Part 1

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Geldnot machte erfinderisch. Und sehr verzweifelt. Aus diesem Grund arbeitete ich seit zwei Wochen in diesem heruntergekommenen, verqualmten, schmuddeligen Stripclub, in dem so wenig Sauerstoff vorhanden war, dass ich schon nach fünf Minuten Atemnot bekam. Für eine ordentliche Durchlüftungsanlage war man wohl zu geizig oder man konnte sie sich nicht leisten. Fakt war jedenfalls, dass ich fast jeden Abend mit Kopfschmerzen nach Hause kam und mir daher dringend einen anderen Job suchen musste.

Mein Geld verdiente ich hier nicht etwa mit Strippen oder Kellnern, sondern indem ich halbnackt in einem riesigen Käfig auf einer unbequemen Stange schaukelte und mich dabei von lüsternen, betrunkenen Männern anstarren ließ, deren Blicke so vernebelt waren wie die Atmosphäre im Raum. Von den Peanuts, die mir dieser sogenannte Job einbrachte, musste ich meinen Lebensunterhalt bestreiten. Darunter fielen Lebensmittelkosten, Klamotten, Hygieneartikel, Fahrkarten, Strom und natürlich die Miete. Schon an meinem Probetag hatte festgestanden, dass dies keine dauerhafte Lösung für mich sein würde, aber als mittellose Schauspielerin durfte man nicht wählerisch sein. Schon gar nicht, wenn man keine Verwandten in der Stadt hatte, die man um Finanzspritzen oder Obdach bitten konnte.

Aber ich war selbst schuld.

Ich hatte mich immerhin freiwillig dazu entschieden, für eine vielversprechende Rolle nach Chicago zu ziehen. Hätte ich geahnt, dass die Sitcom schon nach sechs Monaten wieder abgesetzt werden würde, hätte ich mein Erspartes in etwas anderes als in den Umzug und in die teure Wohnung gesteckt. Aber hinterher war man ja immer schlauer. Jetzt war ich eine von vielen rollenlosen Darstellern, die sich tagsüber von einem Casting zum nächsten hangelten und abends alle möglichen Jobs verrichteten, um sich so lange über Wasser zu halten, bis sie hoffentlich die eine Filmrolle ergatterten, die sie berühmt machen würde. Zu meinem Pech schien die Filmindustrie wohl derzeit keine Verwendung für mittelgroße, dunkelblonde Frauen Ende zwanzig zu haben – dabei hatte ich mein Schauspielstudium mit Bestnote abgeschlossen.

Eisige Kälte kroch unter meinen Mantel, als ich den Club nach Feierabend verließ. In den ersten Tagen hatte ich mir noch die Mühe gemacht, Wechselsachen zur Arbeit mitzunehmen, aber die Luft im Club war so stickig, dass ich dort keine Sekunde länger als nötig verweilen wollte. So trug ich unter dem knöchellangen, geschlossenen Mantel lediglich Reizwäsche mit Strapsen. Doch die kalten Temperaturen störten mich nicht. Im Gegenteil, sie machten mich wieder klar und wach im Kopf.

Ich drehte mein langes Haar zu einem Knoten, damit die kühle Luft auch an meinen verschwitzten Nacken herankam, dann angelte ich mein Handy aus der Handtasche und öffnete Google Maps. Der schäbige Stripclub war gleich mehrfach in Chicago vertreten, und man hatte mich heute in einen anderen Stadtteil geschickt – quasi als Aushilfskraft. Eine Arbeitskollegin war so freundlich gewesen, mich mit dem Auto hierherzufahren – ich war also nicht mit den Öffentlichen hergekommen. Da ich mich in diesem Viertel nicht auskannte und mein Orientierungssinn nicht nur unterentwickelt, sondern schlichtweg nicht vorhanden war, musste ich nun meinen Routenplaner zurate ziehen, der mir hoffentlich den schnellsten Weg zur U-Bahn zeigen würde.

Nicht, dass ich große Lust hatte, in meine Bruchbude zurückzukehren.

Nachdem die Sitcom abgesetzt worden war, hatte ich meine geräumige Wohnung aufgeben und in eine kleinere mit einer winzigen Küchenzeile und einer nicht funktionierenden Heizung ziehen müssen. Glücklicherweise war die Miete so gering, dass genügend Geld für warme Decken und Daunenbettwäsche übrig blieb, sonst wäre ich längst im Schlaf erfroren.

Meine Gedanken fanden ein Ende, als sich eine dunkle Gasse vor mir auftat. Stirnrunzelnd blieb ich stehen und blickte von meinem Handy in den gruseligen Durchgang. Da sollte ich durchgehen? Jenseits der Passage erkannte ich den schwach beleuchteten Innenhof eines Bürogebäudes und dahinter eine weitere Gasse, die zur Hauptstraße führte. Eine Abkürzung, die mir viel Zeit ersparen würde, aber sehr vertrauenerweckend sah mir dieser Pfad nicht aus.

AIDEN - Dark BrothersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt