Kapitel 28 - Unter verräterischen Augen

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Kaycie grinste mich an und griff nach meinen Händen. Eine Geste, die sie eigentlich nie machte ... obwohl wir uns inzwischen so nahestanden. Ihre Berührung hatte etwas ganz Besonderes an sich, das hier fühlte sich jedoch irgendwie falsch an ... Ich schluckte diese Tatsache, genau wie den Umstand, dass sie sich an Zoeys Mode angepasst zu haben schien, ebenfalls hinunter. Das war Kaycie, verdammt. Zoey konnte nicht hier sein. Wie sollte sie denn von der Insel heruntergekommen sein?

Sie stieß ein perlendes Lachen aus. »Über was denkst du so fieberhaft nach?«

Ich schlug mir die seltsamen Gedanken endgültig aus dem Kopf und lächelte zaghaft zurück. »Ich habe eine neue Theorie.«

Erwartungsvoll sah sie mich mit ihren ozeanblauen Augen an. »Erzähl!«

»Also, ich glaube, dass du und Zoey irgendwie miteinander verbunden seid. Als du dich im Mondsee verwandelt hast, hat das bei ihr ebenfalls etwas ausgelöst. Anders kann ich mir ihre Veränderung einfach nicht erklären. Nur ... hat sich die Verwandlung bei euch beiden unterschiedlich geäußert.«

Kaycie nickte nachdenklich. »Du meinst also, dass es vielleicht auch etwas mit der Persönlichkeit zu tun hat?«, fragte sie.

Ich nahm einen Schluck aus meiner nun kalten Tasse, der Kaffee schmeckte etwas bitter. »Wenn ich so darüber nachdenke, dann ja! Ich meine, du warst schon immer die Nettere von euch beiden – also bist du logischerweise die ›nette‹ Meerjungfrau.« Das nett setzte ich in Anführungszeichen mit den Fingern. »Und Zoey war schon immer zurückhaltender und gleichzeitig angriffslustiger – also ist sie die ›böse‹ Hexe. Das, so seltsam es klingt, ergibt irgendwie Sinn!« Aufregung stieg in mir hoch. Das war eine entscheidende Erkenntnis. Sie brachte aber nicht in Erfahrung, warum genau ihnen das passiert war.

Das dachte sich wohl auch Kaycie. »Eine wirklich ... nette Theorie. Aber wirklich weiter bringt sie uns nicht.«

»Stimmt. Immerhin erklärt es, warum Zoey so ist, wie sie nun ist. Denn es hat erst damit angefangen, als du dich verwandelt hast, richtig?«, schloss ich.

Kaycie nickte abwesend und sah sich anschließend im Café um. Wir waren beinahe die letzten Gäste.

»Wie viel Uhr ist es eigentlich?«

»Es ist fast zehn. Wir sollten lieber gehen, schließlich ist morgen Schule«, meinte sie.

Ich drehte mich um, um ebenfalls auf die Uhr, die an der Wand hing, blicken zu können. »Gut.« Seufzend legte ich das Geld für mein Getränk auf den Tisch.

Kaycie zog mich ungeduldig zum Ausgang.

»Hey, nicht so schnell!«, rief ich lachend.

Draußen schlenderten wir über den verwaisten Weg. Kaycie schmiegte sich eng an mich und ich legte ihr einen Arm um die Taille. Es war so still um uns herum, dass man das leise Rauschen der Wellen vom Strand hören konnte. Ein kühler Wind wehte Kaycie die langen, dunklen Haare aus dem Gesicht. Der Himmel über uns war sternenklar. Der Mond hatte wieder etwas abgenommen, wie ein leuchtendes Ei hing er da und erhellte die Straße.

»Hast du eigentlich für den Test morgen gelernt?«, fragte Kaycie unvermittelt.

Überrascht hob ich meine Augenbrauen. »Ja, ein bisschen, aber Mathe verstehe ich sowieso. Da brauche ich nicht viel zu lernen.« Warum fing sie jetzt damit an? Sie sprach eigentlich nie über anstehende Tests. Und wenn ich sie danach fragte, dann wurde das Thema eilig abgehakt, bevor sie auf – für sie – sicheres Terrain wechselte.

»Ich hatte gehofft, dass du mir vielleicht noch ein bisschen Nachhilfe geben kannst.« Fragend blickte sie zu mir hoch.

Ich lächelte sie an. Ein Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus, es vermischte sich mit einem mulmigen Unterton, den ich nicht ganz einordnen konnte. »Klar, kein Problem. Ich helfe dir gerne«, antwortete ich, auch wenn mir ihre Frage seltsam vorkam. Eine Stimme wollte sich erkenntlich zeigen und mir irgendetwas Wichtiges mitteilen – ich hörte ihr nicht zu. Stattdessen dachte ich darüber nach, dass »Nachhilfe« ganz bestimmt nicht »Lernen« bei Kaycie bedeutete ...

»Super!« Sie griff nach meiner Hand und hielt sie fest in ihrer umschlungen, was mein Herz verräterisch zum Pochen brachte. Wir hatten ihr Zuhause fast erreicht, als Kaycie abrupt stehen blieb.

»Was ist denn? Ich dachte, du wolltest, dass ich dir beim Lernen helfe?« Ich wollte ihr neckisch zuzwinkern, der Ausdruck in ihrem Gesicht ließ mich jedoch zur Salzsäule erstarren. In ihren Augen blitzte etwas Seltsames auf, das ich gestern Nacht zum ersten Mal gesehen hatte ... bei Zoey.

Dem Mädchen vor mir war völlig egal, was ich mir gerade zusammenreimte. Sie grinste nur über beide Ohren, dann zog sie mich an sich. Ehe ich die Wahrheit gänzlich erkannte, küsste sie mich. Zoey schloss meine Lippen mit ihrem Mund.

Ich vernahm ein Geräusch in der Nähe. Es war Kaycie, sie keuchte. »Zoey? Das glaube ich jetzt nicht!« Sie klang genauso schockiert, wie ich mich fühlte.

Wie ein begossener Pudel stand ich mitten auf der Straße, als Zoey sich von mir löste. Ich starrte von einer Kaycie zur anderen. Allerdings verschwammen bei der Kaycie vor mir die Umrisse und Zoeys Antlitz blickte mir entgegen. Verwirrt blinzelte ich.

Da kam auch schon Kaycie von der Tür herbeigeeilt und verpasste Zoey mit Schwung eine heftige Ohrfeige. Das sollte es aber noch nicht gewesen sein. Wütend ging sie weiter auf ihre Schwester los. Diese wehrte sich und feuerte eine grell leuchtende Flamme auf Kaycie ab, die sie an der rechten Schulter traf. Zischend wich Kaycie zurück und hielt sich die Wunde. Ihr Shirt war an der Stelle verbrannt und zeigte ihre nackte, rotglühende Haut. Das brachte mich wieder zur Besinnung.

Ich schritt zwischen die beiden und hielt sie so auf Abstand. »Aufhören!«, rief ich schwer atmend. Erst jetzt realisierte ich, was eben passiert war: Zoey hatte mich reingelegt.

»Wie konntest du nur?«, brüllte Kaycie. Tränen glänzten in ihren Augen. Sie schluchzte. Ihre Stimme zitterte. Ich war mir nicht sicher, wen von uns sie genau meinte. Mein Herz zog sich bei dieser Bemerkung schmerzhaft zusammen.

Ich wollte sie in den Arm nehmen, doch sie schlug meine Hand beiseite. »Bleib weg von mir!« Kaycie schnappte hektisch nach Luft. »Ich will dich nicht sehen. Und Zoey auch nicht. Geht mir beide aus den Augen, bevor ich mich vergesse!« Sie funkelte uns wütend und verletzt an. »Wo ist meine Schwester? D-du ... du ... bist ein hinterhältiges, verräterisches Biest geworden!«, fauchte sie, bevor sie auf dem Absatz kehrtmachte, zurück zum Haus lief und die Tür laut knallend hinter sich ins Schloss fallen ließ.

Mondsüchtig | VerwandlungWhere stories live. Discover now