Die geheimnisvolle Dr. Wayne

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„Dr. Manuela Wayne. Da bist du ja“, sage ich und nehme noch einen weiteren Zug meiner Zigarette.
„Dr. Manuela Wayne. Alter bei der Entlassung: 42. Position: Leitende Forscherin der Genetikabteilung. Aufgabenfeld: Entwicklung und Weitererforschung des Projektes „DNA-Veränderung, sowie den Projekten „Xenoph“ und „Sensenmann“. Notiz zur Handhabung “, lese ich mir selbst vor. Ein kalter Schauer überkommt mich. Sie ist der Kopf hinter den durchsichtigen Spritzen. Das ändert die Sachlage erheblich. Muss erst einmal vor Stress einen tiefen Zug der gemächlich vor sich hin glühenden Zigarette nehmen.
„Was zum gottverdammten Fickfrosch tun diese verkackten Streber da drüben nur“, zische ich gestresst hervor, nachdem ich den nach oben steigenden Kippenrauch gut hörbar auspuste und streiche mir zeitgleich mit zusammengekniffener Stirn über meinen Augenbereich. Dann wird es wohl notwendig werden mit dem Chef der Loge zu reden. Vorher schaue mir jedoch noch die Notiz an. Ein Fenster öffnet sich, als ich den Notizlink anklicke.
„Informationen nur für Logenbosse einsehbar. Bitte Passwort eingeben“, murmele ich. Ein leichtes Lächeln legt sich auf meine Lippen, ehe ich die gewünschten Anmeldedaten eingebe.
„Manchmal mag ich mein Leben“, kichere ich vor mich hin, als mir der Zugang gewährt wird und  ein schlichtes Textfeld erscheint. Mein verbliebenes Auge huscht aufgeregt über die geschriebenen Zeilen. Jeder Satz. Jedes Wort. Jeder Buchstabe. Die Informationen, die sich daraus ergeben lassen mich meine eben ausgesprochene Aussage verdammt schnell vergessen. Jetzt wird mir auch klar, warum dieser Auftrag nicht den offiziellen Logenweg gegangen ist, sondern einen derartig geheimdienstmäßigen Touch hat. Der Scheiß geht tiefer, als ich es je hätte vermuten können.
„Fuck“, stoße ich überfordert aus und nehme noch einige Züge meiner Zigarette, ehe ich sie auf dem Tisch ausdrücke und mich, sie in den Mülleimer schnippend, aus dem Raum teleportiere.
 
Das Hauptlabor der Sichelloge. Selbst in der tiefsten Nacht bei voller Aktivität. Getarnt als staatlich finanzierter Biochemie-Riese. Generell sind die verschiedenen Labore auf unterschiedlichste Art und Weise vor der Öffentlichkeit getarnt. Der Höflichkeit halber erscheine ich vor dem mehrere Meter großen Sicherheitstor des Laboratoriums. Neben dem elektronisch bedienbaren Stahltor, welches von der Straßenlaterne neben mir beleuchtet wird, befindet sich ein kleines Wachhäuschen.
Eine Einfahrtsstraße führt genau durch die Sperrung hindurch und entstammt einer kreisrunden Abhangsbiegung hinter mir.
 Hinter der Glassichtscheibe mustert mich ein strenges Augenpaar, welches zu einem scheinbar gut durchtrainierten Wachmann gehört, dessen Gesicht sich nur schwer einschätzen lässt.
„Und wohin soll es gehen?“, fragt dieser in streng autoritärer Tonlage. Entweder hat er mein plötzliches Erscheinen nicht bemerkt, oder es ist ihm egal. Letzteres wäre ziemlich eigenartig, da die Sichelloge meines Wissens nach für diesen Wachposten keine Syndikatler einsetzt. Ich tippe demnach auf Ersteres.
„Herr Laubner erwartet mich“, erwidere ich in aller gebotenen Höflichkeit. Der Sicherheitsmann hebt dezent eine seiner stark gewucherten Augenbrauen. Generell scheint sein Gesicht vor immensen Haarwachstum nur so zu strotzen. Dieser wilde, dunkle Vollbart gibt der Wache einen nicht zu verachtenden Vikinger-Flair.
„Haben Sie einen Termin?“, hakt der strikt nach Handbuch handelnde Wachmann nach. Warum gerate eigentlich ich an einen der wenigen noch ordentlich arbeitenden Sicherheitsmann?

„Nein. Jedoch wenn Sie ihn anrufen und sagen, dass Herr Plasting nach ihm fra-“
„Kein Termin. Kein Einlass. Jetzt verschwinden Sie“, fällt mir die Barttinktur auf zwei Beinen grob ins Wort. Mein Augenlid zuckt. Ich habe nicht wenig Lust mir selbst Einlass zu gewähren. Ich gehe einige Schritte an das Sichtfenster heran und bohre meinen Blick in den des Uniformierten.
„Ich empfehle Ihnen ernstlich den Hörer in die Hand zu nehmen und Herrn Laubner über meine Anwesenheit zu informieren“, wiederhole ich mein Anliegen mit etwas mehr Nachdruck. Die Hand des Wachmannes gleitet zu seinem Pistolenhalfter.
„Das würde ich mir an Ihrer Stelle ganz genau überlegen“, knurre ich, bereit mich in das Wärterhaus zu teleportieren und zu tun, was notwendig werden wird, wenn dieser gottverfluchte Sohn einer Hure weiterhin mit seinem Leben zu spielen gedenkt. Da unterbricht das schrille Geräusch eines klingelnden Telefons die nervenaufreibende Spannung. Der Bärtige erschrickt und wechselt den Blick zwischen mir und seinem Telefon. Ein breites Lächeln legt sich ob meiner Vermutung über meine Lippen.
„An Ihrer Stelle würde ich da ran gehen“, sage ich etwas ruhiger. Die Hand der Wache, welche gerade auf dem Weg zur Pistole gewesen ist, greift nun zur schwarzen Sprechvorrichtung vor sich. Er hebt langsam den Hörer an sein Ohr, mich nicht aus den Augen lassend.
„Was gi- Oh, Herr Laubner. Ja. Ja, so jemand steht hier. Nein hab ich ni- Oh aber er hat gesa- nein nein alles gut. Ja mach ich. Wiederhören“, führt der Uniformierte ein scheinbar sehr intensives Gespräch, da dessen Stimme mit jedem Wort kleinlauter geworden ist. Noch während der eingeknickte Wachmann den Hörer auf dessen Station zurücklegt, betätigt er mit der freien Hand einen Schalter zu seiner linken. Das Stahltor beginnt sich monoton brummend zu öffnen und gibt den Weg und Blick auf ein irrwitzig großes, rundes Gebäude mit gewaltigem Kuppeldach frei.
„Herr Laubner erwartet Sie im Labor drei. Das ist da-“
„Mir ist bekannt, wo sich das Labor befindet“, grätsche ich dem Mann ohne Eigenschaften ins Wort und betrete das von diversen grellen Straßenlaternen beleuchtete Laborgelände.
 
„Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn Sie irgendwo aufkreuzen, Herr Plasting“, begrüßt mich ein ziemlich großer, ziemlich schlacksiger Mann in den 40igern. Stechende dunkelblaue Augen traktieren mich hinter einer kreisrunden Brille. Das kantige Gesicht, dessen blasse Oberfläche von früher Akne einige kraterartige Narben aufweisen, scheint schon eine Weile lang keinen Schlaf mehr gefunden zu haben.
„Warum begrüßen Sie mich eigentlich nie bei meinem Rufnamen?“, frage ich seufzend, an einen der zahlreichen tristgrauen Schränke gelehnt, die sauber in parallelen Reihen aufgebaut worden sind und deren Durchgangsmitte Platz für gerade einmal zwei dünne Personen oder einen halben Maik erlauben. Kurz mustert mich der vorzeitig ergraute Anführer der Sichelloge, dessen selbstgewählter Rufname „Radon“ ist. Wie das Edelgas im Periodensystem der Elemente.
„Weil Sie nicht offiziell hier sind, denn wenn Sie es wären, gäbe es entweder vorher eine Mitteilung über Ihr Erscheinen, oder ich wäre längst tot. Da weder das Eine, noch das Andere der Fall ist, gehe ich davon aus, dass Sie in einer inoffiziellen Angelegenheit eine Unterredung wünschen, woraufhin ich mir die offizielle Anrede spa-“
„Ist gut, Radon. Ich habe nicht nach einem Roman gefragt“, murre ich dazwischen und kratze mir genervt über meinen stoppeligen Bart. Der weiße Kittel des Wissenschaftlers ist im tadellosen Zustand, sodass man den Eindruck gewinnt, er hätte ihn frisch angezogen. Ohne auf mich zu reagieren, fährt Radon damit fort, die Regale nach etwas mir unbekanntem zu untersuchen.

Einauge-Saga (Creepypasta)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt