Prolog

23 3 16
                                    

»Ich begrüße Sie alle zu unserer heutigen Sitzung. Leider haben wir keinen schönen Anlass, denn das, was sich gerade auf der Erde anbahnt, ist eine Tragödie. Ein Ausmaß, dass es vor Tausenden Jahren schon einmal gegeben hatte. Die Menschen, sie haben ihren Glauben an mich verloren, den Schöpfer aller Lebewesen. Dadurch verleihen sie den dunklen Kreaturen immer mehr Macht und wir stehen kurz vor einer drohenden Katastrophe, einem Krieg, den wir nicht gewinnen können. Durch den Verlust des Glaubens sind wir so schwach wie noch nie zuvor und ich sehe mich dazu gezwungen, dem Geschehen ein Ende zu bereiten. Während unsere Kraft von Tag zu Tag schwindet, gewinnen die Dämonen immer mehr an Kraft. Ich spüre bereits jetzt die Unruhen unter ihnen, die wir bald schon nicht mehr bändigen werden können«, er hielt inne und atmete tief ein und aus.

Er schaute in die Runde und alle blieben mucksmäuschenstill. Man könnte eine Stecknadel zu Boden fallen hören, so still war es in diesem sonst so lautem Konferenzraum, in dem immer hitzige Diskussionen abgehalten wurden.

Wollte er auf das hinaus, was ich dachte?

Ich wurde unruhig und begann auf meinem Platz hin und her zu rutschen. Nein, das konnte er nicht meinen. Er spielte auf die Erschaffung der Erde an, wie er es schon einmal getan hatte. Die Menschen hatten über die Jahre ihren Glauben zu Gott verloren, denn sie glaubten nur noch an sich selbst. Sie hatten in den vergangenen Jahrzenten so viel aus eigener Hand erschaffen, dass sie an keine höhere Macht mehr glaubten. Sie glaubten, sie seien die höchste Macht, die Menschheit als Herrscher der Welt. Die Menschheit, die über all die anderen Lebewesen stand. Es stimmte, dass sie überragend viel aus eigener Hand schufen. Sie bauten selbstversorgende Metropolen aus dem Nichts und setzten der Armut ein Ende. Niemand musste mehr an Hunger leiden. Jeder Mensch dieser Erde besaß heutzutage das Recht für ein Dach über dem Kopf, sowie Nahrung und Wasser. Selbst von Benzin angetriebene Fahrzeuge gehörten der Vergangenheit an, denn es gab nur noch umweltfreundliche Motoren. Autonome Flugtaxis waren das Fortbewegungsmittel der heutigen Zeit. Die Menschheit war so fortschrittlich wie noch nie und doch gab es ein gravierendes Problem: Der Verlust des Glaubens. Er nährte die dunklen Kreaturen, die in der Finsternis lebten und nur geduldet wurden, um das Gleichgewicht zu halten. Doch der Verlust des Glaubens schwächte uns, schwächte Gott und somit auch alle Hüter, welche die Dämonen im Zaum hielten.

Ich hörte, wie er tief ausatmete. Die folgenden Worte schienen ihm schwer zu fallen, was mich noch mehr beunruhigte.

»Es ist an der Zeit, die Erde neu zu formen. Bevor es zu spät ist«, setzte Gott nun fort.

Nein, das ist nicht richtig!

Plötzlich waren alle Augenpaare auf mich gerichtet und mir wurde bewusst, dass ich das nicht nur gedacht, sondern auch laut ausgesprochen hatte. Gott musterte mich aufmerksam und in seinen goldenen Augen blitzte es kurz auf.

»Sprich Uriel. Möchtest du mich eines Besseren belehren?«

Ich spürte, wie mir kalter Schweiß den Rücken runterlief. Es war ein Unding, Gott zu widersprechen. Erst recht nicht in so einem Tonfall wie diesem. Ich versuchte meine Gedanken zu sortieren und setzte mich aufrechter auf meinem Stuhl hin. 

»Ich sagte, dass das nicht richtig ist und ich glaube, dass es eine andere Lösung hierfür geben muss.«

»Und die wäre?«, fragte er mich skeptisch.

»Ich ... Ich weiß es nicht«, erwiderte ich leise. Ich wusste es wirklich nicht, aber das konnte definitiv nicht die einzige Lösung sein. Es herrschte Stille im ganzen Raum und ich spürte die Anspannung, die von allen Anwesenden ausging. Würde niemand sonst Gott widersprechen, so würde es zu dieser Katastrophe kommen. Mein Gehirn begann zu rattern und spielte endlos viele Szenarien ab – wie sollten die Menschen an etwas glauben, dass sie nie zu Gesicht bekamen? An etwas, das für sie nicht greifbar war? Was wäre, wenn es für sie greifbar wäre?

»Sollte kein weiterer Einspruch folgen, gilt dies als einstimmiger Beschluss«, sagte Gott und wandte sich wieder von mir ab, um erneut in die Runde zu schauen. Niemand gab einen Einspruch, es lag also an mir.

»Gott, Vater unser, ich bitte dich, um eine Chance es zu versuchen«, setzte ich an und hoffte, dass er mich sprechen ließ. Er wandte sich wieder zu mir. Er wirkte erzürnt und doch zugleich wie die Ruhe selbst. Um uns herum wurde gemurmelt und Gott wies sie mit einer Handbewegung an, ruhig zu sein.

»Natürlich verlieren die Menschen ihren Glauben an uns, an dich, unseren Vater. Aber wie sollen sie auch an etwas glauben, das für sie nicht real und keineswegs greifbar ist. Du und wir Engel, so wie wir hier beisammen sitzen sind doch nur Geschichten für sie. Geschichten, die über Jahrhunderte weitergegeben wurden. Seit Jahrzehnten hat kein Mensch mehr Kontakt zu uns gehabt. Wir haben uns aus Vorsicht nicht kenntlich gemacht und von hier oben über sie gewacht. Was wäre, wenn sich das ändern würde? Ich werde zur Erde zurückkehren und ihnen den Glauben zurückbringen. Ich werde ihnen beweisen, dass es uns gibt und es einen Wert hat zu glauben. Alles was ich brauche ist Zeit.«

Ich schaute ihn entschlossen an, obwohl mir innerlich ganz anders zumute war.

Mein Plan war nicht durchdacht und ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte, wie ich so viele Menschen zum Glauben zurückbringen sollte. Er musterte mich mit einem intensiven Blick.

»Drei Monate.« Was? Das war zu wenig Zeit und dennoch war ich erstaunt über seine Reaktion. Ich hörte wieder Getuschel und sah die überraschten Gesichter, die zwischen mir und Gott hin und her blickten.

»Ein Jahr.«

»Sechs Monate. Mehr werde ich dir nicht entgegenkommen. Wir haben nicht mehr Zeit«, erwiderte er und schaute mich wachsam an. Sechs Monate war wirklich wenig Zeit, ein Jahr war ja schon wenig. Aber was blieb mir anderes übrig?

»In Ordnung, sechs Monate«, sagte ich entschlossen. Um mich herum wurde es noch lauter. Die Stimmung der Anderen war aufgebracht. Einige waren geschockt, andere wiederum skeptisch. Ich schnappte ein paar Gesprächsfetzen auf: »Das schafft er niemals...«, »Uriel ist verrückt geworden!«.

Gott klopfte laut auf dem Tisch und so schnell wie es lauter wurde, wurde es auch wieder leiser.

»Nun. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.«

Damit stand er auf und verließ den Raum ohne weitere Worte. Auf was hatte ich mich da nur eingelassen? Werde ich das schaffen?

Ich bin Erzengel Uriel, das Licht Gottes. Und ich werde verdammt sein, wenn ich es nicht schaffe, meinem Gott das Gegenteil zu beweisen.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: May 15, 2021 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

HALOWhere stories live. Discover now