Kapitel 17

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Elin

Noch nie hatte Elin ein so heftiges Wechselbad der Gefühle durchlebt. Sorge und Vertrauen, Kummer und Zuversicht wechselten sich den ganzen Tag munter bei ihr ab. Zwei ihrer Zellenkameradinnen waren gefoltert worden und sie half dabei sie zu versorgen. Felicias Portion, die sie erhielten, obwohl diese nicht da war, wurde an die beiden verletzten verteilt. 

In Elins Herz staute sich im Laufe des Tages ein immer größer werdender Druck. Sie hatte gerade eine Wunde versorgt, da war es ihr, als könne sie es nicht mehr aushalten. Sie sprang auf und begann mit großen Schritten in der Zelle hin- und herzugehen. Sir rang mit sich. Sie wollte Gott die Führung überlassen, aber sie konnte es nicht. 

Mit einem stöhnen viel sie auf ihre Knie. Mitten in dieser grauen, feuchten Zelle, umgeben von zerschlissenen Matratzen müden und ausgelaugten Frauen, beugte sie sich vor ihren Schöpfer und weinte bitterlich. Sie nahm die verwunderten Blicke nicht wahr. Merkte nicht wie eine nach der anderen sich neben ihr kniete. 

„Oh Gott, warum kann ich dir nicht vertrauen? Hilf mir doch. Ich will dir vertrauen und Gabi und Lici in deine Hände geben." 

Jemand legte ihr einen Arm um die Schulter und erst jetzt schaute sie auf und entdeckte die anderen. Hatte sie das gerade laut gesagt? Es schien so, denn ihre Mitgefangenen baten Gott jetzt darum, Elin vertrauen zu ihm zu schenken. Sie flehten und beteten. Bis Elin laut und mit kräftiger Stimme versprach: „Ja, Herr, ich will dir vertrauen. Nur dir allein. Du wirst es wohl machen. Amen." 

Sie stand auf und umarmte ihre Leidensgenossinnen dankbar. Sie stehen hinter mir. Ich brauche mich vor ihnen nicht zu schämen, sondern kann sie um Unterstützung bitten. Vielleicht hat die ein oder andere von ihnen dasselbe auch durchgemacht. Danke, Herr. Danke, für diese Gemeinschaft.

 Als sich am Abend die Zellentür öffnete musste Elin unwillkürlich stöhnen. Wollten sie jetzt noch jemanden zu ihnen sperren? Oder wollte man gar jetzt noch jemandem zum Verhör riefen? Es war nichts von beiden. Ein ihr unbekannter Wärter warf einen Sack in die Frauenmauer, die sich vor der Tür gebildet hatte und verschwand wieder. Die Frauen waren viel zu überrascht, um wirkliche Hilfe zu leisten. Nur eine von ihnen schaffte es den Aufprall etwas abzudämpfen. Neugierig scharrten sich alle – die beiden verwundeten Frauen ausgenommen – um dieses Bündel. Zu Elins entsetzen bewegte es sich und sie schloss daraus, dass es ein Mensch sein musste. Eine böse Ahnung überfiel sie und sie hockte sich neben die zusammengekrümmte Person. 

Elin vernahm ein leises stöhnen, als sie versuchte die Gestalt auf den Rücken zu drehen. „Hab keine Angst. Ich will dich nur umdrehen. Du bist hier in Sicherheit." 

War die Person das wirklich? Wie konnte diese Zelle sicher sein, wenn man jeden Moment geschlagen oder mit Dreck beworfen werden konnte? Endlich schaffte es Elin das Gesicht der Unbekannten zu sehen und sie schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. „Lici, was hat man mit dir gemacht?" Eine Welle der Erleichterung überflutete sie, begleitet von Sorge. Felicia lächelte schwach. 

„Kann mir erst jemand helfen aufzustehen? Ich würde gerne weicher liegen." 

Elin fasste sich wieder. „Natürlich. Warte ich helfe dir. Wo darf man dich denn überhaupt anfassen?" 

Felicias Gesicht war geschwollen, das Kleid klebte an ihr und ihre Lippen waren geschwollen. „Es ist mir gleich", nuschelte sie. 

Vorsichtig legte Elin Felicias Arm um ihre Schulter und zog sie mit Ramonas Hilfe hoch. Halb schleifend halb gehend kam Felicia zu ihrer Matratze. Mit einem leisen stöhnen sank sie auf diese und legte sie flach auf den Rücken. „Danke." 

„Brauchst du etwas bestimmtes?" 

 „Wasser." 

Elin holte den Eimer und half dann Lici sich aufzusetzen. Gierig trank diese, große Schlucke und glitt dann erschöpft wieder auf ihren Rücken. Elin tauchte ein paar der Stoffstreifen in das Wasser und legte sie auf Felicias Wangen und Lippen. In Gedanken dankte sie Gott, dass Felicia wieder da war und ihn nicht verraten hatte und sie dankte ihm für das Wasser. 

Bis in den TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt