester, die wissen möchte wann ich ungefähr in Berlin ankomme.
Ich antworte ihr, dass es etwas später wird, da wir durch Gleisarbeiten ungefähr zehn Jahre ein paar Kilometer vor Wolfsburg standen.
Danach lehne ich mich wieder gegen das Fenster und lasse mich von makko in den Schlaf singen.

Ich wache erst wieder auf als mir jemand an der Schulter rüttelt und ich eine laute mechanische Stimme wahrnehme die verkündet:
„ Nächster Halt Berlin Hauptbahnhof. Bitte denken sie daran beim verlassen des Zuges ihre persönlichen Gegenstände mitzunehmen. Diese Zugfahrt endet dort."

Um mich herum sind bereits alle in Hektik verfallen ihre Koffer aus den Gepäckablagen zu ziehen.

„Danke fürs wecken", murmle ich verschlafen und strecke mich.
Sie gibt mir meinen Kopfhörer zurück und ich verstaue sie in meiner Hosentasche.
Meine Reisetasche hat die ganze Fahrt einfach an meinen Füßen verbracht, da ich zu faul war sie hoch in die Gepäckablage zu hieven.
Ich hebe sie auf und klemme mir mein Skateboard unter den Arm.

„Cooles Deck", sagt das Mädchen erstaunt, als sie den Medusenkopf sieht, der sie davon finster anstarrt.

„Danke.", erwidere ich zaghaft. „Hat ein Freund für mich gemacht."
Sie starrt noch einen Moment lang der Medusa direkt in die Augen bevor sie beeindruckt zugibt, dass sie auch mal versucht habe ihr Deck selber zu gestalten, was aber grauenhaft geendet habe.

Ich lache kurz.

„Hätte Yonás das nicht für mich gemacht, hätte es bei mir auch scheiße geendet. Aber cool, dass du auch skatest."

Sie lächelt nur und nickt, bevor sie durch den kleinen Gang geht und aus dem Zug aussteigt.
Ich folge ihr auf den Bahnsteig.

„Wie heißt du eigentlich?", fragt sie, als sie sich noch einmal umdreht.

„Valentin"

„Vielleicht sieht man sich Valentin.", sagt sie und ist schon verschwunden bevor ich sie überhaupt fragen kann, wie sie heißt.

Egal. Wahrscheinlich sehe ich sie eh nie wieder. Irgendwie fast schon schade, denn sie war auf jeden Fall verdammt cool.

Ich atme tief durch und muss kurz realisieren endlich wieder hier zu sein.
Seit meine Eltern sich vor vier Jahren haben scheiden lassen, ist meine Mutter mit ihrem neuen nach Berlin gezogen. Ich sehe sie kaum, aber jede Sommerferien fahre ich für drei Wochen um sie, meinen Stiefvater David und seine Tochter Ida zu besuchen.

Wie auf Kommando ruft Ida mich auch schon an.

„Wo bist du?", fragt sie ohne hallo zu sagen.
„Ich bin noch auf dem Bahnsteig. Wartest du draußen oder...?"
Noch bevor ich den Satz zuende gesprochen habe, springt etwas von hinten auf mich drauf und ich verliere das Gleichgewicht. Rücklings falle ich nach hinten und Ida auf mich drauf.
Beim Aufprall höre ich ein lauten Krachen, aber ich ignoriere es.
„Ich hab dich vermisst, du Penner.", beleidigt mich Ida liebevoll und ich lache und umarme sie.
Ich habe sie auch tierisch vermisst.
„Du kleine Kröte", erwiderte ich nur.
Dann sehe ich jedoch, was eben beim Sturz das krachen verursacht hat.
Mein Skateboard ist in der Mitte durchgebrochen und von meiner schönen Medusa sind nur noch Splitter übrig.
„Scheiße Ida.", fluche ich. „ Ich hab nicht genug Geld mit um mir ein neues zu kaufen."
Eine weitere tolle Sache an Berlin sind nämlich eigentlich die zahlreichen Skaterparks, an denen es in meiner kleinen Heimstkaffstadt ziemlich fehlt.
Und jetzt bin ich hier und kann nicht skaten.
„Fuck das tut mir mega leid."
Ida überlegt kurz. „Ich habe mir vor kurzem ein neues Board gekauft. Mein altes ist eigentlich noch voll inordnung. Das kannst du erstmal haben."

Das ist natürlich eine Lösung, aber trotzdem trauert mein Herz dem Trümmerhaufen auf dem Boden ein wenig hinterher.
Ich hebe die beiden Hälften auf und verlasse zusammen mit meiner Stiefschwester den Bahnhof.

paper lover (boyxboy)Where stories live. Discover now