Kapitel 1

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1981

 Felicia Mateis Herz raste. Sie ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und lief die Treppenstufen des Theaters runter. Unten angekommen machte sie einen kleinen Freudensprung. In ihr jubelte alles. Angenommen! Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Nach so vielen Ablehnungen war es endlich soweit. Von nun an nur noch singen. 

Sie lief durch die Straßen der Hauptstadt Rumäniens. Die Sonne knallte auf ihren Kopf und es war unerträglich heiß, aber das störte Felicia nicht. Sie hatte ein ganz bestimmtes Ziel. Sie überquerte den Marktplatz und steuerte auf ein hohes dreistöckiges Bürogebäude zu.       

Camil wird sich freuen. 

In dem Gebäude arbeitete Camil Serban, ihr Verlobter, als Kaufmann für Büromanagement. Er sollte die gute Nachricht als erster erfahren. War er doch derjenige gewesen, der sie zu diesem Schritt ermutigt hatte. 

 Auf dem Parkplatz angekommen entdeckte sie ihn bei seinem Auto. Er hat also schon Feierabend. Doch als sie näher kam wurde ihr schlecht. Er war nicht allein. Sie blieb stehen und beobachtete die beiden kurz. Von unbändiger Wut gepackt rannte sie dann auf ihren Verlobten zu. „Camil Serban! Hast du den Verstand verloren?" 

Der Angeredete drehte sich zu ihr um und das Mädchen, das bei ihm stand wich einen Schritt nach hinten. Eine Tiefe Röte überzog ihr Gesicht. 

„Felicia." Er sah sie überrascht und verlegen an. „Was machst du hier?" 

„Das sollte ich dich Fragen. Weiß dieses Mädchen denn nicht das wir beide verlobt sind? Wie lange kennt ihr euch schon?" Camil wollte etwas erwidern, aber Felicia redete weiter. „Du hast mich betrogen, Camil Serban. Von vorne bis hinten. Ich habe dir vertraut und dich geliebt, aber jetzt... jetzt hasse ich dich!" Mit einem Ruck riss sie den Ring, den er ihr zu ihrer Verlobung geschenkt hatte vom Finger und schleuderte ihn ihm entgegen. „Kannst ihn ja gleich der nächsten an den Finger stecken." Sie drehte sich auf dem Absatz um und lief davon. 

Tief in ihrem Herzen wünschte sie sich, dass Camil ihr folgen würde, aber das tat er nicht. Während sie nach Hause rannte spürte sie wie Tränen in ihr hochkamen. Sie drückte sich in überfüllten Gassen an den Menschen vorbei. Jemand grüßte sie, aber sie antwortete nicht. Sie hechtete über einen Straßenübergang. Die Bremsen eines Autos quietschten und ein wild gestikulierender Fahrer beschwerte sich fluchend über sie. Felicia bemerkte ihn kaum. 

 Der Weg nach Hause kam ihr endlos lang vor, doch dann stand sie vor einem siebenstöckigen Mehrfamilienhaus und schlüpfte hinein. Über die Treppen lief sie in den zweiten Stock hinauf. Das Treppenhaus war verdreckt und in den Winkeln klebten Spinnweben, weil niemand sich darum kümmerte. Mit zitternden Fingern zog sie ihren Hausschlüssel aus ihrer Handtasche und schloss die Tür der Wohnung auf. Es war angenehm kühl darin. Eine willkommene Abwechslung zu der drückenden Hitze, die draußen herrschte. Ihre Mutter begrüßte sie aus der Küche, doch sie rannte sofort in ihr Zimmer, schlug die Tür zu und warf sich verzweifelt auf ihr Bett. Sofort strömten die Tränen, die sie die ganze Zeit zurückgehalten hatte, über ihre Wangen. 

Wie konnte er nur? Warum hat er das gemacht? Hat er mich die ganze Zeit angelogen? 

Es klopfte an ihrer Tür. Da sie nicht antwortete schob sich ihre Mutter einfach so in ihr Zimmer. „Lici, was ist denn los?" Sie trat an Felicias Bett. Diese streckte ihr ihre rechte Hand entgegen. Der fehlende Ring sprach wohl für sich. Ihre Mutter sog scharf die Luft ein und ließ sich neben ihrer Tochter auf ihr Bett fallen. Sie hob sie hoch und nahm sie in den Arm. „Armes Kind." Sanft strich sie ihr über das kurze Haar und wiegte sie hin und her. 

„Er ist so gemein." Felicia klammerte sich an ihre Mutter, die sie festhielt. 

„Schh... Beruhige dich." 

