prequel I ;; my toys

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MINJIS ZIMMER WAR hässlich vollgestellt mit allerlei Insekten. Spinnen sammelten sich in Gläsern, tote Schmetterlinge, aufgespießt an den Wänden, Kakerlaken auf dem Tisch, die sie zu studieren versucht hatte und in ihrem Buch war die Seite mit den Grashüpfern aufgeschlagen.

Ich stand in ihrem kleinen eigenen Reich und versuchte, mir alles genau einzuprägen. Es war wichtig, meine Zukunft hing davon ab.

Doch die ganzen geflügelten Wesen lenkten mich ab. Dabei sollten doch gerade sie mich inspirieren. Ich wollte fliegen. Ich wollte hoch fliegen, wie Kim Minji, Han Dong und alle anderen Mädchen dieser Akademie. Und dieser Traum hing von dieser Mission ab.

Regale, unendlich lang und vollgestellt mit sämtlichen Tierbüchern und Gläsern. Eine Sitzecke mit alten Sesseln, ein gemachtes Bett. Hohe Fenster, eine Tür zu einem kleinen Bad, und dann der Gegenstand, den ich gesucht hatte: ein hoher Spiegel. Ein bonzenartiger mit goldenem Rand, stehend auf edel geformten Füßen. Damit konnte ich arbeiten.

Ich wollte eine Spiegelwelt herstellen. Eine Spiegelwelt war eine exakte Kopie der eigentlichen Welt. Und ich schaffte es, Lebewesen darin einzuschließen. Sie aus dieser Welt zu verbannen.

Ich hatte es erst drei Mal üben können. Meine Kräfte hatte nie jemand gefördert. Man hatte schlicht und einfach getan, als würden sie nicht existieren. Dabei war ich doch eines der mächtigsten Kinder hier. Unendlich mächtig, aber sie hatten es vor mir versteckt.

Minji war die erste. Sie sollte nicht sterben, nein. Sie sollte nur verschwinden. Für immer.

Im Grunde arbeiteten wir nach mehreren Zielen. Sie arbeiteten auf die Zerstörung hin, doch damit wollte ich wenig zu tun haben. Ich wollte Rache, heiße, brodelnde Rache.

Oder ein Vorbote sein. So genau wusste ich das nicht, aber ich wollte die Mädchen, welche mich so hinterhältig behandelt hatten zerstört sehen. Und wie ginge das besser als mit dem Verschwinden ihrer großen Schwester?

Ihrer Unnie, die ihnen immer zuhörte, die harmlosen Lebewesen untersuchte, und immer ein offenes Ohr für alle hatte.

Nur nicht für mich. Am Anfang, da war sie zu jedem nett. Selbst zu der Unwürdigen. Doch mit der Zeit, da distanzierte sie sich immer mehr. Zog ihre Insekten den Menschen vor.

Redete mit den Großen der Akademie. Machte sich die gefährlichsten Tiere zu eigen. Sie konnte jemanden mit einem Pfiff töten.

Doch außer mir hatte es niemand bemerkt.

Sie war immer noch die beste Unnie, die die Kinder jemals hatten. Wenn sie sich doch nur erinnern könnten. Wenn ihnen nicht alle schönen Erinnerungen an ihr Leben von der Akademie genommen worden wären. Kein Heimweh, keine gute Familie, die ihre Tochter vermisste; kein Grund zu gehen. Das Prinzip der Obersten, und es funktionierte. Noch nie hatte ich von einem Kind gehört, das nach Hause wollte. Das hier, die Akademie, wurde das Heim der Kinder, der Ort, den sie 'Zuhause' nannten, der Ort, an dem ihre Familie sich befand.

Wenn sie doch nur gewusst hätten, dass diese Erinnerungen aufgefangen wurden. Und dass die Fängerin diese auch liebend gerne wieder loswurde.

Wenn sie nur wüssten.

Die Spiegelwelt zu kreieren war kein Problem. Allerdings konnte ich nicht genau sagen, wie es darin aussah. Und ich wollte es auch nicht. Es reichte für mich zu wissen, dass Kim Minji nie wieder hinaustreten könnte, wenn sie sie erst einmal betreten sollte.

Ich musste es nur noch schaffen, in den Schatten zu verschwinden. Sie durfte nicht bemerkten, dass ich hier war. Aber sie sollte wissen, wer für ihr Schicksal verantwortlich war. Ich hatte mein Zeichen hinterlassen. Sie würde es bemerken.

Minji trat durch die Tür, gerade als ich mich versteckt hatte. Ihre sonst durch ein Lächeln verzogenen Lippen verloren dieses augenblicklich, als die Tür hinter ihr zufiel.

Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, an dem dies zum ersten Mal passierte.

Es war nicht wichtig, über was wir gestritten hatten. Es war aber das erste Mal, als sie mir ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte. Davor und danach war dies nie wieder passiert.

Es war eine echte Minji gewesen. Eine wütende, aggressive Minji. Und ich hatte gemerkt, wer sie wirklich war, wie wenig sie von allen Kindern hier hielt. Sie mochte mit allen reden; doch interessieren tat sie sich für niemanden. Ihre Sorgen hingen ihr zum Hals raus und am liebsten hätte sie ihnen allen die Köpfe abgerissen, wie die kleinen Mädchen im Streit ihren Puppen.

Denn das waren sie alle für Minji. Kleine Puppen, die ihre Fähigkeiten niemals ausfalten wollten. Wenn sie nur wüsste. Hätte sie mir nur zugehört, dann hätte sie nun womöglich eine Verbündete.

Doch sie hörte grundsätzlich niemandem zu. Sie hörte immer nur sich. Und aus diesem Grund standen wir uns nun auch als Gegner gegenüber, statt als Freunde.

Während Minji durch das Zimmer wanderte und an ihren Tierchen die verachtende Blicke herausließ, die sich den Tag über bei ihr ansammelten, dachte ich über ihr Verschwinden nach.

Zuerst hatte ich daran gedacht, sie unsichtbar werden zu lassen. Wie auch immer das hätte gehen sollen. Ich hatte nicht weiter darüber sinniert, denn es lag nicht in meinem Kräftegebiet, jemanden körperlich verschwinden zu lassen. Aber der Gedanke daran, wie die selbstprojezierte Minji bemerken könnte, dass sie ihre Chance auf ein Gespräch verspielt hatte, war ein guter.

Doch es gab etwas viel besseres. Etwas, dass nur wir teilten. Aus unseren wenigen Gesprächen hatte sich eine Sache klar herauskristallisiert. Und nur wir beide wussten davon.

Du kannst nicht ewig in diesem Traum verweilen. Renn der Illusion nicht hinterher, du wirst es nicht schaffen! Die wütende Minji war faszinierend gewesen. Sie hatte mir gesagt, ich würde es nicht schaffen, doch in wenigen Minuten würde sie in ihrer eigenen, von mir erzeugten, Illusion gefangen sein. Das Schicksal konnte wirklich fies sein.

Ich beobachtete sie weiter. Immer weiter, gleich sollte sie meine Botschaft gefunden haben. Der unnötige, kleine Grund für einen Streit, der ihre Maske zum ersten Mal hatte fallen lassen.

Sie schrie leise auf als sie mein Zeichen auf dem kleinen Tischchen entdeckte. Ein Glas zersprang auf dem Boden, als sie mit dem Ellbogen dagegenstieß. Hektisch sah sie über die Schulter, meine Botschaft zwischen den zitternden Händen halten.

Natürlich würde sie nicht sofort wissen, was das bedeuten sollte. Die Spiegewelt würde sie nicht erkennen, mein Zeichen erinnerte sie nur an einen ihrer schlimmsten Momente. Einen Moment der kompletten Schwäche, den ausgerechnet ich gesehen hatte. Fahrig stellte sie das unscheinbar wirkende Glas auf den Tisch neben ihr aufgeschlagenes Grashüpfer-Buch, bevor sie sich das Zimmer genauer anschaute.

Es war alles wie immer, scheinbar gewöhnlich, aber trotzdem würde sie sich vergewissern, dass ich mich nicht hier befand. Genau wie ich es vermutet hatte.

Gerade war sie nichts weiter als mein Spielzeug, welches ich durch die Angst, die ich in ihr freigesetzt hatte, dirigieren konnte, und ich genoss dieses Gefühl mehr als ich vermutlich sollte. Fiebrig huschte ihr Blick durch den Raum, während sie sich immer weiter auf mich zubewegte.

Doch der Spiegel schnitt ihr den Weg ab. Sie war in die Enge gedrängt, wie die Insekten, die sie mit viel Mühe für ihre Spielchen, welche sie Untersuchungen nannte sammelte, und es war ihr nicht bewusst. Ein unscheinbares, graues Flimmern ging von dem glatten Glas aus. Für eine Sekunde sah sie ihr Spiegelbild an.

Ihr zweites Ich. Ebenfalls rote Haare, makellose Gesichtszüge, gerade Nase und stechende Augen.

Und mit einem Blinzeln war sie verschwunden. Ein unspektakuläres, kleines Blinzeln, und sie war für immer gefangen.

Es fühlte sich lächerlich an, denn ich wusste, dass auf der anderen Seite keinen Weg zurück gab. Trotzdem hing ich einen schwarzen Sofaüberzug über den Spiegel und sah mich noch zwei Mal um, bevor ich das Zimmer verließ.

Die erste war verschwunden.

Das Spiel konnte beginnen.

𝘀𝗽𝗿𝗲𝗮𝗱 𝗺𝘆 𝘄𝗶𝗻𝗴𝘀  | dreamcatcherWhere stories live. Discover now