Das Zwanzigste. -M

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Ich bin wach geworden, als mir die Sonne wie irre ins Gesicht schien. Ich lag immer noch in der Position, in der ich eingeschlafen bin, auf Finns Brust. Praktisch müsste ich mal ganz dringend aufs Klo, theoretisch ist der Moment gerade zu schön um aufzustehen. Außerdem würde ich dann vermutlich Finn wecken, und dafür sieht er beim schlafen wirklich zu gut aus. Also lieg ich seit einer guten halben Stunde mit drückender Blase da und schau abwechselnd ihn und den Himmel an. Die Stille wird gelegentlich durch ein Babygeschrei oder ein Radiogeräusch unterbrochen, doch sonst ist es wunderbar friedlich. Wenn ich daran denke, dass ich Finn und diese Wohnung bald verlassen muss um nach Hause zu gehen, wird mir ganz kalt und mein Bauch tut weh. Momentan kommt es mir so vor, als wäre Finns Brust und dieser Balkon der sicherste Ort der Welt. Ist schon verrückt, wie gern ich ihn hab, obwohl wir uns erst so eine kurze Zeit kennen. Aber es ist auch völlig unmöglich ihn nicht zu mögen.

Finn nimmt seinen Arm von mir und streckt sich einmal kräftig aus, bevor er mir mit seinem verschlafenen Blick und verwuschelten Haaren entgegenlächelt. Heiß, war mein erster Gedanke. Hör auf sowas zu denken, der Zweite.
„Guten Morgen." sagt er und legt sein Kopf wieder ab, so dass er gen Himmel schaut.
„Guten Morgen. Gut geschlafen?" frag ich und kann nicht aufhören ihn anzuschauen. Warum sieht er so gut aus verdammt.
Er hebt leicht seinen Kopf und blickt auf meine Hand, die auf seiner Brust liegt. Lächelnd entgegnet er mir: „Ja klar."

Ein paar Minuten sagt keiner von uns etwas, bis Finn plötzlich seinen Arm hebt und mit seinem Finger auf eine Wolke deutet.
„Siehst du die da? Sie hat die Form eines Froschs."
Ich blicke in die Richtung in die er zeigt und muss etwas überlegen, wo genau er darin ein Frosch erkennt. Mit viel Fantasie vielleicht. Aber er klang so erfreut darüber, also stelle ich es nicht in Frage sondern entgegne nur: „Ja, das stimmt."
So lagen wir noch eine Weile da und zeigten uns verschiedene Wolkenbilder, bis mein Handy plötzlich anfing zu klingeln. Der Klingelton ist ein quarkender Frosch und als und beiden die Ironie bewusst wird, lachen wir kurz auf.
Es ist Clara. Bestimmt macht sie sich Sorgen, weil ich sonst immer regelmäßig mit ihr schreibe.
„Hallooo. Tut mir leid dass ich mich nicht gemeldet habe." sagte ich schnell zu Beginn des Gesprächs und versuche so, das Schlimmste abzuwenden.
„Mia Emilia Taube, das kann ja wohl nicht dein Ernst sein. Ich schreibe dir tausend Nachichten und du reagierst auf keine. Wo bist du denn? Und jetzt komm mir ja nicht mit Ausreden!" schrie Clara vorwurfsvoll ins Telefon, wobei sie versucht die typisch mütterliche Art nachzuspielen.
„Wie gesagt, tut mir leid. Ich bin.." gerade als ich es aussprechen will blicke ich zu Finn, der mich schon beobachtet. Mit der Hand gebe ich eine kurze Geste die so viel bedeutet wie „Einen Moment, bin gleich wieder da." und gehe Richtung Bad.
„Hallo? Kommt da noch was?" fragt Clara ungeduldig und ich verdrehe leicht die Augen.
Im Bad angekommen verschließe ich die Tür hinter mir und schaue in den winzige Spiegel, der an der linken Wand hängt.
„Ich bin bei Finn." antworte ich kurzgebunden und erwarte eine völlig überzogene Reaktion.
„OH MEIN GOTT WAS? Du bist bei dem hotten Skatertypen den du gerade mal eine Woche kennst und hälst es nicht für nötig mir Bescheid zu sagen? MIA, manchmal kann ich dich wirklich nicht leiden." Bei dem letzten Satz muss ich leicht lachen und schüttel den Kopf.
„Es war alles ziemlich spontan. Und ich weiß ja selbst nicht was ich denken oder sagen soll. Ich weiß nur, dass der Abend gut war. Er war wirklich toll Clara." den letzten Satz flüstern ich ins Handy wobei ich mein lächelndes Spiegelbild betrachte. Ich weiß selbst nicht ob ich mit „er" den Abend oder Finn meine. Das ist irgendwie ein fließender Übergang.
„War er gut zu dir?" fragt Clara, wobei ihre Stimme nun im Gegensatz zum bisherigen Telefonat sehr ernst klingt.
„Ja, ja das war er. Es ist verrückt Clara." gebe ich zurück und umklammere mein Handy fester.
„Das ist toll, fantastisch! Ich glaube er ist jetzt genau das Richtige für dich. Mia versprich mir dass du der Sache eine Chance gibst. Auch wenn du Angst hast, der Typ scheint dir gut zu tun." Claras Worte geben mir zu denken. Ich glaube sie hat Recht. Finn ist gerade genau das, was ich brauche und er macht mich glücklich. Und das Beste ist, dass bei der ganzen Sache zwischen uns die Zeit absolut keine Rolle spielt. Es fühlt sich so an als kenne ich Finn schon so lang, dass mir vor ihm nichts unangenehm vorkommt. Erschreckend dass Clara noch vor mir weiß, wie ich mich fühle.
„Aber trotzdem führt kein Weg daran vorbei, dass du ihn mir vorstellen musst!"
Mit diesen Worten reißt sie mich aus meinen Gedanken.
„Er will dich auch gern kennenlernen. Hab ihm schon einiges von dir erzählt."
„Und natürlich nur Gutes, so wie ich dich kenne." Wir lachen leicht ins Telefon.
„Ich freu mich für dich Mia!" sagt Clara, wobei sie es mit so viel Ehrlichkeit rüberbringt, dass ich fast anfangen muss zu weinen.
„Danke Clara." gebe ich zurück. An Hand meiner Stimme weiß sie, wie viel mir das bedeutet.
„Na dann, viel Spaß noch. Wir sehen uns sicher bald. Ich werde dich ausquetschen wie eine Zitrone. Jedes Detail will ich wissen."
„Nichts anderes hab ich erwartet. Pass auf dich auf." Mit diesen zwei Sätzen beende ich das Telefonat und renne schnell auf das nebenstehende Klo. Das war nötig.
„Alles okay bei dir?" fragt Finn durch die Tür hindurch.
„Ja. Alles gut." erwidere ich.
„Ich würde mal schnell zum Bäcker gehen. Willst du irgendwas besonders?"
Als ich gerade den Mund aufmachen will um zu sagen, dass ich nichts weiter möchte fällt mir ein, wie lange ich kein Milchbrötchen mehr gegessen habe.
„Ein Milchbrötchen wäre super. Vorausgesetzt es gibt welche."
Finn lacht leicht, so dass ich es nur schwach durch die Tür höre und sagt:" Ja, das ist die Vorraussetztung."
Danach höre ich nur noch Schlüssel klappern und wie die Tür ins Schloss fällt. Jetzt bin ich also allein, cool.

Finn kam nach ca. einer halben Stunde mit frisch gebacken Brötchen (sie waren sogar noch warm!!) und zwei Milchbrötchen wieder. In der Zeit in der er weg war hab ich mich etwas in seiner Wohnung umgeschaut. Sie ist wirklich sehr minimalistisch eingerichtet, er besitzt nur das Nötigste. Aber es ist alles sauber und ordentlich, das ist super. Es gefällt mir dass es ihm nicht egal ist, wie seine Wohnung aussieht.

Während wir frühstücken reden wir über alles Mögliche, es wurde jedenfalls nicht langweilig. Wobei ich glaube, dass es mit Finn nie wirklich langweilig werden kann. Er ist der erste Mensch bei dem ich dieses Gefühl habe, und das macht mir gleichzeitig Angst und Freude.
Als ich auf die Uhr schaue ist es 10:55 Uhr. Es ist Sonntag, also hab ich noch genug Zeit, Sachen für die Schule vorzubereiten. Man bin ich froh wenn der Mist vorbei ist.

Nachdem ich Finn beim Ab- und Aufräumen geholfen habe, sitzen wir pausenartig auf der Couch und ich schau mir seine Bücher an.
„Du liest wirklich viel." stelle ich fest und blicke dabei auf das randvoll befüllte Regal neben dem TV.
„Früher hab ich mehr gelesen, doch in letzter Zeit fehlt mir die Lust. Aber irgendwie fehlt es mir auch zu lesen. Komisch." sagt er in Gedanken, wobei man eine dünne Denkfalte auf seiner Stirn erkennen kann. Süß.
„Das kenn ich. Ich hab so Lust neue Dinge zu lernen wie Ukulele, Skateboarden oder eben wieder mehr Dinge zu tun die ich mag, wie lesen, aber gleichzeitig fehlt mir die Energie, all diese Dinge wirklich zu machen. Das ist irgendwie traurig." Gebe ich zu und blicke dabei starr auf das Bücherregal. Ich mag es dass Finn mich auch in diesem Punkt versteht. Als ich Clara davon erzählt habe konnte sie es null nachvollziehen. Sie ist der Meinung dass all diese Dinge der Ausgleich zu dem ganzen anderem Stress im Leben sind und dass man dafür immer Zeit und Lust hat. Ich kann es ihr nicht verübeln, da ich ihre Meinung komplett nachvollziehen kann. Wahrscheinlich sind wir einfach verschiedene Arten von Menschen.
„Das mit dem Skateboarden können wir ändern, wenn du magst." sagt Finn und wirft mich damit wieder zurück in die Realität.
„Das klingt gut." erwidere ich und schaue ihn lächelnd an. Als mein Telefon wieder ein Geräusch von sich gibt, hole ich es aus meiner Hose, oder besser gesagt aus Finns Hose, und blicke auf den Bildschirm. Mom fragt mich wo ich bin und wann ich vor habe wieder zu kommen. Tja, es wird wohl Zeit sich wieder der Realität zu stellen.

Nachdem ich mich wieder in meine Klamotten geworfen habe laufen Finn und ich nun zur Tür seiner Wohnung.
„Ich fand es war wirklich ein toller Abend. Ich hoffe wir wiederholen das." Gebe ich von mir und drehe mich so zu ihn, dass ich sein Gesicht sehen kann, wobei ich mich rückwärts laufend weiter der Tür nähere. Ich bin selbst erstaunt als die Worte meinen Mund verlassen, da ich diese Ehrlichkeit von mir gar nicht erwartet habe.
„Auf jeden Fall." erwidert Finn und lächelt mir dabei breit ins Gesicht.
Als wir die Tür erreicht haben blicken wir uns in die Augen, keiner sagt oder tut etwas. Der Moment war zugegeben der erste unangenehme seit ich Finn kenne, weil keiner von uns wirklich wusste, wie man in so einem Moment reagiert. Schlussendlich hat mich Finn in seine Arme genommen und eine ganze Weile umarmt. Es war schön, der perfekte Abschied für so einen Abend.

Als ich die Tür des Wohnhauses öffne weht mir der eisig Wind entgegen und ich ziehe meine rote Mütze tiefer ins Gesicht. Das Wetter scheint seit wir auf dem Balkon lagen umgeschlagen zu sein. Jetzt ist es windig, kalt und auf der Hälfte der Strecke fängt es an zu nieseln. Typisch Deutschland, denke ich, während ich mich immer weiter meinem zu Hause nähere.

Zwischen grün und rotWo Geschichten leben. Entdecke jetzt