Kapitel 8 - Len

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"Entschuldige. Ich hoffe, du hast nicht zu lange gewartet." Jeffrey ist wieder zurück und holt mich aus den wirbelnden Gedanken ob und mit wem er bereits hier auf einem Date war und ob er wirklich noch immer mit mir zusammen hier sein möchte. "Nein. Du warst nicht lange weg", antworte ich lächelnd und sehe wie er sich merklich entspannt. Seine rechte Hand ergreift meine linke und es fühlt sich an, als hätten wir nie etwas anderes getan. Vertraut, sicher, geborgen.
"Erzählst du mir etwas über dich?", fragt er und bevor ich meine Fragen mit passenden Antworten kombinieren kann, spricht er einfach weiter.
"Oder soll ich anfangen? Ich habe das ewig nicht mehr gemacht." Damit wäre eine der vielen Fragen beantwortet. Zumindest zum Teil.

"Len, ist alles okay? Fühlst du dich nicht gut?", erkundigt sich Jeffrey besorgt. Vor lauter Überraschung über soviel Fürsorge habe ich vergessen was ich sagen wollte.
"Du fühlst dich unwohl. Habe ich recht? Möchtest du gehen?" Hastig schüttele ich meinen Kopf. Nein, ich möchte nicht gehen. Ich frage mich nur, warum dieser schleimige Kellner so offensichtlich mit Jeffrey flirtet und er nichts dazu sagt. Oder woher er seine Vorlieben beim Essen kennt. Und warum ich meine scheiß Nervosität und Unsicherheit nicht in den Griff bekomme.
"Lässt du mich an deinen Gedanken teilhaben?", fragt er sanft und streicht beruhigend über meinen Handrücken. Es funktioniert, meine wirren Gedanken kommen zum Stehen und mit fester Stimme stelle ich die drängende Frage.
"Du scheinst den Kellner gut zu kennen. Hast du ihn auch gedatet?"
"Was? Ja. Nein. Ich komme öfter her, weil es im 'Temple' einfach die besten Steaks in ganz New York gibt. Ach was rede ich da? Im ganzen Land. Ich habe Brian außerdem ein paar Mal im Dirty Cave getroffen. Ein Schwulenclub", rechtfertigt er sich und seine Augen glänzen vor Begeisterung. Wenn ich Fleisch essen würde, wäre das hier sicherlich der Traum meiner schlaflosen Nächte. Die Gäste um uns herum sehen alle sehr zufrieden aus.

"Entschuldige. Aber er ist mir unsympathisch", antworte ich ehrlich. "Er verhält sich nicht gerade professionell. Seine Flirtversuche sind kaum zu übersehen. Gedanklich hat er dich doch bereits in seinem Bett. Oder auf dem Mitarbeiterklo", plappere ich einfach drauf los. Ich fühle mich unwohl. Nicht nur wegen dem Kellner, auch die Blicke der anderen Gäste sind mir nicht entgangen. Dieses Restaurant ist zu nobel für meinen schlichten Kleiderschrank. Selbst Jeffrey ist besser gekleidet als ich. So underdressed und fehl am Platz habe ich mich lange nicht gefühlt. Auch die Tatsache, dass zwei Männer händchenhaltend in einem Restaurant zwischen dutzenden Heterosexuellen Paaren sitzt, bringt mich leicht ins schwitzen. 'Es ist okay. Niemand verachtet dich' flüstert die Stimme in meinem Kopf. Ich weiß, dass es in Amerika nicht verboten ist einen Mann öffentlich zu lieben. Aber für mich, ist das noch immer nicht vollständig greifbar. Keine Angst haben zu müssen, keine Schatten der Leidenschaft die mit ihren scharfen Krallen die Seele zerfleischen. Es bringt nichts darüber zu grübeln. Ich bin hier, in einer Stadt wo es den meisten Leuten egal ist wen ich liebe.

"Was möchtest du wissen?", frage ich und Jeffrey trägt wieder dieses umwerfende schiefe Lächeln. Es ist einfach mega heiß.
"Bist du eifersüchtig?", fragt er schmunzelnd und ich schnaube augenverdrehend.
"Du bist eifersüchtig." Eine Feststellung, keine Frage. Er hat Recht. Ich bin eifersüchtig. Auf den Kellner.
"Ich bin nicht eifersüchtig. Du kannst daten wen du willst. Also. Was möchtest du hören? Die schmutzigen Details meiner Vergangenheit? Oder den langweiligen Ablauf meiner Morgenroutine?", erwidere ich beiläufig.
"Egal. Was du möchtest. Hauptsache ich kann deiner Stimme lauschen." Ich räuspere mich und fange einfach an wild drauf los zu erzählen. Das lenkt mich von dem Gedanken ab, dass es ihm egal ist was ich sage, solange ich etwas sage. Das lässt mein Herz ein paar Takte schneller schlagen, der Marathon findet kein Ende.
"Naja, soviel gibt es da nicht zu erzählen. Wie ich heiße weißt du bereits. Ich bin 22 und studiere Fotografie. Das ist aber nur möglich, weil ich ein Stipendium habe. Meine Eltern leben in Indonesien. Jakarta, da bin ich geboren und aufgewachsen. Sie sind mächtig stolz auf ihren Sohn der in Amerika studiert. Naja, ich gebe mein Bestes das sie auch weiterhin stolz auf mich sind."
Jeffreys Blick liegt die ganze Zeit auf mir, nicht einmal unterbricht er den Blickkontakt. Auch dann nicht als der Kellner zurück an unseren Tisch kommt und köstlich duftendes Brot mit verschiedenen Dips bereit stellt. Und wieder sind da diese lüsternen Blicke und ein zufälliges Streifen seiner Finger über fremde Haut. Die Signale könnten nicht eindeutiger sein und ich muss mich zwingen ruhig zu atmen.

Winter talesWhere stories live. Discover now