Wut machte sich in mir breit und als der Mann erneut angriff, reagierte mein Körper ganz automatisch. Der Hieb ging ins Leere, gab mir aber Zeit, seine Faust zu ergreifen und sie ihm so zu drehen, dass das Messer seinen Weg genau zwischen seine Rippen fand.

Entsetzen trat in seine Augen, als er genau wie ich zu realisieren schien, was ich da getan hatte. Erschrocken schlug ich die Hände vor den Mund.

Mit der zusätzlichen Verletzung fehlte ihm die Kraft, sein Bein weiterhin anzustrengen und sich aufrecht zu halten. Es knickte unter ihm ein, wie ein schmaler Ast unter schweren Stiefeln. Seine Hand tastete nach dem Messer, welches immer noch kurz unterhalb seiner Brust steckte. Seine Augen waren ausschließlich auf mich gerichtet. Neben dem Hass, der in ihnen loderte, erkannte ich nun noch ein weiteres Gefühl: Entschlossenheit.

»Bitte ... bitte, hilf mir!«, röchelte der Mann und winkte mich schwerfällig zu sich.

»E-es tut mir leid!«, presste ich hervor und sah mich unschlüssig um.

Mein Blick fiel auf die Waffe, ich lief zu ihr und nahm sie an mich. Ich umfasste sie so fest, dass meine Fingerknöchel bereits weiß unter meiner blassen Haut hervortraten. Ich wusste nicht, was der Mann bezweckte und die Waffe gab mir einen gewissen Grad an Sicherheit.

»Komm her ... bitte ...« Seine Stimme klang noch dünner als vorher. Sein Flehen brachte mich dazu, langsam auf ihn zuzugehen und mich mit einigem Sicherheitsabstand neben ihm niederzulassen.

Er grapschte orientierungslos mit seinen blutverschmierten Händen nach mir und bekam mich schließlich an meiner Jacke zu fassen. Ich wollte mich von seinem Griff lösen, doch obwohl das Leben bereits aus seinem Körper wich, fasste er stark zu. Er bedeutete mir, mich noch weiter zu ihm zu beugen, doch ich sah skeptisch auf das Messer, welches in seiner Brust steckte. Als er meinen Blick sah, verzog sich sein Mund zu einem hämischen Lächeln.

»Was, glaubst du etwa, ich würde dich damit gleich –« Ein Hustenanfall unterbrach seine halb gelachten Worte und es dauerte einen Moment, bis er sich wieder davon erholte. »Ich töte dich nicht. Jetzt komm näher!« Auf einmal klang er ungeduldig.

Zitternd überlegte ich, ob ich seiner Forderung nachkommen, oder lieber davonrennen und ihn allein lassen sollte. Letzteres wäre sicherlich sinnvoller gewesen, doch aus irgendeinem Grund erinnerte mich der Mann an das Reh, dass ich damals auf der Jagd getroffen hatte. So, wie er da auf dem Boden lag und wissen musste, dass er soeben seine letzten Atemzüge tat, konnte ich ihn nicht einfach so zurücklassen. Es war nie meine Absicht, ihn zu töten, doch ich hatte es tun müssen, weil ich sonst an seiner Stelle gewesen wäre. Und aus irgendeinem Grund glaubte ich ihm, wenn er mir sagte, dass er mich nicht hintergehen würde.

Weil meine Vernunft mich dennoch Vorsicht walten ließ, richtete ich vorsorglich die Waffe auf ihn, damit er sah, dass er sich keine weiteren Fehler leisten konnte. Dann beugte ich mich so weit zu ihm, dass mein linkes Ohr direkt über seinem Mund schwebte. An das Messer würde er kaum rankommen, ohne dass ich es bemerkte, denn mein Körper versperrte seiner Hand den Weg.

Als ich nah genug war, holte er rasselnd Luft. »Die Tatsache, dass du mich anhörst, zeigt, dass du kein schlechter Mensch bist. Aber du gehörst zu den Wächtern und verdienst das zu hören, was ich dir nun in Anwesenheit all deiner lieben Freunde in deinem Ohr sagen werde. Ich hoffe, der gute Commander hört mich klar und deutlich.«

Überrascht zuckte mein Blick zu ihm. Bevor ich verstand, was er meinte, packte er mich mit beiden Händen und hielt mich mit solch einer unglaublichen Kraft fest, dass es schien, als hätte er sich gar nicht verletzt. Ich konnte versuchen mich aus seinem Griff winden, doch er ließ nicht locker.

Captured | Band 1Where stories live. Discover now