Aber Felicia wollte sich nicht beruhigen. Am liebsten würde sie für immer so sitzen bleiben. Doch irgendwann ließ der Tränenschwall nach. 

„Willst du mir erzählen was passiert ist?" Ihre Mutter reichte ihr ein Taschentuch. Plötzlich rümpfte sie die Nase und riss die Augen auf. „Ach du lieber Himmel! Die Kartoffeln verbrennen!" Sie stürmte in die Küche. 

Als sie wieder zurückkam saß Felicia immer noch auf ihrem Bett, die Finger fest ineinander verknotet. Ihre Mutter setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. „Erzähl mir was passiert ist." 

Felicia schluckte und holte zitternd Luft. „Er hat eine andere", presste sie hervor. „Ich habe sie zusammen erwischt." Sie erzählte ihrer Mutter die ganze Geschichte und begann erneut zu weinen. Mumie nahm sie wieder in die Arme und wiegte sie hin und her. Felicia fühlte sich in den Armen ihrer Mutter geborgen und schloss die Augen. 

„Schlimm, schlimm", murmelte ihre Mutter. 

„Ich will ihn nie wiedersehen, Mumie." 

„Das musst du auch nicht. Versuch einfach ihn zu vergessen." 

Felicia hob den Kopf und sah ihrer Mutter in die Augen. „Das kann ich nicht! Niemals." 

Beruhigend legte Mumie ihre Hand auf Licis Kopf und diese lehnte sich wieder an ihre Brust. „Bestimmt. Ich bin mir sicher, dass du das schaffen wirst." 

Felicia erschien das unmöglich. Wie sollte sie Camil Serban, ihren Lieblingsmenschen, je vergessen? Und vor allem das, was er ihr angetan hatte?

Zur gleichen Zeit in einem anderen Stadtteil von Bukarest.

Elin Petran saß in der Küche am Fenster und schaute hinaus. Hinter ihr stand ihre Mutter am Herd und summte beim Kochen vor sich hin. Im Nebenzimmer stritten sich ihre kleinen Geschwister mal wieder. Es war so ein Streit den Gabriella immer anzettelte. Meistens ging es dabei um belanglose Dinge, aber Gabriella verstand es nur zu gut aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. 

Lieber Gott, bitte verändere Gabis Herz. Sie trägt so wenig Liebe in sich. Wie soll sie nur diese Verfolgungen überstehen, Herr? Ich mache mir große Sorgen um sie. 

Ihre Gedanken schweiften zu dem heimlichen Gottesdienst, den sie gestern Abend mit ein paar Freunden gehalten hatten. Ihr Vater hatte einen wunderschönen Text aus Offenbarung vorgelesen in dem es um die Verfolgung der Christen geht und wie sie einst vor Jesus stehen werden. Im siebten Kapitel in Vers sechzehn und siebzehn stand: Und sie werden nicht mehr hungern und nicht mehr dürsten; auch wird sie die Sonne nicht treffen noch irgendeine Hitze; denn das Lamm, das inmitten des Thrones ist, wird sie weiden und sie leiten zu lebendigen Wasserquellen, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. 

Diese Worte waren tief in Elins Herz gefallen. Den ganzen Abend hatte sie sie sich immer wieder ins Gedächtnis gerufen und heute Morgen nochmal in ihrer Bibel nachgelesen und unterstrichen. Jetzt kannte sie sie auswendig und sie wollte sie nie vergessen. 

Außerdem hatte Vater noch gesagt: Wir leben zwar in einer harten Zeit, aber ist es nicht auch wunderbar für Jesus Christus zu leiden? Hat er nicht für uns zuerst gelitten? Paulus hat gesagt, dass er stolz sei für Jesus zu leiden. Lasst uns in dieser Zeit dankbar und fröhlich sein. Dankt Gott für die Christenverfolgung hier in Rumänien. 

Sie hatte ihrem Vater widersprechen wollen. Sie hatte sagen wollen, ob er nicht sähe wie schwer das Leben für sie alle geworden war. 

Sah er nicht wie die Kleinen in der Schule litten? 

Elin hatte ihre Arbeit verloren. Es war schwer genug gewesen eine zu finden und jetzt war ihr ganz plötzlich gekündigt worden. Der Grund: Sie war eine Christin. 

Cosmina fand keine Arbeitsstelle trotz ihrer guten Zeugnisse. Der Grund: Sie war eine Christin. 

Mutter bekam auf dem Markt kaum noch etwas zu kaufen. Der Grund: Sie war eine  Christin. 

Und jetzt sollten sie dafür dankbar sein? Doch dann sah und hörte sie im Gebet, wie alle Gott dafür dankten und dann hatte sie erkannt: So war es richtig.

Bis in den TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt