Die geheimnisvolle Dr. Wayne

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„Dr. Manuela Wayne“, wiederhole ich nachdenklich nunmehr zum x-ten Mal, während ich wieder im Büro der Mondloge auf meinem Lederstuhl sitze. Zusätzlich zu diesem Namen, hat mir der Alpha das Wissen zu der besagten Frau überlassen. Ich hasse es so sehr, wenn er das auf seinem Weg tut. Jedes Mal, wenn der Schöpfer der Informanten mir sein Wissen überträgt, fühlt es sich so an, als würden einige Nadeln zeitgleich meinen Kopf durchbohren.
„Man sollte doch meinen, dass ein so mächtiges Wesen eine Möglichkeit besitzt mir diese Informationen schmerzfrei zu übermitteln. Mit Worte. Oder Akten. Was ist so falsch an Akten?“, murre ich und hoffe dringlichst, dass die Schmerztablette, welche ich mir bei der Wiederkehr ins Büro eingeworfen habe, bald zu wirken beginnen.
Gehe noch einmal innerlich das Wissen um Dr. Manuela Wayne durch. Sie ist eine Frau mitte 40. Ehemaliges Mitglied der Sichelloge, was interessant ist, weil eine Anstellung beim Syndikat auf Lebenszeit beruht. Doch den eigenen Tod vorzutäuschen hat scheinbar ausgereicht, um die Nerds da drüben zu täuschen. Das war wohl noch vor meinem Amtsantritt als Logenboss. Und noch vor dem aktuellen Chef der Sichelloge.
Diese Wayne hat sich der Weiterentwicklung unserer durchsichtigen Substanz verschrieben. Was noch viel wichtiger ist: Ich bin ihr sogar bereits begegnet. Das Aussehen der Wissenschaftlerin ist mir mit den Infos gleich zusätzlich mitgegeben worden.
„Die ist doch dabei gewesen, als ich damals zusammen mit einigen Leuten meiner Loge diese Junky-Folter-Höhle in einen verfickten Schweizer Käse verwandelt und Vögelchen gefunden habe“, erinnere ich mich zurück. Vögelchen hat mir letztens grob von einer Frau erzählt, die die einzig nette Person in ihrem bisherigen Leben gewesen ist.
„Was wäre, wenn diese Dr. Wayne eben jene Frau ist, von der Vögelchen sprach?“, murmele ich gedankenverloren vor mich hin. Seufzend raufe ich mir kurz durch meine blonden Haare. Einige Augenblicke lang betrachte ich den kleinen Aktenstapel, den mir Vögelchen auf meine Anweisung hin ordentlich zurechtgelegt hat.
 
„Das kann bis morgen warten“, murre ich und erhebe mich von meinem Stuhl
„Da werde ich wohl einige Dokumente durchforsten müssen“, füge ich hinzu und befinde mich im nächsten Augenblick im Computerraum der Mondloge. Es ist einer der eher schlichteren Hinterräume unseres Standortes. In vier langgezogenen, von schlichten Zimmerlampen beleuchteten Schreibtischreihen, die mittig eine schmale Passage zum Hindurchgehen lassen, befinden sich jeweils fünf Flachbildschirme, samt Tastatur und Maus. Die Rechner sind lediglich zum Recherchieren von Syndikatsinformationen gedacht und stehen in sämtlichen Standorten aller Logen. Einer der Rechner gibt beim Start ein dezentes Lüftergeräusch von sich und der frisch Staub gewischte Bildschirm schaltet sich ein. Ich gebe ein 23 stelliges Passwort ein und logge mich mit meinem Benutzer an, ehe die Akten ehemaliger Syndikatsmitarbeiter durchforstet werden. Ehe ich den Ordner der Forschernerds öffne, klicke ich auf den meiner Loge, um nach zwei speziellen Namen Ausschau zu halten. Schnell werde ich auch fündig. Melissa. Maik. Ein nostalgisches Gefühl steigt in mir hoch. Während Melissa unter der Fuchtel des Genesis-Wesens Eternia steht, erinnere ich mich an die ersten Treffen mit Specki. Wie er mir alles beigebracht hat, was ich im Knast und letztendlich auch während meinen Anfängen bei der Mondloge zum Überleben gebraucht habe. Das Kämpfen. Skrupellosigkeit. Präzision.
„Er war zwar fett wie drei Wale, aber Gott konnte diese Missgeburt kämpfen“, murmele ich grinsend vor mich hin und zünde mir eine meiner Zigaretten an. Nehme einen Zug der leicht würzig schmeckenden Kippe und puste den graublauen Rauch in die stickige Raumluft. Dann fällt mir der Verrat ein. Das Gefühl, wie alles in mir zuammengebrochen ist, als Melissa mich an die SCP verkauft hat. Mein immenser Rachedurst, den ich nicht lange fackelnd in die Tat umgesetzt habe. Das Gefühl, wie Asmodi zum ersten Mal in mein Leben getreten ist.
„Asmodi“, hauche ich mit einem jäh bitteren Gefühl der Trauer in meiner Seele hervor. Erst einige Sekunden später merke ich, wie ich meinen gesamten Körper verspannt habe. Ich vermisse ihn. Er ist sehr lange ein fester Teil von mir gewesen. Ein Quell unglaublicher Macht. Dieser Dämon hat mir zahllose Male das Leben gerettet. Dann ist er mir genommen worden. Durch Something Worse. Auch hier hat er mir das Leben gerettet. Wäre er nicht gewesen, dann würde ich nun als weiteres Opfer der „Halbapokalypse“ zählen. Und ein weiteres Mal gelte ich für ihn als tot. Wie er sich nun fühlen muss. Mich gerade erst „zurück bekommen“ und nun wieder gestorben. Dazu noch Sunny, die einzige Frau, die es geschafft hat, das Herz des bösartigsten Serienmörders des Landes zu gewinnen. Man klingt das klischeehaft. Alice nicht zu vergessen. Sie ist das für Sleepless gewesen, was Sera-. Ich stocke bei dem Gedanken und schüttele mich, um wieder ins Hier und Jetzt zu gelangen.
„Konzentriere dich, Kev. Bemitleiden kannst du Sleepless später auch noch“, mahne ich mich selbst. Mit einem Klick schließe ich den Ordner der Mondloge und öffne den der Sichelloge, samt einer Datei, die „Ehemalige Mitglieder“, heißt. Eine schlichte Excel-Tabelle öffnet sich und zeigt die Spalten „Name“, „Alter bei Entlassung“, „Position“ & „Aufgabenfeld“. Langsam scrolle ich bis zum „D“ und überfliege die Namen der Doktoren.

Einauge-Saga (Creepypasta)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt